© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Winzer und Gangster
Der Untergang des Hauses K. ist ein Lehrstück
Günter Zehm

Weit verbreitet ist die Vermutung, daß die Riesenpleite des Kirch-Medienkonzerns nicht nur eine Folge unternehmerischen Ungeschicks seitens Leo Kirchs und seiner Palladine ist, sondern daß ihr ein allgemeiner Trend zugrundeliegt, daß mit Kirchs Untergang gewisse Wirtschaftsprinzipien blamiert werden, die man auch anderswo anbetet. Am meisten genannt werden das Prinzip "Rechteverwertung", das Prinzip "Schuldenmachen" und das Prinzip "Luftschlösser".

Kirch war, wenn man so will, der treueste Schüler des Jeremy Rifkin, jenes amerikanischen Analysten, der den Begriff des "Zugangs" (Access) an die Stelle des Begriffs "Besitz" setzen will. Es geht im modernen Wirtschaftsleben, sagt Rifkin, nicht mehr vorrangig um den Erwerb materieller Besitztümer, sondern um den Erwerb von Zugangsrechten. Wer also richtig Geld machen will, der muß sich Zugangsrechte sichern und dann eine happige Taxe auf alle möglichen Zugänge erheben, vom Freibadbesuch bis zum Ansehen von Fußballspielen. Genau so operierte Leo Kirch - und ist damit spektakulär auf die Nase gefallen.

Die Menschen, so mußte er erfahren, wollen nicht, daß man ihr Leben in ein einziges Disneyland verwandelt, wo man dauernd Dollars oder Euros in irgendwelche Drehkreuze stecken muß, um an Sachen heranzukommen, die früher selbstverständlich waren. Lieber verzichteten sie auf ihren geliebten TV-Fußballabend, als daß sie in Kirchs "Premiere"-Sender einstiegen. Am Ende saß "der Medienzar" auf Rechten, die er für teures Geld erworben hatte, und niemand wollte sie ihm abkaufen.

Nachdem sich unter den (Originalton Leo Kirch) "Haien" erst einmal herumgesprochen hatte, daß da einer unterwegs war, der ihnen ihre Filme und Spiele in toto abkaufen wollte, erhöhten sie natürlich kräftig die Preise, aber Kirch bezahlte alles und alles. Phantastische, völlig irre Summen machten die Runde, die ein einzelner nie und nimmer allein aufbringen konnte. Kirch mußte sich in Schulden stürzen, in immer neue Schulden, um die alten zu bedienen. Bald bestand sein Unternehmen nur noch aus Schuldendienst, aus einer einzigen gigantischen Schuldenumwälzanlage, und sein Ziehsohn Dieter Hahn war nur noch (wieder Originalton Kirch) "der Mann, der weiß, wie man Schulden bezahlt".

Jetzt ist der Punkt gekommen, wo auch Hahn nicht mehr weiter weiß. Die Gläubiger wollen ihr Geld zurück, wenigstens das, was davon noch übrig ist. Sie glauben nicht mehr an die Luftschlösser, die ihnen Kirch so lange vorgegaukelt hat, weil sie eben überhaupt nicht mehr an Luftschlösser glauben. Das Geschäft mit Luftschlössern, "New Economy" geheißen, ist tot. Der Ballon ist zerplatzt. Unternehmen, die aus nichts als aus einer "Idee" bestehen, werden nicht mehr an der Börse zugelassen.

Ein neuer Geist des Realismus zieht ins Wirtschaftsleben ein, der schon lange fällig war. Man erkennt, daß die "New Economy", wenn überhaupt etwas, so vor allem eine Geldvernichtungsmaschine war. Die aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrte Aufbau-Generation hatte durch harte Arbeit, Konsumverzicht und andere Formen der Askese einen riesigen Vermögensberg aufgehäuft, einen wahren "Juliusturm", der nach dem Abtritt der Gründerväter der nachfolgenden, "kritischen" 68er-Generation in die Hände fiel, die alles anders machen wollte. Da die Väter bedächtig und sparsam mit Geld umgegangen waren, folgerten die Erben messerscharf, daß der Weisheit letzter Schluß darin bestehe, das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauszuwerfen.

"Geld heckt Geld", hatten die Alten gelehrt, und daran glaubten auch die Jungen. Doch statt scharf zu kalkulieren, bauten sie Luftschlösser, vertrauten in marxistischer Manier dem Selbstlauf der Dinge und schickten dem guten Geld immer neues hinterher, das dabei von Mal zu Mal schlechter wurde und sich schließlich in sein gänzliches Gegenteil verkehrte, in Schulden, leere Versprechungen und in "Rechte", die keiner mehr nutzen will.

Ironie der Geschichte, daß bei dieser Drift in den Abgrund ausgerechnet ein Vertreter der älteren Generation die Pace machte: der fränkische Winzersohn Leo ("Kathedralowitsch") Kirch (75), kein Gründervater, aber auch noch kein 68er, ein Zwischengewächs, halb Flakhelfer-, halb "Weißer Jahrgang", im Grunde seines Herzens tief verunsichert, fest einzig im Glauben an Jesus, ansonsten "allem Neuen gegenüber aufgeschlossen", ein Kinogänger der frühen Jahre, der Hollywood für eine Art Bibelableger hielt und jeden Trick mitmachte, der über den Atlantik zu uns herüberkam.

Axel Springer, hanseatischer Kaufmann der alten Schule, dem sich Kirch in Springers letzten Jahren als Geschäftspartner aufdrängte, hatte schon recht: "Zwischen Winzer und Gangster läßt sich nicht immer deutlich unterscheiden". Besonders gilt dies in Zeiten wie den gegenwärtigen, in denen sich viele gar nicht mehr mit der Herstellung von Wein aufhalten, sondern nur noch Schläuche abfüllen, wobei man als Endverbraucher lieber nicht fragt, was da wirklich abgefüllt wird. Beim Trinken des Gesöffs kann man leicht an Gott und der Welt irre werden, weil man Jesus plötzlich als Pornostar agieren sieht.

Der Untergang des Hauses Kirch verdankt sich gewiß nicht nur tölpelhaftem Management und individuellen Vorlieben, die nicht ins Geschäft passen. Der ganze Boden, auf dem heute Geschäfte, vor allem mediale, gemacht werden, ist schwankend geworden. Auf ihm werden geschoßweise reine Luftschlösser gebaut, zudem über und über schuldenfinanziert und durch Rechte gesichert, die bei Lichte besehen gar keine sind. Das Fiktive, oft rein Schimärische, aus dem die Ware besteht, fordert seinen Preis. Und Hölderlin ist weit. Wo Gefahr ist, wächst keineswegs das Rettende, sondern höchstens Rupert Murdoch oder die Deutsche Bank.


 
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