© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Bosnisches Ende
Niederlande: Regierung tritt nach Srebrenica-Bericht zurück
Alexander Barti

Nach so vielen Kriegstoten in den neunziger Jahren erinnert man sich nur noch dunkel an die Geschehnisse im Balkankrieg: Im Juli 1995 stürmten serbische Truppen das hauptsächlich von Muslimen bewohnte Srebrenica in Bosnien-Herzegowina. Die Stadt war eine Uno-Schutzzone, ihren Schutz sollten niederländische "Blauhelme" garantieren. Als die Serben angriffen, zogen sie sich zurück; 7.000 Muslime, vor allem Jungen und Männer, wurden daraufhin getötet.

Fast sieben Jahre danach haben Berichterstatter des Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (NIOD, www.srebrenica.nl ) einen Bericht vorgelegt, in dem sie vor allem dem bosnisch-serbischen General Mladic die Schuld für die Massaker geben - den niederländischen Soldaten könne hingegen kein Vorwurf gemacht werden. Allerdings machen die Verfasser des Berichts der politischen Führung schwere Vorwürfe: Politische Ambitionen mit moralischen Ansprüchen hätten die Niederlande dazu gebracht, sich auf eine "unklare" und "praktisch nicht durchführbare" Friedensmission in Bosnien einzulassen. Die eingesetzte Luftlandeeinheit sei für die Mission nicht trainiert gewesen, eine Strategie für den Rückzug oder eine eventuelle Verstärkung bei einer Eskalation der Gewalt habe man nicht eingeplant. Daher habe die Regierung unbeabsichtigt an einer "ethnischen Säuberung" mitgewirkt.

Nach einer Sitzung am 16. April, in der die holländische Regierung über die Vorwürfe des Srebrenica-Massakers beriet, teilte Regierungschef Wim Kok den Rücktritt seines Kabinetts mit. Bereits vorher hatten der Umweltminister Jan Pronk und der Verteidigungsminister Frank de Grave ihren Rücktritt angekündigt.

Ob die Regierung auch außerhalb der heißen Wahlkampfphase die Verantwortung übernommen hätte, bleibt unklar. Am 15. Mai wählen die Niederländer ein neues Parlament - die Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten (PvdA), Liberalen (VVD) und Linksliberalen (D66) stand ohnehin vor ihrem Ende. Bis ein neues Kabinett feststeht, regiert das alte weiter.


 
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