© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Die Macht des Kanzlers bröckelt
Landtagswahl Sachsen-Anhalt I: Nach dem Wahldebakel der SPD wird es für Gerhard Schröder eng / Stoiber hat nun die Mehrheit im Bundesrat
Paul Rosen

Es wird eng für Gerhard Schröder. Schon seit längerem ist dem amtierenden Kanzler klar, daß die Mehrheit der Deutschen dem rot-grünen Bündnis in Berlin keine Sympathien mehr entgegenbringt. Die Wechselstimmung, die 1998 breite Schichten der Bevölkerung erfaßt hatte, ist dahin. SPD und Grüne, die mit der Ankündigung angetreten waren, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen, haben in der Wirtschaftspolitik keine Erfolge erzielt. Die Bürger spüren die Konsequenzen von Rot-Grün in erster Linie durch Steuererhöhungen und weiter steigenden Lasten in der Sozialversicherung. Selbst die letzte Hoffnung einiger Sozialdemokraten, mit einer stärkeren PDS könnte es in Sachsen-Anhalt vielleicht noch einmal reichen, erfüllte sich nicht. Der Wähler setzte klar ein christlich-liberales Bündnis als neue Regierung in Magdeburg ein.

Für Berlin hat die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gleich mehrere Konsequenzen: Die nicht nur durch schlechte Wirtschaftsdaten, sondern auch durch die Kölner Korruptions- und Spendenaffäre gebeutelte SPD gerät weiter in die Defensive. Viele Wähler werden Schröder und seinen Genossen einen Sieg bei der Bundestagswahl am 22. September nicht mehr zutrauen. Zu angeschlagen ist der Ruf der Koalition, die wegen der Bundeswehr-Engagements im Ausland beinahe zerbrochen wäre und ihr letztes großes Projekt, das Zuwanderungsgesetz, im Bundesrat nur noch mit einem verfassungsrechtlich mehr als zweifelhaften Verfahren durchbringen konnte. Besonders bitter für Schröders SPD ist der Gleichstand der Sozialdemokraten mit der PDS. Die SPD hat es in den neuen Ländern nicht geschafft, sich nach der CDU als zweite Volkspartei zu etablieren. Die Wähler sind nicht so dumm, wie mancher in der SPD-Zentrale glauben mag. Schröders Gerede von der "Chefsache Ost" hält den Realitäten nicht stand. Und auch die zwei in den Medien plazierten Kanzler-Cousinen konnten Schröders Haut nicht retten.

Die SPD, die 1998 mit 40,9 Prozent auf Bundesebene zur mit Abstand stärksten Kraft geworden war, kann von einer Wiederholung dieses Ergebnisses nur noch träumen. Schröder gerät damit in eine schwierige Lage: Er kann sich nicht mehr - wie vor bald vier Jahren - den Koalitionspartner aussuchen. Gegen die SPD konnte seinerzeit keine Regierung gebildet werden. Ohne die Union besser zu machen als sie ist, sieht es heute dagegen danach aus, das nach dem 22. September gegen die Christlichen keine Regierungsbildung mehr möglich sein wird. Solche Spielchen wie eine Ampelkoalition erscheinen sehr unrealistisch. Die vom durch die Spendenaffäre angeschlagenen Generalsekretär Franz Müntefering geführte SPD-Wahlkampfzentrale "Kampa" nimmt man hilflos wahr. Den Sozialdemokraten fehlt die eloquente Führungsfigur, die 1998 mit Oskar Lafontaine noch zur Verfügung gestanden hatte - eine Art Volkstribun, der die Massen begeistern und mitreißen kann. Schröder hat sich als Mann mit der "ruhigen Hand" und Cohiba-Zigarre selbst demontiert.

Das könnte Stoibers Stunde sein. Der Kanzlerkandidat aus Bayern darf sich beim Wähler in Sachsen-Anhalt bedanken. Nachdem bereits anonyme Heckenschützen aus den eigenen Reihen die großen Zeitungen mit Kritik am Kanzlerkandidaten zu füttern begannen, dürften diese Stimmen angesichts des sensationellen Wahlsieges in Magdeburg schnell wieder verstummen. So war behauptet worden, Stoiber habe konservatives Profil über Bord geworfen. Nichts schweißt jedoch mehr zusammen als der Erfolg. Das war eine Erfahrung der Sozialdemokraten aus dem 98er Wahlkampf, und diese Erfahrung machen jetzt auch die Christdemokraten und ihre bayerische Schwesterpartei.

Stoibers Ziel, mit 40 plus x Prozent der Stimmen im September durch die Zielgerade zu gehen, erscheint realistisch. Sollte Müntefering nicht doch noch eine zugkräftige Kampagne für Schröder entwickeln, scheint die Realisierung des ersten Projekts des CSU-Chefs, die Union wieder zur stärksten Kraft zu machen, gesichert zu sein. Doch zur Ablösung der amtierenden Koalition gehört natürlich mehr. Stoiber braucht einen Koalitionspartner. Und auch hier hat Sachsen-Anhalt die Zeichen gesetzt: Die Wähler, die überhaupt noch an die Urnen kamen, votierten eindeutig für ein christlich-liberales Bündnis und nicht etwa für eine Große Koalition. Auch bei der Bundestagswahl dürfte den Liberalen ein besseres Ergebnis winken als jene 6,2 Prozent, mit denen sie 1998 in die Opposition geschickt worden waren. Parteichef Guido Westerwelle dürfte einem Bündnis mit Stoiber eher zugeneigt sein und sich weniger den schwächelnden Sozialdemokraten zuneigen wollen. Diese Chance hätte er während der rot-grünen Regierungskrisen in Berlin nicht nur einmal gehabt. Auch hier ist bereits eine Schlacht erfolgreich geschlagen: Den Wettkampf zwischen FDP und Grünen um den dritten Platz in Deutschland hat die FDP eindeutig für sich entschieden.

Bei der einstigen Ökopartei läutet ohnehin das Totenglöcklein. Im Auswärtigen Amt von Joschka Fischer versuchen prominente Mitstreiter des grünen Ministers bereits, auf gute Auslandsverwendungen zu kommen. An ein gutes Abschneiden der Grünen, Voraussetzung für eine weitere Regierungsbeteiligung, glaubt man offenbar nicht mehr. Die Grünen waren einst angetreten als Spaßpartei des westdeutschen Wohlstandsbürgertums. Jetzt, wo der Wohlstand langsam weicht, sind die Clownerien von Fischer, Jürgen Trittin und die stets betroffene Parteichefin Claudia Roth nicht mehr gefragt. Grüne und PDS haben eine sie schwächende Gemeinsamkeit: Sie sind jeweils Regionalparteien geblieben, die eine im Westen, die andere im Osten.

Die Wahl in Sachsen-Anhalt hat jedoch nicht das Fenster zur Erweiterung des deutschen Parteiensystems geöffnet. Die Schill-Partei blieb bei knapp unter fünf Prozent hängen. Ihre Träume von einem zweistelligen Ergebnis erfüllten sich nicht. Schills halber Erfolg ist nicht allein auf regionale Verhältnisse und die knappe Zeit für den Aufbau einer Parteistruktur zurückzuführen. Es ist vielmehr Stoibers integrierende Kraft in der Union, die das Zerfasern dieser Volkspartei aufhält. Es gehört wenig prophetische Gabe zu der Behauptung, daß die Schill-Partei bei einer Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel heute im Magdeburger Landtag sitzen würde. Damit dürfte die Union, die infolge des Machtverlustes und der Spendenaffäre bereits fest auf Niedergang gebucht war, noch einmal davonkommen. Aber was kommt nach Stoiber?


 
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