© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Neue Technologien: Lebensverlängerung
Apparate abstellen ist Scheinlösung
Angelika Willig

Dieser Tage tritt in den Niederlanden das vor einem Jahr verabschiedete Gesetz zur Sterbehilfe in Kraft. Die aufgeregte Diskussion darüber hat sich vorläufig gelegt, aber das Thema ist keineswegs ausgestanden. Das neue Gesetz erlaubt die aktive Sterbehilfe, sprich Giftspritze, in bestimmten Fällen. Ob ein solcher Fall vorliegt, entscheidet nicht der Betroffene allein. Ein Team von drei Ärzten muß dem Kranken unerträgliche Schmerzen sowie Hoffnungslosigkeit bescheinigen.

Aufgeweicht wurde diese Bestimmung schon vor ihrem Inkrafttreten, als der Arzt Philipp Sutorius einem 86jährigen Patienten den Todestrunk mischte, ohne daß die Kriterien erfüllt oder ein weiterer Arzt hinzugezogen worden wären. Sutorius wurde zwar von einem Amsterdamer Gericht schuldig gesprochen - doch eine Strafe wurde nicht verhängt, da der Täter "aus Mitgefühl" gehandelt habe.

Der "Lebensschutz" ist also von zwei Seiten angegriffen: Einerseits werden Gesetze zur Euthanasie unter bestimmten Bedingungen geschaffen, andererseits darüber hinausgehende Aktionen nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Schließlich gerät die offizielle Rechtswidrigkeit des Geschehens so sehr in Vergessenheit, wie es bei der prinzipiell immer noch "rechtswidrigen" Abtreibung längst der Fall ist. Auch bei der Sterbehilfe wird die Praxis bald so aussehen, daß, wer will, sein One-way-ticket bekommt, ob mit oder ohne "Indikation".

Was hat Sterbehilfe mit "neuen Technologien" zu tun? Im März mußten die Ärzte auf Weisung des Obersten Britischen Gerichts das Beatmungsgerät einer 43-jährigen Patientin abstellen. In Großbritannien ist die aktive Sterbehilfe genau wie in Deutschland verboten. Doch das "Abstellen der Apparate" findet dort wie hier die allgemeine Billigung und wird von Ärzten in Absprache mit Familienangehörigen ausgeführt. "Apparate abstellen" erscheint human und gleichzeitig gefahrlos. Man verhilft scheinbar nur der "Natur" zu ihrem Recht. Doch die meisten Schwerkranken stammen gerade nicht aus der Intensivmedizin. Sie liegen auf internistischen Stationen oder in Pflegeheimen und sind von "Apparaten" abhängig, die wir als solche gar nicht beachten. Es fängt an mit der lebenswichtigen Flüssigkeitszufuhr. Stellte man den Tropf ab und damit die Flüssigkeitszufuhr ein, würde ein Großteil der Patienten sterben - jedoch nicht, wie beim Abbstellen des Beatmungsgeräts, schnell und schmerzlos, sondern nach einer tagelangen Folter. Auch wenn die jahrelange Folter dadurch beendet würde, keiner könnte diese Passivität gegenüber dem Leiden aushalten.

Das vielgelobte "natürliche Ende" ist in vielen Fällen ein qualvolles Ende. Die Natur ist grausam. Wir mit unseren technischen Möglichkeiten sind dieser Grausamkeit nicht mehr gewachsen. Dabeistehen geht nicht. Wir können nur entweder Leben erhalten oder Leben beenden. Um die Entscheidung kommt keiner herum.


 
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