© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Schatten der Energiewende
Windkraft: Die Nutzung alternativer Stromquellen birgt Gefahren in sich
Adrian Gerloff

Seit einigen Jahrzehnten wird die Nutzung regenerativer Energiequellen von Umweltverbänden und Parteien als Alternative zur herkömmlichen Energiegewinnung aus Kohle und Atomkraft gefordert. Neben Solarenergie ist dies in erster Linie die Windenergie.

Unterstützt durch mehrere Förderprogramme des Bundes und der Länder sowie durch das Stromeinspeisungsgesetz setzte in den achtziger und neunziger Jahren eine deutliche Zunahme von Windkraftanlagen ein. Standen in Deutschland 1987 noch weniger als 250 Anlagen, so waren es im Dezember 1995 bereits 3655. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2010 zu verdoppeln.

Die dazu verabschiedeten Gesetze und aufgelegten staatlichen Programme haben zu einem verstärkten Ausbau der Windenergienutzung geführt. In der fachlichen Auseinandersetzung stehen den Anforderungen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die sich aus rechtlichen Vorgaben ergeben, die Befürworter einer alternativen Energieerzeugung aus Windkraft häufig unverständlich gegenüber.

Mit Inkrafttreten des neuen Bundesnaturschutzgesetzes vergangener Woche wird der unhaltbare Zustand eines bislang naturschutzrechtsfreien Raumes in Nord- und Ostsee außerhalb der 12-Seemeilenzone beendet. Meeresgebiete können zukünftig als "Natura 2000"- und Vogelschutzgebiete ausgewiesen werden. Mit "Natura 2000" soll EU-weit ein zusammenhängendes ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete aufgebaut werden. Die Genehmigung von Ölbohrinseln oder Windenergieanlagen wird künftig an der ausreichenden Berücksichtigung von Belangen für Natur und Landschaft und den damit verbundenen Schutzinteressen nicht mehr vorbeikommen. Energieversorgungsunternehmen werden verpflichtet, ihre Strommasten künftig gegen den vielfachen Vogeltod durch Stromschlag zu sichern. Allerdings wird dem Naturschutz nicht automatisch Vorrang vor der wirtschaftlichen Nutzung eingeräumt. So besteht die Gefahr, daß ein regelrechtes Wettrennen zwischen Windkraft und Naturschutz um Meeresgebiete entsteht. Bereits jetzt können Meeresflächen für den Bau von Offshore-Windkraftanlagen freigegeben werden und damit für den Naturschutz verlorengehen. Der erste Offshore-Windpark mit rund 200 Windkrafträdern ist bereits genehmigt und entsteht in der Nordsee vor der Insel Borkum.

Im Offshore-Bereich besteht bei Zugvögeln sowohl hinsichtlich des Nord-Süd- als auch des Ost-West-Zuges großer Forschungsbedarf. Diesbezüglich wurde ein Forschungsprojekt mit zwei Jahren Laufzeit im Auftrag des Bundesumweltministeriums und Umweltbundesamtes gestartet. Man weiß nur wenig darüber, ob und wie sich Windkraftanlagen im Offshore-Bereich der Nord- und Ostsee auf die Umwelt, die Tiere und die Sicherheit der Schifffahrt auswirken. Das soll sich nun ändern. Ein Projektteam wird unter Leitung des Alfred-Wegener Instituts für Polar- und Meeresforschung aus Bremerhaven das vorhandene Wissen zusammentragen und Bewertungsvorschläge unterbreiten. Zudem sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich unnötige Störungen und Belastungen vermeiden lassen. Das Forschungsprojekt läuft bis Ende 2002.

Die Nutzung der Windkraft fernab der Nord- und Ostseeküste gilt als eine wichtige zukünftige Energiequelle. Im Zuge des Erneuerbare Energie-Gesetzes wurden bisher über 2000 Offshore-Windenergieanlagen mit circa 8.000 Megawatt beantragt, die eine Ausdehnung von über 2.000 Quadratkilometern hätten. Im interdisziplinär zusammengesetzten Projektteam arbeiten neben dem Alfred-Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung die Germanischer Lloyd Wind Energie GmbH, die Germanischer Lloyd Offshore GmbH, das Institut für Vogelforschung, das Deutsche Windenergie-Institut GmbH, das Forschungs- und Technologiezentrum Westküste und das Institut für technische und angewandte Physik GmbH mit. Untersucht werden Belastungen der Meeresumwelt durch Offshore-Windenergieanlagen (Bau, Betrieb, Rückbau) im küstenfernen Bereich der Nord- und Ostsee. Im Blickpunkt stehen die Lebensgemeinschaften auf dem Meeresboden, Rast- und Zugvögel sowie die Meeressäuger. Für die Rast- und Zugvögel werden räumlich und zeitlich begrenzte Feldstudien zum Vorkommen und Flugverhalten in Nord- und Ostsee vorgenommen.

Angesichts der Vielzahl der beantragten Windenergieparks in Nord- und Ostsee sind standortspezifische Umweltverträglichkeitsstudien, die im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens notwendig werden, unumgänglich. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ist durchgängig anzuwenden und nicht nur für bestimmte Anlagetypen auszusetzen. Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen sind dabei vollständig umzusetzen.

Obwohl die Raumnutzungsansprüche von Windkraftanlagen und Vögeln kollidieren, liegen nur sehr wenige Untersuchungen über die Auswirkung von Windkraftanlagen auf Zugvögel vor. Bekannt ist, daß das Verhalten von Wattvögeln, Enten und Gänsen sowie Reihern und Störchen von Windkraftanlagen beeinflußt wird. Beispielsweise bei Arten wie dem Großen Brachvogel und dem Goldregenpfeifer wie auch beim Kiebitz ist zu erkennen, daß im Umkreis von 400 Metern zu Windkraftanlagen eine Nutzung als Rast- oder Nahrungsgebiet nicht stattfindet. Überfliegende Vögel zeigen sich von den Anlagen irritiert: Man konnte beobachten, wie sie herumflattern, sich neu formieren und sogar ihre eingeschlagene Flugrichtung ändern.

Die Folgen sind der Verlust von Rast- und Nahrungsplätzen sowie eine Barrierewirkung in bisher genutzten Flugkorridoren. Der Bau von mehr als 100 Windkraftanlagen im Küstenbereich ist somit als Eingriff nach Paragraph 17 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes anzusehen, da mit erheblicher Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, hier insbesondere der Avifauna und des Landschaftsbildes, zu rechnen ist.

Nur die Entwicklung und Anwendung wissenschaftlich anerkannter Erfassungs- und Bewertungsmethoden erlauben ein konfliktfreies Nebeneinander von Windkraftanlagen und Naturschutz und können beiden Seiten die notwendige Planungssicherheit geben.


 
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