© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Neue Technologien: Impfung gegen Alzheimer
Volksseuche überalterter Länder
Angelika Willig

Wenn alte Leute "trottelig" werden, hielt man das früher (wie die Alterstaubheit) für eine Form der Bösartigkeit. Keiner wollte glauben, daß etwa ein Bankdirektor, nur weil er 65 ist, nicht mehr bis drei zählen kann. Heute fällt bei solchen Phänomenen gleich der Name Alzheimer. Psychologie ist hier gar nichts, dafür gibt's handfeste organische Befunde, allerdings erst nach dem Tod zugänglich. Da zeigt das Mikroskop im Hirngewebe zwischen und in den Nervenzellen Ablagerungen von bestimmten Eiweißtypen, vor allem des Beta-Amyloid-Proteins. Der Ausdruck "einrosten" im Zusammenhang mit nachlassenden Geisteskräften bekommt hier seine Berechtigung. Nicht jede Altersdemenz (volkstümlich Altersschwachsinn) ist auf Morbus Alzheimer zurückzuführen. Doch immerhin 15% der über 65jährigen sind betroffen. Doch warum bekommen es die einen Alten, die anderen nicht? Gedächtnistraining und geistige Anregung sind gut und können sogar zur Bildung neuer Nervenzellen führen, wie neuerdings entdeckt wurde. Doch bei Alzheimer gibt es allem Anschein nach eine genetische Grundlage, gegen die sich vorläufig niemand wehren kann. Umso mehr bemüht sich die Forschung. Mehrere Gene, die Befehle zur Herstellung der "Rost"- Proteine geben, sind bereits - auf unterschiedlichen Chromosomen - lokalisiert und chemisch bestimmt. Diese Gene werden aktiv, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt sind, zu denen auch der Alterungsprozeß gehört. Unheimlich ist es, daß zum Ausbruch einer Krankheit ähnliche Höchstleistungen führen wie zu jeder normalen Funktion des Organismus. Die "kriminelle Energie" in jeder Zelle ist hoch und wartet nur auf ihre Chance. Hoffnungslos erschien die Lage, solange man die typischen Ablagerungen - Plaques - für die Fehlleistungen verantwortlich machte. Denn wie sollten die jemals zu entfernen sein, ohne das ganze Gehirn wie mit dem Staubsauger durchzupusten? Kürzlich ist aber im Tierversuch ein erster Alzheimer-Impfstoff, ein Antikörper namens "m266", erprobt worden. Der Antikörper bindet die gefährlichen Proteine und macht sie unschädlich. An die Plaques kommt das Medikament nicht heran - also beweist dessen Erfolg, daß die typischen Alzheimer-Symptome eher von den löslichen Stoffen im Hirn stammen als von deren Rückständen. Medikamente bedeuten jedoch nur Schadensbegrenzung. Parallel sucht man nach Möglichkeiten, die einschlägigen Gene auszuschalten, so daß es gar nicht erst zur Produktion von Schadstoffen kommt.

Übrigens gibt es außer dem Menschen kein Lebewesen, das von Alzheimer betroffen ist. Zum "Vertrotteln" braucht man offenbar Intelligenz. Für die Versuche mußte mit der "Alzheimer-Maus" eine neue Tierart gentechnisch erschaffen werden: Sie sieht aus wie eine Maus, funktioniert aber wie Harald Juhnke im Pflegeheim. Nur daß der sich wenigstens noch an seine Filme erinnert.


 
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