© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Vagina aus Eisen
Ausstellung: "Torso der Frau" von Wilhelm Loth
Doris Neujahr

Es ist zur Zeit nicht leicht, in Berlin Kultur zu machen. Die Unsicherheit, ob die - ohnehin nur notdürftigen - Zuschüsse weiter fließen, betrifft gerade kleine Einrichtungen, deren finanzielle Strangulierung so leicht und unspektakulär zu bewerkstelligen ist. Und doch geschehen gerade hier die originellen Dinge, die über den Erwartungshorizont des durchschnittlichen Kulturkonsumenten hinausgehen.

In diesem Sinne hat das Georg-Kolbe-Museum in Berlin-Charlottenburg eine Ausstellung über den Bildhauer Wilhelm Loth eröffnet. Loth, 1920 in Darmstadt geboren und dort auch 1993 gestorben, wird zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Bildhauerei in der Nachkriegszeit gerechnet. Als er 17jährig Käthe Kollwitz besuchte, regte die ihn ausdrücklich an, eine Künstlerlaufbahn als Bildhauer zu wagen. Kollwitz' Einfluß beschränkte sich freilich auf diesen Ratschlag. Künstlerisch inspiriert hat sie ihn nicht. Erst 1947, nach der Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft, konnte Loth ein Kunststudium beginnen. Nur sieben Jahre später übernahm er den Lehrstuhl für "Freies Zeichnen" an der Technischen Hochschule in Darmstadt.

Loths großes Thema war der weibliche Körper. Ein repräsentatives Beispiel für sein Frühwerk ist die Ganzkörperplastik "Weibliche Figur, sitzender Zustand" von 1948, die noch eindeutig den anthropomorphen Figuren eines Aristide Maillol verpflichtet ist. Ende der fünfziger Jahre bewegte Loth sich weg vom klassischen Menschenbild hin zur Abstraktion. Statt Ganzkörper schuf er nun Torsi und ausschnitthafte Körperpartien in kubischen Formen aus Eisen, Bronze oder Neusilber. Wichtig für ihn war auch ein Aufenthalt 1960 in Rom, wo er sich intensiv mit den Plastiken von Giovanni Bernini auseinandersetzte. Seine "Reliefplastik 3/61 - Huldigung an Bernini: Teresa" zeugt vom Einfluß des bedeutenden Barockkünstlers auf ihn.

Loth gelang eine künstlerische Synthese ganz eigener Art. Seine Abstraktionen verzichten niemals auf Stofflichkeit und Vitalität, sie betonen vielmehr die Fruchtbarkeit und Fülle leiblicher Existenz. Schwellende Brüste und die untere weibliche Körperpartie mit ausdrücklicher Betonung der Vagina sind bevorzugte Darstellungsobjekte. Dabei gerät er niemals in die Nähe von Pornographie. Seine Skulpturen erinnern an frühgeschichtliche Fruchtbarkeitsfiguren. Der Betrachter bemerkt aber auch - sicherlich unbeabsichtigte - Parallelen zur barockisierenden Malerei des DDR-Kollegen Willi Sitte oder zu den prallen Frauenkörpern von Nicki de Saint-Phalle.

"Schönheit, das ist für mich nicht eine vom Leben abgehobene Idealvorstellung, sondern ich suche sie in Formen, die das reale Leben anbietet und die für mich schön sind, weil sie lebensbejahend sind. Eine Schönheit, an der alle Frauen teilhaben können." Wie zum Beleg dieser Aussage werden in der Ausstellung auch Fotos gezeigt, die Loth von nackten, den gängigen Schönheitsidealen widersprechenden Körpern reifer Frauen angefertigt hatte.

Bei aller Betonung der Modernität war ihm die Tradition wichtig. Er verarbeitete sie auf spezische Weise. Die "Doppelfigur - Hommage à Schadow" ist ein verfremdetes Zitat der populären, zur preußischen Ikone gewordenen Darstellung der beiden keusch verhüllten Prinzessinnen Luise und Friederike. Loth präsentiert die nackten Torsi von zwei jungen, modernen, unverkennbar sinnlichen Frauen.

Loth bemühte sich erklärtermaßen in seinen Darstellungen um Überzeitlichkeit. Die zeitbedingten Einflüsse auf sein Werk sind jedoch deutlich sichtbar. Manches erscheint mittlerweile vordergründig spektakulär und auf die Verblüffung des Betrachters hin angelegt. Oder ist dieser Einwand selber nur zeitgebunden und vom Überdruß an der aktuellen Übererotisierung der Medien und des öffentlichen Raumes bestimmt? Immerhin verrät jedes der ausgestellten Werke die eigene Handschrift Loths. Knapp zehn Jahre nach seinem Tod ist er etwas in Vergessenheit geraten. Aber auch das gehört zum Nachleben eines jeden Künstlers. Es ist wahrscheinlich, daß man seine Werke aus einiger zeitlicher Distanz wieder neu entdecken wird.

Der bilderreiche Katalog bietet eine vertiefte Einführung in Biographie und Werk des Künstlers und enthält ein vollständiges Werkverzeichnis samt Fotos.

Im Nebengebäude des Museums, in dem die Familie des Namensgebers und früheren Besitzers gewohnt hatte, wird bis zum 5. Mai eine weitere kleine Sonderausstellung mit den "Bildnissen der Familie Kolbe" gezeigt. Georg Kolbe selbst hatte sie angefertigt. Anlaß dieser Exposition ist der 125. Geburtstag des Künstlers am 15. April.

 

Die Ausstellung "Wilhelm Loth - Torso der Frau" wird bis zum 20. Mai im Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, 14055 Berlin, gezeigt. Der Katalog kostet 20 Euro.


 
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