© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Verfemt und vergessen
Biologische Metaphysik: Der vor vierzig Jahren verstorbene Erwin Guido Kolbenheyer ist aus dem Literaturbetrieb ausgegrenzt
Hans-Georg Meier-Stein

Leben und Werk von Erwin Guido Kolbenheyer sind heute nur noch wenigen bekannt, selbst unter Studenten der Germanistik, Deutschlehrern oder wissenschaftlich arbeitenden Germanisten und Philologen - nicht gerade zum Ruhme dieser Fakultät. Und bei den wenigen, die noch einmal beiläufig von ihm gehört haben, sind Person und Werk pejorativ belegt: Mit dem Namen Kolbenheyers assoziiert man kurzerhand einen Repräsentanten des Nationalsozialismus.

Gewiß war Kolbenheyer ein großer Patriot, der den Anschluß Österreichs und des Sudentenlandes freudig begrüßt hat, aber das Letzte, was man ihm vorwerfen könnte, wären Opportunismus, Schwäche und Kapitulationsbereitschaft, denn der schwerblütige, seinen metaphysischen Ideen strenggläubig anhängende Autor hat sich stets jedem Kompromiß und Arrangement mit der jeweils meinungsbestimmenden Herrschaft und jeder korrumpierenden Protektion verweigert. Tatsächlich ist Kolbenheyer nicht erst nach 1945 in die Vereinzelung geraten.

Schon von Jugend an einzelgängerisch disponiert, hat der 1878 in Budapest geborene, in Karlsbad aufgewachsene Sproß eines wohlhabenden Bürgerhauses stets das Umtriebige vermieden. Schon in seinen Jahren als Gymnasiast in Eger und in seiner Studentenzeit in Wien hat er seinen Freundeskreis mit Bedacht ausgewählt - ein Zug, der ihm zeitlebens zu eigen blieb.

Das bürgerliche Arbeitsethos mit seiner Strenge und Genauigkeit, dem Idol der Tüchtigkeit, die bürgerlichen Tugenden und die Bescheidenheit haben ihn Zeit seines Lebens ebenso beeindruckt wie das verfeinerte Lebensgefühl und Stilempfinden einer gepflegten bürgerlichen Häuslichkeit. Nicht ohne Selbstgefälligkeit und Stolz hat Kolbenheyer rückblickend in seinen Erinnerungen "Sebastian Karst" auf jene sublimierte Lebenskultur des etablierten Bürgertums verwiesen, in der er aufwuchs, auf die künstlerischen Neigungen seiner Familie, die für seine Entwicklung bestimmend waren. Und es spricht ganz für die konservative Bewußtseinslage Kolbenheyers, wenn er dem traditionellen Kulturleben seiner Heimat, den althergebrachten patrizischen Ordnungsstrukturen der böhmischen Kleinstädte immer wieder seinen Respekt, seine Bewunderung, seine liebevolle Anhänglichkeit bezeugt. Es spricht hier das Hochgefühl eines deutschen Patrioten, Teil eines blühenden Gemeinwesens zu sein und in der Schuld derjenigen zu stehen, die diese Kultur mit ihrer eigenen Hände Arbeit geschaffen haben.

Ein Reich des Einfachen, Reinen, Schönen ersteht hier, und mit seinem böhmischen Landsmann Adalbert Stifter teilt Kolbenheyer auch den Glauben an einen Bürger von ganz besonderer moralischer Zuverlässigkeit, von charakterlicher Integrität und tiefem sittlichen Ernst. Wie im "Nachsommer" wird auch im ersten Band des "Karst" ein arkadisches Bild jenes vergangenen Böhmen gemalt, das, von den modernen Wirtschaftsweisen noch nicht berührt, auf der Grundlage bürgerlicher Geschäftigkeit ein reiches Leben entfaltet hat, ein Leben des Handwerks, der Kunst, der Gemeinnützigkeit, aber auch getragen von Sitte, Ethos und Verantwortlichkeit.

Kolbenheyers philosophisches Hauptwerk ist "Die Bauhütte", eine biologische Metaphysik. Jeder Organismus wird darin als "Funktionsexponent" eines überindividuellen "plasmatischen Lebens", einer größeren organischen Einheit bestimmt. Auch die individuellen Neigungen des Menschen resultieren aus plasmatischer Reaktionsbefangenheit der völkischen, lebensständigen und familiären Erbmassen. Damit ist eine eindeutige Gegenposition zum Deutschen Idealismus bezogen.

Die Einsichten, die Kolbenheyer in seiner biologischen Metaphysik gewonnen hat, finden bei seinen Romanhelden ihre faßliche Deutung. Den historischen Hintergrund seiner Romane, "Meister Joachim Pausewang" (1910), die Paracelsus-Triologie (1917-1925) und "Das gottgelobte Herz" (1938), bilden die Mystik, die Spätgotik, der Humanismus und die Reformationszeit. In jener Zeit des Übergangs vom Spätmittelalter zur Neuzeit brechen in der rätselvollen deutschen Seele Triebkräfte hervor, die immer latent vorhanden waren und dem Lebenswuchs des Volkes neue Impulse geben. So geht es dem Dichter immer um den geistigen Zustand seines Volkes, die Bewahrung und Steigerung der schöpferischen Lebenskräfte des Volkes.

Die Hauptkrankheit des Historischen Romans im späten 19. Jahrhundert, die Beziehungslosigkeit der Vergangenheit zur Gegenwart, eine dekorative, kostümierende Gegenüberstellung des malerisch Poetischen als Kompensation zur grauen Wirklichkeit der Gegenwart, hat Kolbenheyer überwunden. Es geht dem Dichter um das Begreifen von Geschichte als Vorgeschichte der Gegenwart. Vergangenheit steht in organischem Zusammenhang mit der Gegenwart, und die Bekanntschaft mit den großen Vorbildern dient der Erkenntnis der großen Kämpfe der Vergangenheit und soll für die Gegenwart einen Weg aufzeigen.

Ein besonderes Stilmittel Kolbenheyers ist, sich in die deutsche Sprache jener Zeit hineinzufühlen, um sich so tiefer in die Gedankenwelt der Mystik hineinzudenken, ihre subtilen Regungen, Empfindungen und sensiblen Gedankengefüge auszudrücken, wozu die moderne Gegenwartssprache nicht ausreicht. Wenn der Verfasser die Personen seiner Historischen Romane in der Sprache der beginnenden Neuzeit sprechen läßt, so zeigt dies, wie tief er im Volksleben wurzelt. Freilich läßt sich auch nicht leugnen, daß die im archaischen Lutherdeutsch geschriebenen Romane dem heutigen Leser den Zugang erschweren.

Es ist unmöglich, Kolbenheyers gesamtes Oeuvre hier ins Blickfeld zu nehmen; es umfaßt philosophische Schriften, Romane, Novellen, Dramen, Lyrik. In den zwanziger und dreißiger Jahren erlebte Kolbenheyer zahlreiche hohe Ehrungen, wie 1926 den Tschechoslowakischen Staatspreis, 1937 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, 1941 den Kant-Preis der Stadt Königsberg, 1943 den Grillparzer-Preis der Stadt Wien. Nach 1945: Verurteilung, Enteignung, Verbotsverfügungen, Zurückdrängung des plötzlich unerwünschten Dichters.

Nicht wenige Angehörige der künstlerisch publizistischen Tätigkeitsbereiche höhnten ihm hinterher, im Vollgefühl, auf der Seite der Sieger zu stehen. Die literarische Prominenz, die sich über die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten entrüstet und mit selbstgewissem Stolz auf ihren Widerstand "gegen das Vergessen" verweist, kümmert es nicht, wenn der literarische Betrieb der BRD einen so bedeutenden Dichter wie Kolbenheyer total ausgrenzt. Einer dekadenten Spaßgesellschaft hat ein Mann wie Kolbenheyer freilich auch nichts zu sagen. Erwin Guido Kolbenheyer starb am 12. April 1962.


 
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