© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Flüsse sind nicht nur Wasserstraßen
Wasserschutz: Auen schützen vor Überschwemmung und regulieren die Fließgewässer
Adrian Gerloff

Anders als in stehenden Gewässern, in denen biologische, physikalische und chemische Prozesse in Zyklen ablaufen, bilden Fließgewässer ein offenes System, in dem sämtliche Prozesse von der Quelle bis zur Mündung durch Geologie und Böden, Klima und bestimmte Gebietsfaktoren bestimmt werden. Die Struktur der Fließgewässersohle und des Sediments spielen dabei eine ebenso entscheidende Rolle wie Gefälle und Abflußverhalten über das Vorhandensein von Organismengemeinschaften. Veränderungen der natürlichen Fließgewässereigenschaften wirken sich auf den gesamten Stoff- und Sauerstoffhaushalt aus.

Ein in Mitteleuropa weit verbreitetes Phänomen der Gewässerbelastung ist die Versauerung von Fließgewässern, hervorgerufen durch den Eintrag von Luftschadstoffen und die dadurch verbundene Mobilisierung von Aluminium und Schwermetallen. Toxische Belastungen entstehen ferner durch diffuse Zufuhr von Pestiziden aus landwirtschaftlichen Flächen und durch die in Industrieabwässern enthaltenen Stoffe.

Intakte Fließgewässer und ihre Überschwemmungsflächen stellen eine untrennbare Einheit dar. Bei Hochwassern, egal durch welchen natürlichen Umstand sie entstanden sind, werden die angrenzenden Auenbereiche überflutet und dienen damit äußerst effizient dem Hochwasserschutz. Die Fließgeschwindigkeit wird durch die Vegetation gemindert und durch die großflächige Verteilung des Wassers fließen die Wassermengen langsamer ab. Insofern kommt es an natürlichen oder naturnahen Fließgewässern sehr selten zu Flutkatastrophen.

Ein gutes Beispiel in diesem Falle ist der Vergleich der beiden größten deutschen Ströme Deutschlands, Elbe und Rhein. Die Elbe mit weiten Überschwemmungsflächen ist durch extreme Hochwassersituationen nie wirklich ernsthaft in die Schlagzeilen geraten. Der Rhein hingegen ist auf Grund seiner Verbauung, Begradigung und teilweisen Kanalisierung regelmäßig im Frühjahr Schauplatz folgenschwerer Überschwemmungen. Auch das sogenannte Jahrhunderthochwasser 1997 an der Oder wäre nicht in Erscheinung getreten, wenn der Fluß im Oberlauf nicht von seinen Auen getrennt und in ein künstliches Bett gezwungen worden wäre.

Neben dieser Pufferwirkung ist auch die Reinigungskraft der Auen für die Gewässer sehr wichtig. Die bei den Überflutungen mit eingebrachten Sedimente sind um so feiner, je langsamer das Wasser aus den Auen wieder abfließt. Die Auen werden so mit Nährstoffen versorgt und wirken als biologische Kläranlage. Zusätzlich wird das Flußwasser mit Sauerstoff angereichert, was die Selbstreinigungskraft des Wassers erhöht. Ein Teil des versickerten Wassers fließt nicht zurück in die Gewässer, sondern speist andere Grundwasserreservoire, die wiederum unsere Trinkwassergewinnung sicherstellen.

Auen haben für Tier- und Pflanzenwelt eine besondere Bedeutung. Tiere finden dort ihren Lebensraum, pflanzen sich fort und finden in ihr auch ihre Nahrungsgrundlage. Tiere und Pflanzen werden dank der Auen verbreitet. Dies dient nicht nur der geographischen Verbreitung der Arten, sondern ist für den Genaustausch innerhalb der Arten enorm wichtig. Großflächige Auwälder tragen zur Verbesserung der Luftqualität bei und reichern sie mit Feuchtigkeit und Sauerstoff an, zugleich filtern sie Staub heraus. Für den Menschen eine nicht minder wichtige Funktion nehmen die Auen als Platz der Erholung ein. Gerade in der Zeit der ersten Sonnenstrahlen sind die bunt blühenden Wiesen der Auen ein intensives Naturerlebnis.

Neues Bewußtsein verändert den Umgang mit Wasser

Die Gewässernutzung war in der Vergangenheit nahezu ausschließlich darauf ausgerichtet, den ordnungsgemäßen Zustand für den Wasserabfluß und die Schiffahrt sicherzustellen. Die vorrangige Nutzung der Gewässer unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Vorteile als Vorfluter oder Verkehrsweg und die sich daran einseitig orientierte Bewirtschaftung haben sie derart nachteilig verändert, daß sie in ihrer Funktion für den Naturhaushalt erheblich beeinträchtigt worden sind.

Mit einem veränderten Bewußtsein in der Gesellschaft über die Bedeutung der natürlichen Lebensgrundlagen ist ein Wandel im Hinblick auf die Bewirtschaftung der Ressource Wasser eingetreten. Als Lebensadern und Verbindungsstrukturen unserer Landschaft sind Bäche und Flüsse in zunehmendem Maße in den Blickpunkt des Naturschutzes gerückt. In den letzten Jahrzehnten haben sich vermehrt ökologische Konzepte durchgesetzt, mit dem Ziel, Einzugsgebiete von Gewässern zu renaturieren und die ehemals vorhandene Funktion der Auen und Flußniederungen zu revitalisieren, das heißt, einen naturnahen Zustand wieder herzustellen. Da dieser Aufgabe zahlreiche Nutzungsinteressen entgegenstehen, bedarf es neuer Wege, um diese Anliegen zu verwirklichen.

In einzelnen Bundesländern werden Konzepte für die Entwicklung eines Leitbildes, die Erfassung des aktuellen Zustandes, den planerischen Entwurf zum Schutz, zur Entwicklung und Pflege der Gewässer erstellt. Als grundlegendes Zielkonzept kann das Fließgewässerschutzsystem Niedersachsens gelten, daß in erster Linie ökologische Belange, daneben aber auch die Realisierbarkeit von Renaturierungsmaßnahmen berücksichtigt. Ziel soll es sein, für jede naturräumliche Region die typischen Fließgewässer-Ökosysteme mit ihrem Inventar an Pflanzen- und Tierarten zu schützen, zu pflegen, wo nicht mehr vorhanden, wieder zu entwickeln und auch zu nutzen.


 
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