© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Wirtschaftspazifismus
Tarifpolitik: Streikrecht durch staatliche Vermittler ersetzen
Kai Alexander Schlevogt

Streik ist die Fortsetzung der Gewerkschaftspolitik mit anderen Mitteln - und genauso zerstörerisch wie Krieg. Angesichts des Wettbewerbsdruckes fleißigerer Nationen ist er ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Warum sollte man die Produktion unterbrechen, um Zugeständnisse herauszupressen, wenn man von vornherein weiß, daß sie wieder aufgenommen wird? Dies gleicht der Politik von Ländern, die sich bekriegen und auf den Trümmern aussöhnen.

Die jetzt von der IG Metall ausgerufenen Streiks schaffen externe Kosten, die nicht vom Verursacher - den dort organisierten Arbeitnehmern und ihren Funktionären getragen werden. Neben dem Produktionsausfall verliert die gesamte Volkswirtschaft einer Nation durch Schwä­chung der weichen Standortfaktoren. Verunsicherte Inves­toren werden Deutschland mittel- und langfristig meiden - ein Land, das ihnen viel bieten könnte.

Die Gewerkschaften verhalten sich auch unsozial gegenüber den bald vier Millionen Arbeitslosen. Wenn der nach den Streiks ausgehandelte Lohn über dem Marktgleichgewicht liegt, übersteigt das Angebot die Nachfrage nach Arbeit, was zur Arbeitslosigkeit führt. Ertragseinbußen können zu Entlassungen (oder weniger Neueinstellungen) führen. Lohnsteigerungen über dem Produktivitätswachstum ent­werten Geld. Inflationshemmende Zins­erhö­hungen der Europäischen Zentralbank dämpfen Wachs­tum und Beschäftigung.

Zivilisierte Staaten betrachten Krieg nicht mehr als legitimes Mittel. Staat, Arbeitgeber und Gewerkschaften sollten ebenso statt Gewaltanwendung eine neue aufgeklärte Wirtschaftsstrategie verfolgen. Das übergeordnete Ziel muß die Steigerung des Barwertes des "Unternehmen Deutschland" sein, nicht die Verteilung des kleiner werdenden Kuchens. Wenn sich die Summe der - abgezinsten - zukünftigen Barerträge aller Unternehmen erhöht, kann sich jeder mehr abschneiden. Wirtschaftliche Effizienz widerspricht nicht sozialer Gerechtigkeit. Vielmehr hebt sich der Klassenkampf in einer neuen ideologiefreien Synthese, die allen nützt, auf.

In einem sozialen Waffenverbot sollte der Staat den Gewerkschaften das Arbeitskriegsmittel entziehen. In letzter Instanz legen statt dessen staatliche Vermittler verbindliche Gleichgewichtslöhne fest. Ohne Streikverbot sollten hingegen die sozialen Kosten mittels von den Gewerkschaften zu entrichtender Abgaben internalisiert werden.

Kurzfristig denkende "Masken des Kapitalismus" spielen mit Nullsummen, indem sie möglichst viel "Mehrwert" aus dem "Proletariat" herauspressen. Intelligente Unternehmer wissen dagegen, daß sie über Arbeitskämpfe mitbestimmen. Eine Kultur, die Leistung materiell und ideell belohnt, steigert die Produktivität zum Wohle der Firma. Kapitalbeteiligungen von Arbeitnehmern synchronisieren Anreizsysteme. "Effizienzlöhne" über dem Marktniveau binden die Belegschaft.

Gewerkschaften der Zukunft sollten zum "Produktivitätspartner" der Arbeitgeber werden und individuelle Potentiale im kollektiven Betriebskonzert voll entfalten. Zudem sollten sie Arbeitslose ohne Beitragspflicht aufnehmen. Sie werden so bei wachsendem Einfluß die Interessen ihrer bisherigen Opfer berücksichtigen. Dies wäre eine "Jeder-gewinnt"-Wirtschaft.


 
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