© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Europas orientalische Dimension
Die Ausstellung "Byzanz - Das Licht aus dem Osten" in Paderborn eröffnete einen Zugang zum östlichen Christentum und seiner Kultur
Wolfgang Saur

Der am Sonntag in Paderborn endenden Byzanz-Retrospektive ist während ihrer fünfmonatigen Ausstellungsdauer eine gewaltige Resonanz zuteil geworden. Damit stellte sich jedenfalls ihr Publikum der Herausforderung durch eine sonst ausgeblendete Dimension des Christentums, deren Thematisierung vielleicht weniger historisch und akademisch ist, als man vermuten mag. Das Wesen des christlichen Ostens hat Anteil an Traditionen, die bis in die Gegenwart reichen und auch für unsere geistige Orientierung belangvoll bleiben. Solches läßt sich anhand der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts plausibel machen.

Weltanschauliche und ästhetische Bewegungen wie Expressionismus oder Existenzialismus haben in diesen Jahrzehnten das problematische Dasein des modernen Menschen analysiert und mit universellen Grundfragen verknüpft. Katastrophenzäsur und historische Beschleunigung hatten neuzeitliche Konventionen und bürgerliche Gewißheiten nachhaltig erschüttert. Das mußte zu einer Radikalisierung kultureller Reaktion führen, jenseits verbrauchter Traditionsbildung.

Epigonen beiseite gesetzt, werden an dieser Wasserscheide zwei große Strömungen sichtbar. Zum einen die Modernisten, die über bisherige Defizite hinaus das "Projekt der Moderne" vollenden und dafür den säkularistischen Weg der Aufklärung zu Ende gehen wollen. Dann die andere Tendenz, welche die Miniaturrevolutionen von Dada bis zur Postmoderne für naive Scheinwagnisse hält, die nur tiefer in die westlichen Aporien hineinführen. Hier erscheint der Bruch mit dem Avantgarde-Prinzip und dem Fortschrittsgedanken überhaupt und die Hinwendung zu Symbolformen anderer Zeit und Kultur als notwendige Distanzierungsstrategie, um das Leben, jenseits des modernen Überbietungswahns, ganz neu auf Unvergängliches zu gründen.

Solch eine gewaltige Wiederentdeckung war die Ikonenmalerei. Tatsächlich ist im künstlerischen Modell der Ostkirche der provozierende Gegenentwurf zur westlichen Tafelmalerei gegeben. Im Vergleich erweisen sich beide nicht bloß als ästhetische Paradigmen, sondern zugleich als grundlegende Formen der Weltverarbeitung und Daseinsdeutung. Hatte die westliche Kunst seit der Renaissance in ihrer thematischen Phantasie und formalen Flexibilität als individuelle Charakterisierungskunst die Realität durchbuchstabiert, sich aber auch an sie verloren, hat die ausschließlich malerische Verkündigung der Ewigkeit Gottes in Rußland bis ins 19. Jahrhundert angehalten. Dem westlichen Kunstbild steht die Ikone als sakrales Kultbild in frontaler Monumentalität gegenüber. Sie will nicht illusionistisch eine Nachahmung der Natur erzeugen, vielmehr Idealbild, Urbild der geistigen Welt, Schau ewiger Archetypen, Fenster des Himmels und Erfahrungsmedium für eine ganz andere Dimension sein. Das Malen selbst ist dabei ein heiliger Vorgang, und der schichtförmige Farbauftrag vom Goldgrund bis zum dunkelsten Ton hin ein symbolisches Analogon des Schöpfungsakts.

Ergänzung finden die Bilder in der Architektur des östlichen Kirchenbaus. Dem basilikalen Longitudinalbau des lateinischen Kreuzes tritt hier als überkuppelter Zentralbau das griechische Kreuz gegenüber, eine "magische Welthöhle" im Kontext von Logos-Idee und "lichtspendender Perle", wie Spengler meinte. Geheimnisvoll leuchten die himmlischen Personen vom Goldgrund der Mosaiken und strahlen auf die Gläubigen herab. Der orthodoxe Kirchenraum fungiert als imago mundi: Findet horizontal eine sakrale Verdichtung auf das Allerheiligste statt, wobei die Ikonostase eine Membran zwischen Zeit und Ewigkeit bildet, so führen in der Vertikalen hierarchisch gestaffelte Bildprogramme den Bau bis zum Christus Pantokrator in der Tambourkuppel.

Das architektonische Gefüge symbolisiert das göttliche Universum im ganzen. Es vollendet sich im "Mysteriendrama" der Liturgie, die den kosmischen und mystischen Charakter der orthodoxen Frömmigkeit entfaltet. Deren ideeller Kern verheißt Wandlung, Verklärung: Christus ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde (theosis). Der heilige Geist wirkt als Taborlicht Christi. Wie für die Malermönche "setzt und gründet das Licht die Dinge, es ist ihre objektive Ursache, die eben deshalb nicht als etwas nur Äußerliches verstanden werden kann; es ist ihr transzendentes schöpferisches Prinzip, das sich durch sie manifestiert, sich aber nicht in ihnen erschöpft" (Florenskij). Die Lichtsymbolik der lebendigen Wahrheit spielt in der Religiosität des Ostens eine große Rolle, so wie der Epheserbrief verkündet: "Denn alles, was erscheint, ist Licht" (5,13)

Kein Wunder, daß gerade von diesem Komplex aus die Paderborner den Zugang zum östlichen Christentum suchen. Die Bischofsstadt mit ihrem rührigen Diözesanmuseum plante seit ihrer erfolgreichen Karolingerschau über das lateinische Mittelalter 1999 eine komplementäre Veranstaltung, die seit 4. Dezember unter dem Motto: "Byzanz - Das Licht aus dem Osten. Kult und Alltag im Byzantinischen Reich vom 4. - 15. Jahrhundert" im Schatten des gewaltigen Domes gezeigt wurde. Ein kritisches Wort von Ernst Robert Curtius aufgreifend ("Es gibt keinen Bereich europäischer Geschichte", der den "Gebildeten so fremd, so nebelhaft, so fern ist wie Byzanz."), holte man Byzanz einmal ins westliche Bewußtsein zurück, dessen Ignoranz hierin sonst notorisch war. Das Nachleben der Antike in seiner philhellenischen Variante galt traditionell fast ausschließlich dem klassischen Griechenland, war ästhetisch und anthropozentrisch bestimmt, desinteressiert an der byzantinischen Synthese, also irreligiös. Um so mehr erstaunt jetzt der immense Zulauf, den die Ausstellung erfuhr.

Die Retrospektive veranschaulichte die drei Kulturen von Byzanz: die Hofkultur und die des Volkes zunächst. Wurden diese nach dem Fall von Byzanz 1453 durch die Osmanisierung aufgesogen, überlebte die der Kirche und des Mönchtums. Außerhalb der Diaspora übernahm nun Rußland die Vormachtrolle in der Orthodoxie und deklarierte Moskau als das "3. Rom". Hier vor allem wirkte das byzantinische Erbe fort und formte Sprache und Glauben. Kristallisierte sich die westliche Tradition um Kreuzestheologie und Rechtfertigungsgedanken, kreiste der Osten um die Idee einer österlichen transfiguratio. Von daher und in Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus entstand der Entwurf einer "neuen Theokratie", die ökumenische Utopie einer spirituellen Evolution Europas. Dies wäre auch die Ablösung des modernen Auto-nomismus durch einen neuen Nomos Gottes.

Die Wiederbegegnung mit Byzanz nun erweist die Wahrheit eines tiefen Wortes von Gerd-Klaus Kaltenbrunner: "Europa ist geistesgeschichtlich mehr als 'der Westen'. Es war von allem Anfang an nicht nur geographisch, sondern auch kulturell nach 'dem Osten' hin offen. Es umfaßt in sich selbst eine orientalische Dimension, ohne die es nicht wäre, was es ist."

 Bildtext: Konstantin I., der Große: Der oströmische Kaiser erhebt Byzanz unter dem Namen Konstantinopel zur neuen Hauptstadt


 
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