© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Wahlen im Armenhaus der Republik
Landtagswahl Sachsen-Anhalt I: Am Sonntag entscheidet sich, ob das Land von einem Bürgerblock, Schwarz-Rot oder Rot-Rot regiert wird
Claudia Hansen

Ein bunter Strauß von Rot, Blutrot und Grün über Gelb, Schwarz und Blau bis Braun in Form der Parteien buhlt um die Gunst der Wähler in Sachsen-Anhalt. Die sind aber stinksauer, denn das traditionsreiche Land mit den ehemals blühenden Industriezentren hält jede Menge negative Rekorde. Im bundesweiten Vergleich hat es die höchste Arbeitslosenquote, die höchste Insolvenzquote, die niedrigste Wirtschaftskraft, die höchste Pro-Kopf-Verschuldung und die niedrigste Investitionsquote. Das riecht nach "Abbruch Ost", und so ist es eher erstaunlich, daß überhaupt einer dieses Land regieren möchte.

Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD), der seit acht Jahren unter Duldung der PDS in Magdeburg amtiert, kann sich über einen neuen Spitznamen freuen. Er sei der "Kümmerer aus dem Sorgenland", schrieb ihm die Süddeutsche Zeitung ins Stammbuch. Ein mitteldeutsches Lokalblatt berichtet zudem von einer peinlichen Selbstdemontage Höppners. Als er auf einer Wahlveranstaltung statt von der Arbeitslosigkeit über die "Schönheit des kulturreichen Landes" mit den "vielen Denkmälern" reden wollte, brach das Publikum in aggressives Hohngelächter aus. Hilflos sei Höppner dann durch die Reihen geeilt und habe gerufen: "Sie achten Ihre Schätze nicht!"

Es wird die letzte Wahl vor der Septemberschlacht im Bund sein. Letzte Umfragen sehen die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Wolfgang Böhmer deutlich vorne. 1998 wurde die Partei von den Bürgern hart abgestraft, bekam nur etwa 22 Prozent der Stimmen. Jetzt liegt sie bei 32 Prozent. Diesmal wird den Umfragen zufolge die SPD abstürzen, auf magere 25 Prozent (1998: 35,9 Prozent). Manche sehen die Sozialdemokraten sogar auf dem dritten Platz hinter den Postkommunisten von der PDS. Deren Spitzenkandidatin, die frühere SED-Funktionärin Petra Sitte, kann auf circa 24 Prozent hoffen (1998: 19,6 Prozent). Nach Thüringen und Sachsen würde die SPD damit in einem weiteren Land zur Mittelpartei degradiert, was kein gutes Signal für Kanzler Gerhard Schröder (SPD) wäre.

Noch zeigt er sich betont gelassen, doch erhebliche Sorge bereitet den Genossen, wie selbstbewußt sich die SED-Nachfolger geben. Die PDS-Parteivorsitzende Gabi Zimmer tönt von "sozialistischer Politik durch mächtige Frauen", und PDS-Strippenzieher Roland Claus erhebt Ansprüche auf das Amt des Ministerpräsidenten. Rein rechnerisch ergebe die Addition der roten und dunkelroten Stimmen vielleicht eine hauchdünne Mehrheit. Allerdings schielt Höppner recht auffällig nach dem Rettungsring "Schwarz-Rot", den ihm sein CDU-Gegenspieler Böhmer zuwirft.

Neben einer großen Koalition, die Böhmer offen favorisiert, erscheint auch eine Konstellation nach dem Vorbild des Hamburger Bürgerblocks möglich. Die FDP mit ihrer populären Kandidatin Cornelia Pieper erreicht in Umfragen etwa neun Prozent (1998: 4,2 Prozent), immerhin ungefähr die Hälfte des vollmundigen Ziels von 18 Prozent. Dagegen liegt die erstmals antretende Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Schill-Partei) in Umfragen knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Innerhalb der FDP wie auch der CDU wird diskutiert, ob ein weiteres Techtelmechtel mit den von Hamburg expandierenden "Rechtspopulisten" vertretbar sei. Die SPD hat auf die Bedrohung durch Ronald Schills Anhänger mit einem witzigen Einfall reagiert: Seit Ostern klebt sie Plakate mit dem Hamburger Innensenator, neben ihm ein Hase. Der Hase "bringt Ostereier", Schill "bringt nichts", erklärten die Genossen.

Die "über 20 Prozent" und gar ein Vorschlagsrecht für den Ministerpräsidenten, wovon Parteigründer Schill vor einem halben Jahr träumte, liegen in weiter Ferne. Wohl ist denkbar, daß die Demoskopen die Schill-Partei unterschätzen, denn vor vier Jahren erzielte die DVU trotz schlechter Prognosen ebenfalls ein starkes Ergebnis. Allerdings erweist sich für die Schill-Partei der Name Ulrich Marseilles als Hemmnis, obwohl er aus wahlrechtlichen Gründen gar nicht auf der Kandidatenliste steht. Diese führt der Wirtschaftsprofessor Michael Kausch an, ein ehemaliger SPD-Politiker, der für mehr marktwirtschaftliche Reformen eintritt. Marseille formiert dennoch auf Plakaten als "Spitzenkandidat". Er strebt nach eigenen Worten ein Ministeramt an, andernfalls will er sich zurückziehen. Den Wahlkampf hat Marseille straff und professionell organisiert.

Die Regierungsparteien SPD und PDS sowie die Gewerkschaften unterstellen Marseille, es ginge ihm mit seinem politischen Engagement in Wahrheit um Fördergelder für seine Seniorenheime. Der Hamburger Unternehmer prozessiert mit dem Land Sachsen-Anhalt wegen verschiedener Ansprüche in Millionenhöhe. Die jüngsten Vorwürfe verschiedener Medien, er habe sich vor zwanzig Jahren ein Juraexamen erschleichen wollen, streitet Marseille gar nicht ab. Er hält der - in seinen Worten - "durchsichtigen Schmutzkampagne" entgegen, daß er schon während des Studiums unternehmerisch tätig gewesen sei. Sein Konzern biete heute "3.700 feste Arbeitsplätze", verkündet er im Wahlkampf immer wieder, und die Augen manches Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt beginnen zu leuchten.


 
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