© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Eine mutige Steuerreform ist nötig
Frühjahrsgutachten: Die Wirtschaftsinstitute fordern Ausgabensenkung von der Bundesregierung / Mehr Investitionen angemahnt
Dirk Fischer

In ihrem letzte Woche vorgelegten Frühjahrsgutachten prognostizierten die fünf führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute für Deutschland im laufenden Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,9 Prozent. Im Herbst waren sie noch von 1,3 Prozent ausgegangen. In 2003 werde die Konjunktur aber dann um 2,4 Prozent anziehen.

Die Arbeitslosigkeit steigt in diesem Jahr noch auf 3,957 Millionen und erst im Jahr 2003 wirkt sich der Aufschwung auch hier aus und führt zu einem Rückgang auf 3,8 Millionen - meinen dieForscher. Das wäre zwar der niedrigste Jahresdurchschnitt seit 1995, trotzdem würde das von Bundeskanzler Gerhard Schröder angepeilte Ziel von 3,5 Millionen Arbeitslosen verfehlt.

In den noch immer unter den Spätfolgen von 45 Jahren kommunistischer Herrschaft leidenden Gebieten Nord- und Mitteldeutschlands wird das diesjährige Wachstum sogar nur 0,5 Prozent betragen, um sich dann aber in 2003 mit 2,3 Prozent dem westdeutschen Wert anzunähern.

"Der Aufschwung ist da!" meinte euphorisch SPD-Finanzminister Hans Eichel. Wirklich? Zunächst von zwei problematischen Annahmen aus: Einmal Lohnsteigerungen von 2,5 Prozent, was angesichts des Chemieabschlusses und der Tarifforderungen in der Metallindustrie zu niedrig erscheint. Und vor dem Hintergrund der unsicheren Entwicklung im Nahen Osten sieht ein Ölpreis von nicht mehr als 25 US-Dollar je Barrel wie Wunschdenken aus. Außerdem lagen die Prognosen in den letzten Jahren um durchschnittlich 0,9 Prozent daneben.

Die Wirtschaftsforscher sehen die Exportnation Deutschland hauptsächlich als Nutznießer einer Belebung der Weltwirtschaft. Diese konjunkturelle Wende wurde von der US- Wirtschaftspolitik eingeleitet: ein mehrjähriges Steuersenkungsprogramm und die Begrenzung der Staatsausgaben stimulierte hier das Wachstum. Es besteht also kein Anlaß für die Bundesregierung, sich den zu erwartenden bescheidenen Aufschwung ans Revers zu heften. Tatsächlich importiert Deutschland bloß die Vorteile aus den Reformen des Auslands.

Selbst bei dem angeblich so rigiden Sparkurs Hans Eichels bliebe die Quote der Staatsausgaben im Jahre 2004 um 2,4 Prozentpunkte über dem anvisierten Ziel. Im letzten Jahr betrug das Haushaltsdefizit 2,7 Prozent vom BIP und war damit um 1,4 Prozentpunkte höher als angepeilt. Ein Anstieg dieser Defizitquote war aufgrund der Einnahmenverluste aus der Steuerreform zwar erwartet worden, aber man hatte nicht mit einem Konjunkturabschwung gerechnet. Das führte fast zum "Blauen Brief" aus Brüssel, da man sich der im Stabilitätspakt festgelegten Obergrenze von drei Prozent näherte.

Die rot-grüne Bundesregierung konnte diesem Schuß vor den Bug nur dadurch entgehen, indem sie sich verpflichtete, den Staatshaushalt im Jahre 2004 nahezu auszugleichen, was nach allgemeiner Auffassung einer Defizitquote von maximal 0,5 Prozent entspricht. Hier hakt nun das Gutachten ein. Nach Auffassung der Forschungsinstitute ist es zur Erreichung dieses Ziels notwendig, daß die Ausgaben des Bundes in den Jahren 2003 und 2004 um jeweils 0,5 Prozent gesenkt und die Ausgabensteigerungen bei Ländern und Gemeinden auf jährlich ein Prozent begrenzt werden. Das würde einem Sparvolumen von acht Milliarden Euro pro Jahr entsprechen. Wie Eichel sich durch das Gutachten bestätigt sieht und gleichzeitig aber weitere Sparpakete ablehnt, bleibt vor diesem Hintergrund unverständlich.

Die negativen Folgen eines Nichterreichens des Konsolidierungsziels beschränken sich nicht bloß auf die Sanktionen der EU, sondern haben Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung, etwa durch die Bindung von Kapital, was sonst privaten Investitionen zur Verfügung stünde und dem möglichen Konsumverzicht in Erwartung von Steuererhöhungen.

Es geht also ums Sparen. Dabei sollen aber die Personalkosten und Sozialausgaben gesenkt werden und nicht die Investitionen, etwa in die Infrastruktur oder die Bildung. Schon jetzt sind die öffentlichen Investitionen in Deutschland, gemessen am BIP im internationalen Vergleich, mit die niedrigsten. Damit wird deutlich, daß Sparen kein Selbstzweck, sondern das Ziel die Freisetzung der Dynamik der Privatwirtschaft ist. Staatlich gebundene Mittel sollen in den privaten Sektor zurückfließen und im Wettbewerb in die effizienteste Verwendung gelenkt werden, um das Wachstum zu stimulieren. Nur wer spart, kann auch Steuern senken - so die "neoliberaler" Lehrmeinung. Die Wirtschaftsexperten befürchten trotzdem, daß in der Praxis weitere Sparmaßnahmen insbesondere der Kommunen zu Lasten der investiven Ausgaben gehen.

Das erscheint besonders bedenklich, wenn etwa der Unternehmerverband Mecklenburg-Vorpommerns, der dieses Jahr schon über ein Nullwachstum in seinem Land froh wäre, seine Hoffnung gerade in die Investitionen der Kommunen setzt. Die Wirtschaftsforscher fordern deshalb, die Konsolidierungsmaßnahmen mit einer Reform der Kommunalfinanzen zu verbinden.

Wo genau gespart werden soll, dazu findet man im Gutachten nichts. Das sei nicht Aufgabe der Forschungsinstitute. Die Aufstellung des Budgets kann als die Essenz der Politik betrachtet werden. Letztlich sind Wahlen nichts anderes als die Abstimmung über den Staatshaushalt, und aus dieser Perspektive verheißt der Wahlkampf nichts Gutes. Statt Sparvorschlägen werden mehr Geld für Familien, Ganztagsschulen oder andere Wahlgeschenke versprochen. Auch die vielbeschworene "neue Rolle Deutschlands in der Welt" kostet Milliarden - die globalen Bundeswehreinsätze und der "Kampf gegen den Terror" müssen finanziert werden.

Die politische Auseinandersetzung sollte daher in eine Debatte über die notwendigen Staatsaufgaben und damit Staatsausgaben münden. Die Opposition ist mit Forderungen nach Steuersenkungen schnell bei der Hand, ohne allerdings zu sagen, auf welche Ausgaben verzichtet werden kann. Auch von den Verbänden hört man viel von Deregulierung, aber keine Vorschläge zu dem, wo es weh tut. Es ist daher das Verdienst des Frühjahrsgutachtens, wenigstens zu versuchen, den Blick von der populären Steuerdiskussion auf die unpopuläre Ausgabendiskussion zu lenken.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen