© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Bedingungsloser Anhänger Stalins
Mario Franks biographische Betrachtungen über den DDR-Staatschef und SED-Parteivorsitzenden Walter Ulbricht
Ekkehard Schulz

Die Person des langjährigen DDR-Staatschefs und SED-Parteivorsitzenden Walter Ulbricht (1893-1973) scheint mit der Öffnung der Archive und der zunehmenden zeitlichen Distanz das Objekt verstärkten Interesses zu sein. Sieht man von Carola Sterns Ulbricht-Biographie aus dem Jahre 1964 ab, so konnte die Studie des Juristen und Journalisten Mario Frank auf viele Arbeiten der letzten Jahre, so Peter Przybylskis "Tatort Politbüro", welches den Sturz Ulbrichts skizziert, und das 1995 im Dietz-Verlag erschienene Werk von Norbert Podewin zurückgreifen.

Die Biographie Franks zeigt Ulbrichts nahezu klassischen Lebenslauf eines kommunistischen Funktionärs: Mit 18 trat der Leipziger Tischlergeselle in die SPD ein. Rasch verfügte der engagierte sozialistische Jugendfunktionär über gute Kontakte zum linken Flügel der Partei um Liebknecht und Luxemburg. Als sich 1917 der linke Flügel der SPD zur USPD abspaltete, schloß sich Ulbricht diesem Schritt an. Für den weiteren Aufstieg Ulbrichts erwies sich ausgerechnet die erste schwere innere Krise der 1920 aus der USPD hervorgegangenen KPD als karrierefördernd: Als sich Ende 1923 die Weimarer Ordnung zu festigten schien und ein schneller Umsturz unwahrscheinlich wurde, brach in der KPD ein Streit über den zukünftigen Kurs aus: Während die Parteiführung einen eigenständigen Kurs gegenüber den kommunistischen Führern im Kreml befürwortete, erwies sich Ulbricht als bedingungsloser Anhänger der Moskauer Doktrin, was 1924 durch den Kominternsekretär Dimitri Manuilski honoriert wurde, indem er Ulbricht in die Organisationsleitung der Kommunistischen Internationale (KI) für einige Jahre nach Moskau berief.

Im November 1929 übernahm Ulbricht, inzwischen Reichstagsabgeordneter, auf Wunsch der KP-Führung die Leitung des Bezirks Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmarkt. Bei der Organisation von Rededuellen, politischem Terror (sogar an der Ermordung der Polizisten Anlauf und Lenck war Ulbricht wissentlich beteiligt) und Saal- und Straßenschlachten mit der von Goebbels geführten Berliner NSDAP bewies Ulbricht seine Qualitäten als Führungskader, besonders auch bei seinen zahlreichen Aktionen gegen die ungleich stärker verhaßte Sozialdemokratie. Bei den Berliner Verkehrsarbeiterstreiks im Sommer 1931 hatte er keine Scheu, zusammen mit Goebbels aufzutreten.

Die Zusammenarbeit mit der NSDAP offenbarte die wichtigste Voraussetzung für seinen Erfolg im Parteiapparat - seine Fähigkeit, Meinungen innerhalb kürzester Zeit den aktuellen Vorgaben anzupassen: So nahm er auch bei parteiinternen Richtungskämpfen durchaus eindeutig Stellung, konnte jedoch ohne Hemmungen jederzeit eine vollständige Revision seiner bisherigen Ansichten vollziehen, wenn es ihm aufgrund anderer Machtkonstellationen geboten schien. Frank stellt in seiner Biographie allerdings heraus, daß Ulbricht mit seiner unzweifelhaft hohen kognitiven Fähigkeit durchaus in der Lage gewesen sei, eine realistische und differenzierte Sicht der politischen und ökonomischen Entwicklungen bis Anfang 1933 vorzunehmen, doch dies im Sinne der Parteidisziplin bewußt unterließ. Damit rechtfertigte Ulbricht das Moskauer Vertrauen und erwies sich als geeigneter Funktionär. 1933 ging Ulbricht ins sowjetische Exil und hielt sich bereit, um nach einem eventuellen Sturz des neuen Regimes sofort zur Verfügung zu stehen.

Interessanterweise begann er, sich nach Einsetzung der "Gruppe Ulbricht" als Statthalter in der sowjetischen Besatzungszone von seinen Lebensprinzipien zu lösen. So entwickelte er immer mehr Stolz auf sein eigenes deutsches "Experiment" und vernachlässigte damit die Regeln der kommunistischen Staatenordnung. Seine mangelnde Bereitschaft, sich mit den neuen Entwicklungen im Zentralkommitee der KPdSU nach Stalins Tod auseinanderzusetzen, führte zu seiner schleichenden Isolation. Vom ehemaligen Kronprinzen Honecker wurde der Funktionär mit Moskauer Hilfe noch zu Lebzeiten entmachtet.

Die interessanteren Kapitel der Biographie sind zweifelsohne diejenigen, die sich der Zeit bis 1945 widmen. Hier konnte Frank erstmals auf bislang verschlossene Akten der Kommunistischen Internationale zurückgreifen. Trotzdem stellt Franks Arbeit weniger für den Zeithistoriker als vielmehr für den historischen Laien eine sinnvolle Zusammenfassung bisheriger Forschungsergebnisse dar. Ekkehard Schulz

Mario Frank: Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie. Siedler Verlag, Berlin 2001, geb., 540 Seiten, 24 Euro


 
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