© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Aus dem Leben einer Großfamilie
Kino II: "Monsoon Wedding" von Mira Nair
Werner Olles

Jahrhundertelange Traditionen prägen auch heute noch die Hochzeitsfeierlichkeiten im indischen Punjab. So obliegt die Organisation des Festes beispielsweise einzig und allein den Eltern der Braut. Bei der Familie des zu relativem Reichtum gekommenen Stoffhändlers Lalit Verma (Naseeruddin Shah) ist dies nicht anders. Drei Tage sind es noch bis zu diesem (nicht nur) freudigen Ereignis, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, und nach und nach treffen auch die über den ganzen Erdball verstreuten Mitglieder der Großfamilie ein.

Aber es liegen gleich mehrere Schatten über dem großen Ereignis. Aditi, die hübsche Braut, hat der Ehe mit dem Computerexperten Hemant aus dem fernen Houston nur widerwillig zugestimmt, denn sie ist immer noch heimlich mit einem hiesigen TV-Moderator verbandelt, der entnervte Vater ist im Grunde pleite und hat keine Ahnung, wie er das alles finanzieren soll, der zum Leidwesen seiner Mutter immer noch ledige Hochzeitsausrichter P.K. Dubey verliebt sich unsterblich in das wunderschöne Hausmädchen Alice, und Cousine Ria klärt die Familie über die merkwürdige Vorliebe des reichen Onkels für kleine Mädchen auf...

Lange war der indische Film vom europäischen und amerikanischen isoliert. Erst in den letzten Jahren hatten indische Regisseure die Gelegenheit, die Produktion in Europa oder in Hollywood zu studieren. Dadurch wurde in vielen Fällen ein wohltuender Realismus in den indischen Film getragen. Diese Handschrift ist auch in "Monsoon Wedding" spürbar.

Die in Indien geborene und heute in New York lebende Regisseurin Mira Nair ("Salaam Bombay!", "Mississippi Masala", "Kama Sutra") ist es auf wundersame Weise gelungen, realistisch-kleinbürgerliche Familienprobleme nicht in einer sinnlosen Tragödie oder grotesken Farce ausarten zu lassen, sondern einen geradezu klassischen Liebesfilm zu inszenieren. Auf der Biennale 2001 in Venedig als Bester Film mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, erzählt "Monsoon Wedding" nicht nur behutsam gesponnene Geschichten über den Mut zu leben und Fehler zu machen, sondern entwickelt sich nach einem eher harmlosen und unspektakulären Beginn schließlich zu einem außergewöhnlichen Einblick in das heutige Indien, in dem das Streben nach Modernität und Öffnung im Gegensatz zur Pflege uralter Mythen und Riten eine explosive und reizvolle Mischung des Zusammenlebens ergibt.

"Monsoon Wedding" ist aber auch eine Liebeserklärung an die chaotische Millionenmetropole Neu-Delhi mit ihren stets übervollen Straßen und Gassen und ihren herrlichen Villen am noblen Stadtrand. Nair, die hier aufgewachsen ist und nach eigener Aussage vor allem eine Hommage auf die ungeheure Lebenslust, die die Punjabi auszeichnet, drehen wollte, ist ein Film gelungen, der in märchenhaft schönen Bildern poetisch und mitfühlend drei Tage aus dem Leben einer Großfamilie erzählt.


 
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