© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Das Stiefkind der Nation
Bundeswehr: Der interne Bericht des Brigadegenerals Dieter Löchel zeichnet ein desaströses Bild der deutschen Armee
Lothar Groppe S.J.

Die kürzlich bekannt gewordene Studie des Ausbildungsbeauftragten des Generalinspekteurs der Bundeswehr, der 2.882 Soldaten aller Dienstgrade befragt und Gespräche mit Kommandeuren ausgewertet hat, kommt einer Bankrotterklärung gleich: "Die Misere, in der unsere Bundeswehr steckt, läuft jetzt direkt auf den Bundeskanzler Schröder zu. Unseren Chef Rudolf Scharping hat die Truppe weitgehend abgeschrieben."

Dieses Fazit zogen die Generale und Admirale unter Hinweis auf die als "geheim" eingestufte 31seitige Untersuchung von Brigadegeneral Löchel. Angesichts der "desolaten Lage" der Streitkräfte durch das "Kaputtsparen" der Bundeswehr "konzentrieren sich die Erwartungen auf den Bundeskanzler, da man von ihm jetzt die notwendige Unterstützung erwartet." Das "Sparschwein" der Nation ist ausgeblutet. Daß der Generalinspekteur die hochbrisante Studie sogleich wieder einsammeln ließ, erinnert an Christian Morgensterns: "daß nicht sein kann, was nicht sein darf."

Dabei pfeifen seit Jahr und Tag die Spatzen von den Dächern, daß die Bundeswehr völlig unterfinanziert ist. Das nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft größte europäische Land wurde zum Schlußlicht der Nato. Mit der "ruhigen Hand" des Bundeskanzlers, die einem laissez faire gleichkommt, ist es längst nicht mehr getan.

General Reinhard, ehemaliger Oberbefehlshaber im Kosovo, warnte vor dem Abenteuer Afghanistan, da die Bundeswehr hierfür weder personell noch materiell in der Lage sei. So fehlt es zum Beispiel an der notwendigen Transportkapazität. Von 78 Transportmaschinen "Transall" sind nur etwa 20 flugfähig. Über moderne Funkgeräte verfügt die Bundeswehr überhaupt nicht. Die wenigen Satellitentelefone, die sie besitzt, werden auf dem Balkan gebraucht.

Ohne Unterstützung befreundeter Armeen sind Auslandseinsätze überhaupt nicht möglich. Die einzigen minensicheren Fahrzeuge der Bundeswehr, die "Dingos", werden in Bosnien gebraucht, aber auch in Afghanistan benötigt. Ein Militärpfarrer berichtet, die Soldaten sähen einem Einsatz in Afghanistan mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Es herrsche nicht gerade Begeisterung. Die vollmundig verkündete "uneingeschränkte Solidarität", die der Bundeskanzler den Amerikanern versicherte, hätte keinen Rückhalt in der Truppe. Mit ihren rund 7.400 Soldaten ist die Bundeswehr auf dem Balkan personell und materiell an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angelangt. Um das Rotationssystem an Ausbildung, Einsatz und Ruhephase aufrechtzuerhalten, muß die vierfache Zahl an Soldaten in der Heimat zur Verfügung stehen. Weil das schon jetzt schwierig wird, bleiben viele Soldaten nicht wie vorgesehen vier, sondern sechs Monate auf dem Balkan. Spezialisten wie Medizintechniker oder die SatCom-Einheiten (Experten für die Satellitenkommunikation) sind noch länger und häufiger im Auslandseinsatz.

Nur fremde Unterstützung ermöglicht Auslandseinsätze

Von noch größerer Brisanz ist die Einstellung der Truppe zu ihrer Führung und Motivation. Zwar konnte man noch im vergangenen Dezember lesen, die Generale stünden hinter dem Verteidigungsminister, aber in auffallendem Kontrast hierzu steht seine interne Bezeichnung als "Oskar bin baden". "Die innere Lage ist angespannt, der politischen Leitung wird mit starken Vorbehalten begegnet", heißt es im Löchel-Bericht.

1972 sagte ich in einem Vortrag vor der Gesellschaft für politisch-strategische Studien: "Unsere Generale werden für gewöhnlich erst nach ihrer Pensionierung mutig." Die zahlreich anwesenden Generale aus mehreren Ländern waren von dieser Bemerkung nicht gerade angetan. Nach dem Vortrag sagte mir ein General: "Pater, Sie haben ja recht. Aber bitte sagen Sie so etwas nie wieder, sonst werden Sie nicht mehr eingeladen."

Meine Äußerung hatte einen schwerwiegenden Hintergrund. Aus fast neunjähriger Tätigkeit an der Führungsakademie der Bundeswehr, der Kaderschmiede für künftige Generale und Admirale, weiß ich, daß sich die meisten Offiziere bei brisanten Fragen vorsichtshalber bedeckt halten, um ihre Karriere nicht zu gefährden.

Am 16. Februar 1971 fragte ich auf der 16. Gesamtkonferenz der katholischen Militärpfarrer Bundesverteidigungsminister Schmidt, was er von der häufig geäußerten Ansicht des "Bildungszaren der Bundeswehr", Professor Ellwein, halte, das Fach Ethik habe in der Offizierausbildung nichts zu suchen. Am 8. Dezember 1970 hatte er in der Führungsakademie der Bundeswehr seine "Vorstellungen über die Offizierbildung" entwickelt. Auf die Frage, wie in einem Computer-Krieg die ethisch-humanitären Aspekte gewahrt werden könnten, erklärte Ellwein: "Der Soldat muß in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische Einstellung und Gesinnung kommt es überhaupt nicht an. Wichtig ist, daß er nur das tut, was er tun soll und keinen Deut mehr." Auf meine Fragen gab Schmidt nur ausweichende Antworten und suchte durch Mätzchen wie "Sie mögen wohl Herrn Ellwein nicht. Ich mag ihn", meine gewiß für ihn unangenehmen Fragen abzuwimmeln. Von den zehn anwesenden Generalen sekundierten mehrere dem Minister. Am übernächsten Tag suchte mich der Militärbischof auf: "Herr Pater, die Generale waren bei mir und sagten: Was haben Sie für einen großartigen Dekan. Er hat all unsere Probleme angesprochen." Ich entgegnete nur: "Wo waren denn die Heroen während der Diskussion?"

Das Vertrauen der Soldaten  in die Führung ist beschädigt

1997 veröffentlichte Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof das Buch "Wozu noch tapfer sein?" Zahlreiche Kameraden riefen ihn an und beglückwünschten ihn zu seinem Buch. Doch von Seiten des Verteidigungsministeriums wurde das Buch zunächst totgeschwiegen. Dann wurden Zeitungen, die von der Bundeswehr Anzeigen erhalten, darauf aufmerksam gemacht, daß sie künftig keine Anzeigenaufträge mehr erhielten, wenn sie auf das Buch hinwiesen oder es gar besprechen würden. Seither darf Schultze-Rhonhof, der über die vor allem in der Generalität höchst seltene Tugend der Zivilcourage verfügt, nicht in Kasernen und sonstigen Räumen der Bundeswehr sprechen.

General Löchel stellt in seiner Studie fest, daß auch das Vertrauen in die Spitzen der Bundeswehr "beschädigt" ist. Die Truppe stehe nicht mehr vorbehaltlos hinter der militärischen Führung. In den Augen der Soldaten hätten sich Vorgesetzte bei der Fürsorge vielfach aus ihrer Verantwortung gestohlen, indem sie sich hinter der politischen Argumentation, Geldmangel und dem Hinweis auf bestehende Gesetze verschanzten. In Verbindung mit den ge stiegenen Einsatzforderungen ergebe das "eine brisante Gefühls- und Stimmungslage".

Bei dieser Lage ist es nicht erstaunlich, daß "die Entscheidung einer wachsenden Zahl von gut- und hochqualifizierten Soldaten", nicht Berufssoldaten zu werden, durch solche Bewerber verstärkt wird, die eher dem "Bodensatz der Gesellschaft" zugehören. Wenn die Bundeswehr das Steuer nicht herumreißt, werden ihre Soldaten bald den untersten Rang aller halbwegs bedeutenden Armeen einnehmen. Wer auf Quote statt auf Qualität setzt, vermag keine Armee zu schaffen, die den gestiegenen Anforderungen moderner Kriegführung genügt. Die Studie von General Löchel sollte schleunigst aus der Versenkung geholt und gründlich analysiert werden, damit man vielleicht doch noch eine Lösung findet, die desolate Lage der Bundeswehr zu verbessern.

 

Pater Lothar Groppe SJ war Militärpfarrer und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr.


 
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