© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Ausgemustert im großen Stil
Bundeswehr: Der Zivildienst gerät zum Hauptargument gegen die Abschaffung einer Wehrpflichtarmee
Peter Freitag

Laut Angabe des Statistischen Bundesamts beträgt die Zahl derzeit tätiger Zivildienstleistender 118.859 (Stand vom 15. Februar 2002). Davon sind etwa 22.000 bei der Diakonie, etwa 21.000 beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und etwa 20.000 bei der Caritas beschäftigt. Jährlich schlug der Zivildienst mit 2,5 Milliarden Mark im Bundeshaushalt zu Buche.

Beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beträgt der Anteil der Zivildienstleistenden an der Zahl der Beschäftigten ungefähr 7 Prozent, mit leicht sinkender Tendenz aufgrund der auf zehn Monate verkürzten Dienstzeit. Der überwiegende Teil der dort eingesetzten Zivildienstleistenden (80%) sei laut Diakonie "direkt am Menschen tätig", die restlichen 20 Prozent übten Verwaltungstätigkeiten aus.

Ute Burgbach-Tasso, stellvertretende Pressesprecherin des Diakonischen Werkes, äußerte im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT, daß es bei einer Aussetzung der Wehrpflicht oder einer weiteren Verkürzung der Dienstzeit zwar zu Engpässen komme, ein Zusammenbruch der diakonischen Arbeit jedoch nicht zu befürchten sei. "Die Zivildienstleistenden sind nicht in Kernbereichen der Diakonie beschäftigt", so Burbach-Tasso. Probleme entstünden jedoch in Bereichen wie Behindertentransporte und Essen auf Rädern. Bedroht seien in erster Linie Leistungen, die den Hilfsbedürftigen Annehmlichkeiten böten, so beispielsweise Fahrdienste zu Gottesdiensten, befürchtet man seitens der Diakonie. "Alles, was nicht durch die Pflegeversicherung abgedeckt ist, wird weniger intensiv oder fällt weg", so die Sprecherin zur JF.

Ähnlich lauten auch die Einwände gegen eine Aussetzung der Wehrpflicht von seiten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV). Der - ohnehin vorhandene - Pflegenotstand werde sich durch einen verkürzten oder wegfallenden Zivildienst zwar nicht dramatisch verschlimmern, allerdings komme es in diesem Fall zu sektoral empfindlichen Qualitätseinbußen. Joachim Hagelskamp, als Referent zuständig für Fragen des Zivildienstes beim DPWV, machte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT an drei Beispielen deutlich, welche Veränderungen bereits durch die Reduzierung der Dienstzeit von 13 auf 10 Monate eingetreten seien: Vor der Verkürzung betrug der Eigenanteil, den die Betroffenen bei Inanspruchnahme eines Fahrdienstes für alte oder behinderte Menschen leisten mußten, für Strecken von ungefähr 20 Kilometern sechs Mark. Nach der Verkürzung mußte der Satz durch Wegfall von Arbeitszeit der Zivildienstleistenden auf 35 Mark erhöht werden. Außerdem könnten Fahrdienste, die früher bis 22 Uhr abrufbar waren, nur noch bis 18 Uhr zu Verfügung stehen. Ein weiterer von Einschränkungen betroffener Bereich seien sogenannte Schulassistenzen, bei denen Zivildienstleistende Behinderte an einer Schule betreuen. Da der Dienst kürzer als ein Schuljahr sei, wären für die Betreuung in der übrigen Zeit höhere Löhne zu entrichten. Besonders schwerwiegend sind nach Ansicht des DPWV die Kürzungen in der psychosozialen Betreuung zu spüren, so fallen zum Beispiel mittlerweile Urlaubsreisen für Behinderte fort, da die zur Unterstützung notwendigen Zivildienstleistenden fehlen. Hagelskamp, der für den DPWV auch in der durch die Bundesregierung bestellten Kommission "Zukunft des Zivildienstes" saß, warnte gegenüber der JF vor einem "abrupten Ausstieg" aus dem Zivildienst, da sich dies auf dem Rücken der Betroffenen, der Trägerorganisationen und der finanziell bereits überstrapazierten Kommunen abspielen werde.

Im Bundesfamilienministerium, in dessen Kompetenz auch der Zivildienst gehört, mochte man sich an Spekulationen über die Abschaffung der Wehrpflicht nicht beteiligen. Ministeriumssprecherin Mühlbach wies gegenüber der JF auf die Aussagen des Bundeskanzlers und des Verteidigungsministers hin, daß an der Wehrpflicht festgehalten werde. Selbst bei einer weiteren Senkung der Dienstzeit würden den Trägern aus Sicht des Ministeriums keine nennenswerten Schwierigkeiten entstehen, da Zivildienstleistende ohnehin keine Fachkräfte ersetzen dürfen, so Mühlbach. Demgegenüber befürchtet der Hartmannbund, die Standesorganisation der Krankenhausärzte, daß ein Wegfall von Zivildienstleistenden extreme Lücken aufreißen und mit Sicherheit eine erhebliche Qualitätsminderung in der Versorgung der Patienten bewirken werde. Zwar lägen konkrete Zahlen noch nicht vor, so Pressesprecher Peter Orthen-Rahner zur JUNGEN FREIHEIT, jedoch werde man in nächster Zeit ein solches Szenario in der Ärzteschaft intensiv zu diskutieren haben. Auch im Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) liegen noch Berechnungen vor, was ein Wegfall des Zivildienstes finanziell bewirken könnte. Eine AOK-Sprecherin wies gegenüber der JF darauf hin, daß Zivildienstleistende nicht aus dem nur für die medizinische Versorgung vorhandenen Topf der Krankenkassen, sondern vom Staat bezahlt werden.

Unter rein statistischen Gesichtspunkten betrachtet dürfte das Szenario weniger dramatisch ausfallen: So sind weniger als zwei Prozent der Zivis in der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt, drei Prozent im Krankenhausbereich, fünf Prozent in der Altenpflege, mehr als sieben Prozent in Behinderteneinrichtungen und etwa zwölf Prozent in Werkstätten für Behinderte. Der überwiegende Anteil entfällt auf Verwaltungstätigkeiten, Hausmeister- und Fahrdienste.

Das von Wehrpflicht-Kritikern ins Feld geführte Argument mangelnder Wehrgerechtigkeit, weist das Bundesverteidigungsministerium zurück. In Prognosen für die Jahre 2005 bis 2010 (Jahrgänge 1983 bis 1991) werde die Ausschöpfungsquote zwischen 96,2 und 98,9 Prozent betragen. Der Anteil der Nichtgemusterten wird mit vier Prozent angegeben (Härtefälle), Untaugliche mit 22 Prozent, Ausnahmen (dritte Söhne, Theologen) mit drei Prozent und Verweigerer mit 38 Prozent. Der sinkende Bedarf an Wehrdienstleistenden in der Bundeswehr werde durch demographischen Rückgang und durch gestiegene körperliche Anforderungen (und damit steigende Zahl von Untauglichen) geltend gemacht, so das Ministerium in einem Hintergrundpapier zur Wehrgerechtigkeit.

Seitens des Bundesamtes für Wehrverwaltung wollte man gegenüber der JF keine Angaben zu der Frage machen, ob die Nichterfassung potentiell Wehrpflichtiger an der in den letzten zehn Jahren vollzogenen Schließung zahlreicher Kreiswehrersatzämter oder an einer ineffektiv arbeitenden Zivilverteidigung der Bundeswehr läge.


 
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