© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Unterstützung in letzter Sekunde
Frankreich: FN-Chef Jean-Marie Le Pen und sein Rivale Bruno Mégret können zur Präsidentschaftswahl antreten
Charles Brant

Mit der Nachricht, daß Jean-Marie Le Pen nun doch als Präsidentschaftskandidat antreten kann, ging ein mittleres Psychodrama zu Ende. Am Nachmittag des 2. April legte der Vorsitzende des Front National (FN) dem Nationalrat seine 503 Unterstützerunterschriften vor.

"Wird Le Pen an einer Kandidatur gehindert?" Diese Frage hatte in Frankreich plötzlich Interesse an einem Präsidentschaftswahlkampf geweckt, der bislang jeglichen Glanz vermissen ließ. In ihr artikulierte sich ein nachhaltiges Krisenbewußtsein. Sprengt es nicht den Rahmen des demokratischen Machtspiels, wenn ein Mann - und sei er der Teufel in Person -, der die Interessen und Überzeugungen von vier Millionen Wählern vertritt, von der politischen Bühne vertrieben wird? Kritische Stimmen erhoben sich, die den Sinn der Unterschriftenregelung und die Autonomie des Verfassungsrates hinterfragten. Präsident Jacques Chirac sah sich gezwungen, einen öffentlichen Schwur abzugeben, daß er keinerlei Anweisungen erteilt habe, eine Kandidatur Le Pens zu verhindern. Damit er ja nicht als Unterstützer des FN-Chefs mißverstanden wurde, wiederholte er bei dieser Gelegenheit seine Verleumdungen gegen ihn.

Mit seinem neuen Ruhm als Märtyrer hielt Le Pen die Franzosen wochenlang in Atem. Er ereiferte sich über das "perverse Wahlgesetz" und den Druck, der auf jene Bürgermeister ausgeübt wurde, die ihm ihre Unterstützung zugesagt hatten. Chirac versprach er ein "politisches Chaos", falls er vom Präsidentschaftswahlkampf ausgeschlossen bliebe. Wie ernst diese Drohung zu nehmen war, ist fraglich. Die ganze Inszenierung läßt vielmehr den Eindruck entstehen, Le Pen sei eines Morgens aufgewacht und habe beschlossen, seine Unterschriften nachzuzählen. Dabei stellte er fest, wie ineffizient die gegen Bezahlung angeheuerten Mannschaften unter Aufsicht Martine Lebideux' gearbeitet hatten. Le Pen beauftragte seinen Generalsekretär Carl Lang, statt dessen erprobte Parteisoldaten auf diese Aufgabe anzusetzen. Dank seines dramatischen Talents gelang es ihm, eine heikle Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Le Pen weiß, wie sehr die Franzosen Opfer lieben, und er holte aus dieser Rolle alles heraus, was es zu holen gab.

Le Pens Taktik, sich als Opfer des Systems darzustellen, zahlte sich aus. Er durchbrach damit nicht nur die mediale Schweigemauer, sondern mobilisierte auch die Kampfbereitschaft seiner Truppen und seiner Wählerschaft. Am Ostermontag konnte er seinen Anhängern von dem Hauptquartier des FN in Saint-Cloud aus versichern, er habe die erforderlichen fünfhundert Unterschriften "und sogar noch ein kleines Sicherheitspolster". Um die Spannung aufrechtzuerhalten, fügte er hinzu: "Bis der Nationalrat den Erhalt der Unterschriften bestätigt hat, ist man vor bösen Überraschungen nicht sicher." Am nächsten Tag sprach Le Pen höchstpersönlich beim Nationalrat vor. In Begleitung einiger Getreuer gab er sich lächelnd und gelöst, aber entschlossen, seine letzte Schlacht nicht vorzeitig verloren zu geben.

Eine einzige Wolke verdunkelt seinen Triumph: Auch seinem Rivalen Bruno Mégret ist es wider Erwarten gelungen, fünfhundert Unterschriften zusammenzutragen. Dieser Erfolg erstaunte selbst die engsten Mitarbeiter des Vorsitzenden des Mouvement National Républicain (MNR). Böse Zungen behaupten, der Technokrat Mégret - den die Lepenisten drei Jahre nach seinem Bruch mit Le Pen immer noch als "Verräter" brandmarken - habe dieses Ergebnis nur dank kräftiger Schützenhilfe des RPR erreichen können. Wie dem auch sei, die Wahlplakate, die Mégret mit seiner Gattin zeigen, scheinen die Wahlforscher nicht zu betören. Sie prognostizieren ihm nach wie vor nur zwei Prozent der Stimmen. Le Pen hat sehr viel bessere Aussichten. Mit Umfrageergebnissen von zehn bis vierzehn Prozent hofft er natürlich darauf, als "dritter Mann" das Zünglein an der Waage dieses Wahlausgangs zu werden.

Sechzehn Kandidaten haben bislang die Zulassungsbedingungen erfüllt, darunter vier Trotzkisten, zwei Umweltschützer, ein Repräsentant der Steuerzahler und ein Fürsprecher der Jäger. Dieses umfassende Angebot stellt einen neuen Rekord für die V. Republik dar - bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1995 traten insgesamt nur neun Kandidaten an - und droht die Wählerschaft zu zersplittern. Es ist Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit mit den beiden Männern, die wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen unter sich austragen werden. Meinungsumfragen zufolge glauben 49 Prozent der Franzosen, daß Chirac die Wahl gewinnen wird, während 51 Prozent auf Premierminister Lionel Jospin setzen, obwohl neueste Umfragen vom 9. April weniger als 20 Prozent für Jospin prognostizieren. Es fragt sich allerdings, ob eine Fragmentierung beiden gleichermaßen schadet. Eher scheint es, als stelle sie eine größere Gefahr für die Rechte als für die Linke dar.


 
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