© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   16/02 12. April 2002


Israel in der Sackgasse
Der israelisch-palästinenische Krieg macht den Nahen Osten zum Pulverfaß
Michael Wiesberg

Der israelisch-palästinensische Konflikt hat in den letzten Tagen vor allem in einer Hinsicht eine neue Qualität angenommen. Israels Regierungschef Ariel Scharon läßt sich inzwischen nicht mehr durch Kritik der wichtigsten Schutzmacht Israels, den USA, beeindrucken. Ungeachtet der israelischen Zusage, die Militäroperationen in den besetzten Autonomiegebieten beenden zu wollen, haben israelische Soldaten am Wochenende mehrere palästinensische Dörfer im Westjordanland umstellt. Zuvor hatte Regierungschef Scharon angekündigt, die Militäroffensive beschleunigen zu wollen. Einen Zeitpunkt für den Rückzug der israelischen Truppen nannte Scharon nicht. Der Einsatz werde andauern, weil die Armee unvermindert auf palästinensischen Widerstand stoße, sagte Scharon vielsagend. Es ist mehr als zweifelhaft, ob US-Außenminister Colin Powell, der an diesem Sonntag in der Konfliktregion vermitteln soll, an der Haltung Scharons irgendetwas ändern kann.

Scharon erklärt immer wieder, daß er einen "Krieg gegen den Terror" führe. Ein durchaus kluger Schachzug, mit dem sich Scharon die allgemeine Rhetorik, die nach dem 11. September die internationale politische Agenda bestimmt, mit Blick auf Arafat zueigen gemacht hat. Parallelen zu der Diktion von US-Präsident Bush sind unschwer zu erkennen. Arafat sei ein Feind Israels, dekretierte Scharon. Er habe sich für eine Strategie des Terrors entschieden und eine Koalition des Terrors gebildet. Ähnliches hat Bush über den vermeintlichen oder tatsächlichen "Terrorfürsten" Osama bin Laden, um den es verdächtig ruhig geworden ist, verbreitet. Wenn Arafat aber tatsächlich der Initiator für die Selbstmordattentate wäre, wäre er mit Sicherheit nicht mehr am Leben. Ein israelisches Liquidationskommando hätte dafür gesorgt, daß von Arafat keine Gefahr mehr ausgeht.

Nein, das Gerede von der Unterstützung des Terrors durch Arafat, mit dem Scharon immer wieder seine militärischen Übergriffe vor der Weltöffentlichkeit zu legitimieren sucht, ist ohne die Kraft der Überzeugung. Arafats Inkriminierung durch Scharon dient vielmehr einem anderen Zweck. Scharon ist augenscheinlich nach wie vor der Überzeugung, daß das Palästinenserproblem durch militärische Antworten zu lösen sei. Diese Logik verfängt allerdings bei einem Gegner, der bereit ist, sein Leben notfalls in einem Selbstmordattentat zu opfern, nicht. Scharons Krieg gegen die Selbstmordattentäter ist nicht zu gewinnen. Dessen dürfte sich Arafat bewußt sein. Also gibt er sich im Hinblick auf die Selbstmordattentäter indifferent. Was nicht heißt, daß von Arafat auch nur ein Anstoß ausginge, derartige Attentäter in ihrer Absicht zu ermutigen, sich in Restaurants oder Supermärkten in die Luft zu sprengen. Für Arafat dürfte vielmehr entscheidend sein, daß jeder Selbstmordanschlag die Glaubwürdigkeit und die Sicherheitsversprechen Scharons erodiert. Mit anderen Worten: Die Anschläge der Attentäter nutzen indirekt Arafats Anliegen. Genau dieser Effekt ist es, der Scharon zur Isolation Arafats getrieben hat.

Auch Arafat aber scheint zu glauben, daß der Feind durch Gewalt zu Konzessionen gezwungen werden kann. Auch er glaubt, daß die Israelis so in Furcht versetzt werden können, daß sie sich letztlich aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen zurückziehen werden. Eine derartige Erwartung wird sich als Fehlkalkulation entlarven. Israel dürfte sich kaum auf einen nicht enden wollenden Abnutzungskrieg einlassen. Selbst wenn Scharon abgelöst würde (eine Option, die vielen Israelis im übrigen nicht unsympathisch wäre), hieße dies nicht, daß der auf Scharon folgende Premierminister die Furcht vor weiteren Selbstmordattentätern ignorieren könnte. Das Schlimmste muß befürchtet werden, wenn sich Israel zu einem umfassenden "Befreiungsschlag" entschlösse, um dem laufenden Abnutzungskrieg zu beenden.

Daß das Schlimmmste nicht ausgeschlossen werden kann, zeigt die Rhetorik der Gewalt und Verächtlichmachung, die auf beiden Seiten anzutreffen ist. Die radikal-islamistische Hamas-Bewegung nennt ihre jüdischen Feinde "Söhne von Schweinen und Affen". Im Gegenzug bezeichnen Israelis ihre Feinde als "Bestien", "Schlangen", "Küchenschaben". Die israelische Zeitung Ma'ariv berichtet von einem israelischen Offizier, der seine Soldaten dazu ermutigt, die Methoden der SS bei der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto im April 1943 zu studieren. Wenn ihre Aufgabe darin bestünde, ein Flüchtlingslager oder ein palästinensisches Viertel zu durchkämmen, so dieser Offizier, müsse vor derartigen Einsätzen eine Analyse vergangener Militäraktionen dieser Art stehen. Dabei dürfe man auch nicht vor einer Analyse des Vorgehens der "deutschen Armee" im Warschauer Ghetto zurückschrecken.

Alledem steht die US-Regierung mit einer Mischung aus Indifferenz und vordergründigen Aktionismus gegenüber. Scharon legt diese Indifferenz zu Recht zu seinen Gunsten aus. Er weiß, daß die USA ohne Wenn und Aber auf Seiten Israels stehen.

Das Israel Scharons gehört auf jeden Fall zu den Gewinnern des laufenden Anti-Terrorkrieges. Die USA habe sich aufgrund ihrer extensiv ausgelegten Polizeieinsätze gegen den Terror selber um jedes Argument gebracht, Israel im Hinblick auf dessen Anti-Terrorbekämpfung irgendwelche Vorschriften machen zu können. George Friedman, Gründer des in Texas ansässigen Institutes "Stratfor", hat noch auf einen weiteren Aspekt verwiesen. Da die USA einen offenen und einen verdeckten Krieg gegen radikale islamistische Bewegungen führten, seien sie zwingend auf die Erkenntnisse der Geheimdienste der Israelis im Nahen Osten angewiesen.

Viele radikale Palästinenser werden diese Abhängigkeiten realisiert haben. Und sie werden weiter realisiert haben, daß im gleichen Maße, wie die Abhängigkeit der USA von Israel zunimmt, die Position Arafats schwächer wird. Die Selbstmordattentate wären vor diesem Hintergrund auch eine Antwort auf die gesunkene Bedeutung Arafats. Die radikalen Palästinenser glauben, daß Arafat nicht mehr genug Gewicht in die Schale werfen kann, um einen unabhängigen Palästinenserstaat Realität werden zu lassen. Mit dieser Einschätzung liegen sie wohl nicht falsch.

Daß die EU als ausgleichender Faktor zwischen den Fronten eine Rolle spielen könnte, damit ist nicht zu rechnen. Das zeigte zuletzt die Art und Weise, wie Scharon europäische Spitzenpolitiker, die einen Rückzug der Israelis aus palästinensischen Städten erreichen wollten, abblitzen ließ. Ariel Scharon, das ist sicher, wird sich von den Europäern zuallerletzt reinreden lassen.


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