© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Auf die Schlagzeile kommt es an
FDP: Mit dem Amtsantritt des machtversessenen Guido Westerwelle begann der wundersame Aufstieg der Liberalen
Paul Rosen

Wenn der FDP das Totenglöcklein geläutet werde, spätestens dann sei sie bald wieder munter, wußte Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten. Der Oggersheimer behielt wie so oft recht. Mehr noch: Seitdem der Bonner Guido Westerwelle die Liberalen in Deutschland führt, rückt die FDP weiter nach vorn - unaufhaltsam, wie es aussieht. Das ehrgeizige Projekt 18 scheint realisierbar. Und wenn der gute Trend anhält, dürften die Liberalen nach dem 22. September entscheiden, welche große Volkspartei mit ihnen die Bundesregierung stellt. Spätestens dann wackelt der Schwanz mit dem Hund.

Daß die FDP so weit kommen würde, war Westerwelle nicht ins Stammbuch geschrieben, als er mit nicht einmal 40 Jahren im letzten Jahr die Führung der FDP vom Hessen Wolfgang Gerhardt übernahm. Die Lage der Partei war damals nicht desolat, aber doch instabil. In den Landtagen war sie kaum vertreten, als Opposition im Berliner Reichstag nicht richtig wahrnehmbar. Gerhardt war als oberster Liberaler zu brav - oder wie sein nordrhein-westfälischer Intimfeind Jürgen Möllemann formulierte, "der schnarchende Löwe von Wiesbaden".

Noch in seinen letzten Wochen als Generalsekretär formulierte Westerwelle ehrgeizige Ziele: Er sprach vom Ende der großen Volksparteien im bürgerlichen und linken Lager und verwies mit Blick auf europäische Nachbarländer auf das Wiedererstarken liberaler Parteien. Damals äußerte er Erwartungen, die Berliner Beobachter in das Reich der Wolkenkuckucksheimer verwiesen: Die FDP, so Westerwelle, könne durchaus stärkste politische Kraft in Deutschland werden. Wie so oft im Leben, scheint der Visionär recht bekommen zu können.

Die von Westerwelle übernommene FDP war in den langen Jahren der Führung durch Hans-Dietrich Genscher und seines erfolglosen Nachfolgers Klaus Kinkel angestaubt und angegraut. Auch Gerhardt war es nicht gelungen, frischen Wind in die Truppe zu bringen. Die Wahlergebnisse zeigten nach unten, der dritte Platz im Parteienspektrum schien sich fest in Händen der Grünen zu befinden, der eigentlichen "Partei der Jugend". Deshalb suchte sich Westerwelte die einstige Umweltpartei als ersten Hauptgegner aus. Frech rief er zum Kampf gegen die Grünen auf, zugleich befreite er die FDP aus dem Bündnis-Automatismus mit der Union, die wegen der Spendenaffäre ohnehin daniederlag.

Die Grünen haben diese Schlacht verloren. Für junge Wähler der sogenannten "Generation Golf" besitzt Westerwelle mehr Anziehungskraft als Joschka Fischer oder Jürgen Trittin. Während man sich Westerwelle im Golf Cabrio vorstellen kann, wirkt die Aussicht, mit Trittin aufs Fahrrad steigen zu dürfen, eher abschreckend.

Westerwelle lernte eifrig von Möllemann und dessen Politikverständnis: Hauptsache eine Schlagzeile, egal ob positiv oder negativ. Das Projekt 18 war Möllemanns Erfindung, Westerwelle übernahm sie und fuhr bisher gut damit. Selbst als die Liberalen in Hamburg nur knapp mit fünf Prozent in das Parlament einzogen, feierte der Parteichef dies als Erfolg: Immerhin sei die FDP vorher nicht im Parlament gewesen. Zuvor hatte Möllemann in Nordrhein-Westfalen die Liberalen mit knapp zehn Prozent wieder in den Landtag geführt. Allerdings unterlag der frühere Lehrer aus Münster bei seiner Annahme, die Bürger hätten aus Überzeugung FDP gewählt, einem Irrtum: Die FDP hatte zahlreiche Leihstimmen von Unionswählern erhalten, die der CDU keine Chance gaben, in Düsseldorf die Macht zu übernehmen und statt Rot-Grün lieber Sozialliberal als kleineres Übel wollten.

Doch solche Kleinigkeiten stören nicht auf dem Weg nach oben, und den machtversessenen Westerwelle stören sie schon gar nicht. In Berlin folgte der nächste Erfolg wieder auf Kosten einer desolaten CDU, denn aus eigener Kraft und ausgerechnet mit dem abgehalfterten Wirtschaftsminister Günter Rexrodt an der Spitze wären die Spree-Liberalen nie in die Nähe der Zweistelligkeit gekommen.

Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt, dem letzten Urnengang vor der Bundestagswahl, zog Westerwelles Masche erneut. Er hatte sich bei seiner Wahl zum Parteichef die aus dem Land stammende Bundestagsabgeordnete Cornelia Pieper als Generalsekretärin an die Seite gestellt. Diese Wahl war seinerzeit auf bissige Kritik gestoßen: Die Reichstags-Hinterbänklerin Pieper galt nicht als Politikerin, die die FDP programmatisch nach vorne bringen könnte. Die Kritiker übersahen das Möllemann-Westerwelle-Gesetz, nach der Politik keine Programme braucht, sonder nur Aktionen und in den Medien präsente Personen mit wechselnden Aussagen. Mit ihren regelmäßigen TV-Auftritten und dem ihr nicht abzusprechenden Charme schaffte es Frau Pieper, zur bekanntesten Politikerin in Sachsen-Anhalt zu avancieren. Abgeschlagen hinter ihr landete CDU-Landeschef Wolfgang Böhmer, der in langen Jahren der von der PDS tolerierten Minderheitsregierung die Kärmerarbeit der Opposition allein zu erledigen hatte.

Seit dem Wechsel in Magdeburg legte Westerwelle die Latte wieder höher: Er überlegt, sich zum Kanzlerkandidaten auszurufen. Damit kopiert er erneut Möllemann, der schon lange fordert, die FDP solle einen Kandidaten aufstellen. Gleichzeitig weist Westerwelle seinen Mitstreiter, der aber auch immer Konkurrent ist, in die Schranken. Denn Möllemann hatte mit seiner Forderung natürlich nur seine eigene Kandidatur im Sinn. Als geschickter Taktierer und auch guter Rhetoriker im Bundestag wie im Fernsehen erweist sich Westerwelle dann doch als seriöser als der zur Maßlosigkeit neigende Möllemann.

Würde Westerwelles Rechnung, mit den Großen der Politik, der Union und der SPD, gleichziehen zu wollen, aufgehen, wäre das tatsächlich der Beginn eines "liberalen Zeitalters": Gegen die FDP könnte dann nur noch eine Große Koalition gebildet werden, die dann so groß nicht mehr wäre und bei den sie tragen müssenden Parteien als Notlösung verpönt ist. In der Tat spricht einiges für Westerwelles Annahme einer Stärkung der Liberalen: Beide derzeit großen Parteien erscheinen sozialdemokratisiert. Den vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog geforderten "Ruck", der durch Deutschland gehen müsse, trauen ihnen viele Wähler nicht zu. Ihre Führer, Gerhard Schröder bei der SPD und Edmund Stoiber bei der Union, erscheinen gegen den agilen Westerwelle behäbig und unflexibel. Die Union hat sich ohnehin nur mühsam hinter Stoiber geeint. Hätte der Bayer keinen Erfolg, droht das Auseinanderbrechen der CDU.

Und Konkurrenz für Westerwelle ist nicht in Sicht. Die Grünen befinden sich im Niedergang, und anders als in Österreich, wo die FPÖ zum Sammelbecken von unzufriedenen Wählem wurde, bleibt der Platz rechts von der CDU in Deutschland weiter frei. Westerwelle kann ernten, was er nicht gesät hat.


 
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