© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
"Tendenz steigend"
Helmut Stücher, Gründer der Philadelphia-Schule
Alexander Barti

Herr Stücher, in Amerika werden rund zwei Millionen Schüler zu Hause unterrichtet, in Deutschland sind es nur 200 Familien, also ca. 500 Schüler - das ist recht wenig. Wie ist die Tendenz, gibt es eine Zunahme dieser Lernmethode in Deutschland?

Stücher: Die Tendenz ist steigend, besonders nach der Pisa-Studie, obwohl das nicht die Hauptgründe sind. Die meisten verantwortlichen Eltern erkennen, daß das eigentliche Problem in der Erziehung liegt, die von den Schulen nicht mehr gewährleistet wird.

Gibt es regionale Schwerpunkte bei den Heimschülern?

Stücher: Das kann man nicht sagen, Heimschulen gibt es im ganzen Bundesgebiet.

Wie ist die Situation in Europa, gibt es Länder, in denen Heimschulen besonders verbreitet sind?

Stücher: Ich habe keine aktuellen Zahlen parat, aber in England dürfte das "Homeschooling" verbreitet sein; vor allem, weil dort - ebenso wie in den anderen Ländern Europas - kein Schulzwang besteht. In England gibt es nur eine Erziehungspflicht, so daß der privat organisierte Unterricht rechtlich gesehen einfacher ist.

In der deutschen Bildungsdebatte wird vor allem die Ganztagsschule gefordert. Kann man mit einer verschärften Gangart gegen die Heimschule rechnen?

Stücher: Nein, das glaube ich nicht.

Nach dem Pisa-Desaster hat man alle möglichen Vorschläge gehört - von "Homeschooling" war nie die Rede. Wie anerkannt ist diese Methode unter Bildungsexperten?

Stücher: Für viele ist das neu, die kennen das nicht mal aus Amerika, obwohl es die Hausschule auch schon in der Weimarer Republik gab. Deswegen bemühen wir uns um Aufklärung.

Wie muß man sich den Heim-Unterricht konkret vorstellen, müssen die Eltern nicht auch besonders - zum Beispiel pädagogisch - gebildet sein?

Stücher: Es entscheidet sich normalerweise ein Elternteil für den Unterricht der Kinder; wichtig ist dabei das Programm, mit dem gelehrt wird. Der beste Pädagoge ist immer noch die Mutter, weil sie ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihren Kindern hat. Unser Programm der "Philadelphia-Schule" ist so aufgebaut, daß jeder Elternteil damit lehren kann, selbst eine Abiturprüfung ist nicht notwendig. Allerdings haben wir auch nur Lehrprogramme von Klasse eins bis zehn; wer seine Kinder bis zum Abitur selbst unterrichten will, muß natürlich schon besser gebildet sein. Aber es gibt kein Problem, nach der 10. Klasse aufs Gymnasium überzuwechseln.

Empfinden es die Kinder nicht als einen Schock, wenn sie in der 11. Klasse plötzlich mit einer "nomalen" Schule konfrontiert werden?

Stücher: Ich selbst habe meine sieben Kinder hier zu Hause unterrichtet und kann sagen, daß es zwar ungewohnt, aber kein Problem war, als sie nach der Realschulprüfung aufs Gymnasium gegangen sind. Die schulischen Leistungen waren überdurchschnittlich gut, und gleich nach dem ersten Jahr wurden sie zu Klassensprechern gewählt - es gab also auch keine sozialen Konflikte.

Welchen finanziellen Aufwand muß man betreiben, wenn man seine Kinder selbst unterrichten will?

Stücher: Die Lehrmittel für eine Heimschule kosten rund 50 Euro monatlich, das kann also eigentlich jede Familie bezahlen.

 

Helmut Stücher, 68, ist Schulberater, verheiratet und hat elf Kinder. Stücher gründete 1980 die erste bundesdeutsche Heimschule. Er ist Vorsitzender des Schulbundes Philadelphia-Schule, Christ, parteilos und Autor zahlreicher Publikationen über Schule und Familie. Kontakt: Grabettstr. 48, 57080 Siegen, Tel.: 02 71 / 2 50 86 50, Fax: 02 71 / 2 50 86 51

 

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