© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
"Fischer hat die Ideale der Grünen verraten"
Parteien: Interview mit dem Ex-Grünen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli, der zur FDP überwechseln will
Moritz Schwarz

Herr Karsli, mit Blick auf Ihren Übertritt von den Grünen zur FDP äußerte der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, die Befürchtung, die FDP werde zum "Sammelbecken für populistische antiisraelische Stimmungen". Herr Spiegel denkt dabei nicht nur an die bekannten Aussagen Jürgen Möllemanns, sondern auch an Ihren Vorwurf, Israel bediene sich bei seiner derzeitigen Operation im Westjordanland "Nazimethoden".

Karsli: Ich bin weder antiisraelisch noch antijüdisch, noch antisemitisch. Wenn Sie wollen, ich bin auch ein Semit. Ich bin vielmehr "anti-Scharon" bzw. besser gesagt, gegen dessen Politik. Und ich bin nicht der einzige, der dagegen ist, auch in Israel gibt es viele Menschen, die gegen Scharons Politik demonstrieren. Scharon bringt keinen Frieden, auch seinem eigenen Volk nicht, statt dessen veranstaltet er Massaker. Ich bedauere das Wort "Nazimethoden" verwandt zu haben. Das war ein emotionaler Ausrutscher unter dem Eindruck der Fernsehbilder aus Palästina, die ich über die arabischen Sender sehe, die aber nicht von der deutschen Bevölkerung gesehen werden. Wenn Herr Spiegel das als "populistisch anitiisraelisch" deutet, ist das sein persönliches Problem. Aber tatsächlich ist es doch so, daß man in Deutschland beim Thema Israel den Menschen mit der Erinnerung an die Epoche des Nationalsozialismus schlicht und ergreifend Angst einzujagen versucht, damit sie den Mund nicht aufmachen und sich nicht zur Sache äußern.

Sie sehen eine moralische Lähmung der Deutschen durch das Verbrechen des Holocaust?

Karsli: Ganz genau. Ich erlebe das zum Beispiel, wenn ich mich mit Kollegen über das Thema unterhalte. Die erste Reaktion ist immer ein sich Umschauen, ob jemand da ist und mithören könnte. Ist niemand in der Nähe, äußern sie sich endlich einmal offen und fangen an zu schimpfen. Glauben Sie mir, die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht mehr bereit, Bilder wie die aus Dschenin länger hinzunehmen. Den Leuten ist klar, daß das, was sich die israelische Armee da erlaubt, einmalig in der Welt ist. Es ist bekannt, daß Israel seit Jahrzehnten gegen viele Uno-Resolutionen verstößt. Israel raubt palästinensischen Boden und baut Siedlungen darauf. Israel betreibt Staatsterrorismus: Es hat bereits eine Todesliste angefertigt mit Personen, die zu liquidieren sind. Ich setze mich dafür ein, daß auch Israel neben einem lebensfähigen palästinensischen Staat in Frieden und Sicherheit leben soll , aber es soll dabei bitte nicht tagtäglich die Würde des palästinensischen Volkes durch Israel verletzt werden.

Israel beruft sich auf den legitimen Kampf gegen den Terror. Wenn Deutschland den Kampf gegen den Terror in Afghanistan mit Truppen unterstützt, kann es dieses Recht den Israelis wohl kaum verweigern.

Karsli: Wenn es in Palästina um den Kampf gegen den Terror ginge, dann müßte eigentlich auch Scharon ganz schnell auf eine solche Liste gesetzt werden. Oder ganz schnell vor den neugegründeten Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden. Und ebenso viele andere israelische Spitzenpolitiker. Das Ergebnis wäre, einer setzt den anderen auf seine Abschußliste, und man bringt sich gegenseitig um. Außerdem ist die Frage, ob "Terror" nicht einmal fest definiert werden sollte. Wenn jemand gegen eine Besatzungsmacht kämpft, ist das denn Terror? Ich glaube, Terror richtet sich gegen Zivilisten. Wenn aber eine Besatzungsmacht sich gegen Zivilisten wendet, dann muß man mit allen Mitteln gegen diese Besatzungsmacht vorgehen, dann ist das der Kampf gegen den Terror. Auch die Palästineser haben ein Recht auf Selbstverteidigung. Wäre es nicht Israel, würde die internationale Gemeinschaft den Bruch so vieler Uno-Resolutionen nicht hinnehmen. Erinnern Sie sich, wie man im Falle Jugoslawiens eingeschritten ist, oder was man mit dem Irak gemacht hat - eben weil man die Uno-Resolution nicht vollzog.

Sie haben selbst erst kürzlich den Irak bereist. Warum?

Karsli: Ich habe an einem Solidaritätsflug mit 133 Mitgliedern vieler Hilfsorganisationen, Parteien und Privatpersonen teilgenommen. Ich wollte mir selbst einen Eindruck von der Situation vor Ort verschaffen. Mittlerweile sind durch das Embargo bereits 1,6 Millionen Menschen umgekommen. Viele von ihnen sind an Krebs gestorben. Verursacht durch viele tausende Tonnen von Uranangereicherten Bomben, die 1991 auf den Irak geworfen worden sind. Davon sind am meisten die Kinder betroffen. Zur Zeit sterben an den Folgen des Embargos monatlich weitere fünf- bis sechstausend Menschen. Das sind doppelt soviel Tote, als am 11. September in den USA durch den Terror umgekommen sind. Eine unerhörte Zahl, die hier im Westen einfach ignoriert wird.

Wie sollte sich die Bundesrepublik Ihrer Meinung nach gegenüber Israel verhalten?

Karsli: Deutschland sollte endlich einmal ein wahres und mutiges Wort äußern und zum Beispiel das Massaker von Dschenin verurteilen. Und es sollte darauf hinwirken, daß das Gleiche von Seiten der Europäischen Union geschieht. Wirtschaftssanktionen gegen Israel sollten nicht ausgeschlossen sein bzw. nicht verhindert werden. Die Politik, die Joschka Fischer betreibt, finde ich dagegen einseitig und heuchlerisch.

Das heißt, die Deutschen sind beim Thema Israel feige und die deutsche Politik lädt erneut Schuld auf sich - diesmal gegenüber den Palästinensern?

Karsli: In der Tat, "Feigheit" ist das richtige Wort. Manche verhalten sich sogar nach dem Motto: "Ich weiß nichts, und ich habe auch Angst, etwas zu wissen." Denn wenn sie etwas wüßten, müßten sie ein faires Wort dazu sagen, und das könnte politische Gefahr für sie bedeuten. Man muß allerdings zugestehen, daß der Einfluß der zionistischen Lobby auch sehr groß ist: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit "klein" kriegen. Denken Sie nur an Präsident Clinton und die Monika-Lewinsky-Affäre. Vor dieser Macht haben die Menschen in Deutschland verständlicherweise Angst.

Warum wollten Sie in die FDP eintreten, Sie hätten auch zur SPD wechseln können?

Karsli: Der Grund war die eindeutige und couragierte Haltung Jürgen Möllemanns, der nicht nur vielen Menschen hierzulande, sondern auch in der arabischen Welt aus dem Herzen spricht. Viele Menschen, die aus der Türkei, oder aus arabischen Ländern stammen, haben nun wiederum mir für meinen Schritt per Fax oder Telefon gedankt.

Gehen Sie mit dem Erbe des Holocaust vielleicht unbefangener um, weil sie ein nicht in Deutschland geborener Deutscher sind?

Karsli: Das ist möglich. Aber ich kann die geborenen Deutschen deshalb schon verstehen. Allerdings frage ich, wie lange kann man das noch mit sich herumschleppen? Ich bin der Meinung, ein Verbrechen kann ein anderes Verbrechen nicht rechtfertigen. Wenn ich so sensibel dem deutschen Naziterror gegenüberstehe, dann muß ich gegenüber der Machenschaften von Scharon genauso sensibel sein. Deshalb betrachte ich die jetzige deutsche Außenpolitik und Gesellschaftsmoral als Doppelmoral. Moral ist unteilbar, und man muß sich gegen jedes Unrecht zur Wehr setzen.

Warum sind Sie bei den Grünen ausgetreten, hat man Sie unter Druck gesetzt?

Karsli: Nein, erst jetzt versucht man das nachträglich so darzustellen, um die Empörung über mich aufzufangen. Tatsächlich aber war der Austritt meine eigene Entscheidung.

Früher waren die Grünen sehr antiimperialistisch gesonnen und stets die ersten, die Israel kritisiert haben. Wie erklären Sie sich diesen Wandel?

Karsli: Die Grünen haben sich tatsächlich sehr verwandelt. Joschka Fischer selbst hat sogar an Konferenzen der PLO teilgenommen, doch er scheint nicht nur das zu ignorieren, sondern auch die Tatsache, daß die Mehrheit der Deutschen ganz anders denkt, als es der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland entspricht.

Haben die Grünen also ihre Ideale verraten?

Karsli: Ich habe gemerkt, daß ich zwei Scheren im Kopf habe, eine auf Landes- und eine auf Bundesebene, das konnte ich nicht länger hinnehmen. Also habe ich klar Stellung bezogen. Wie meine ehemaligen Parteikollegen das angesichts der Bilder aus Palästina weiter unterlassen können, ist mir schleierhaft. Früher gab es bei den Grünen gegen jedes Verbrechen gleich eine Demonstration, heute aber bleibt man zu Hause. Das kann ich mit der deutschen Geschichte nicht länger entschuldigen, denn das steht gegen mein Gewissen. Insofern glaube ich in der Tat, daß Joschka Fischer die Ideale der Grünen verraten hat.

 

Jamal Karsli, 1956 in Manboj (Syrien) geboren, seit 1985 deutscher Staatsangehöriger, ist mit einer kurzen Unterbrechung seit Oktober 1995 Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Der Ingenieur und Dolmetscher war von Anfang 1993 bis zur vergangenen Woche (JF 18/02) Mitglied der Grünen. Jetzt hat er seine Aufnahme in die FDP beantragt.

 

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