© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Deutsch nur wider Willen
Südtirol: Die Volkspartei plädiert für eine "Europäisierung" der Minderheitenfrage / Europaregion des "historischen Tirol"
Christian Giacomuzzi

Daß der "Plent" ein Maiskuchen und die "Troppl" eine Falle ist, das wissen auch nach knapp 30 Jahren Autonomiestatut und Zweisprachigkeitspflicht nur die deutschsprachigen Südtiroler. Daher organisierte die Landesverwaltung der Provinz Bozen im vergangenen Herbst erstmals den Nachhilfekurs "Hoi Hanni", bei dem lerneifrigen Italienern die Geheimnisse des Tiroler Dialekts enthüllt wurden. Denn bei allem sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt, den die Südtiroler Landesregierung in Jahre langem Feilschen mit Rom errungen hat, so steht eines fest: Sobald sich ein Italiener in einer Gesprächsrunde befindet, wird Italienisch geredet. Auch dann, wenn alle anderen Teilnehmer deutschsprachige Südtiroler sind.

Nach der Verfassungsänderung vom Vorjahr, durch die der deutsche Name "Südtirol" erstmals im italienischen Grundgesetz festgeschrieben wurde, schien der Nationalitätenstreit endgültig überwunden zu sein. Die Südtiroler Volkspartei (SVP) verzichtete dadurch indirekt auf ihre Unabhängigkeitsbestrebungen. Der vor 83 Jahren geschlossene Friedensvertrag von Saint Germain, eigentlich ein Siegerdiktat, das Österreich und die damaligen Tiroler entschieden abgelehnt hatten, wurde bestätigt. Damit setzte die SVP auch einen Schlußpunkt unter den Volkstumskampf, der seit 1918 das zentrale Anliegen der Südtirolpolitik gewesen ist. Daß es sich allerdings in mancher Hinsicht um einen Scheinfrieden handelt, das ist ein offenes Geheimnis. Noch bei ihrem letzten Parteitag, der Ende November 2001 in Meran unter dem Motto "Globale Heimat" stattfand, bezeichnete sich die Volkspartei als "Sammelpartei der österreichischen Minderheit in Italien". Daher werde der Kontakt zum Bundesland Tirol und zum "Vaterland Österreich" gesucht. Oberstes Ziel sei der Schutz der deutschen und ladinischen Volksgruppe "im Rahmen einer verantwortungsvollen Politik in Abstimmung mit der Schutzmacht Österreich". SVP-Obmann Siegfried Brugger rief zu "größter Wachsamkeit und größtem Einsatz" auf, damit "wesentliche Säulen" der Autonomie nicht in Frage gestellt würden. Dabei wurden in einer einstimmig beschlossenen Entschließung Proporz (anteilmäßige Berücksichtigung der ethnischen Zugehörigkeit bei der Vergabe der Stellen in öffentlichen Ämtern), Pflicht zur Zweisprachigkeit, Schulwesen oder Sprachgruppenzugehörigkeit genannt.

Erst Ende Januar reichte das Land Südtirol eine arbeitsrechtliche Klage gegen die italienische Postverwaltung ein, weil diese in Südtirol 19 Personen beschäftige, die entweder nur Italienisch sprächen oder nicht hinreichende Deutschkenntnisse aufwiesen. Anläßlich der jüngsten Olympischen Spiele in Salt Lake City rief SVP-Obmann Brugger den öffentlich-rechtlichen österreichischen Rundfunk ORF dazu auf, die Südtiroler Sportler nicht als "Italiener" zu bezeichnen. Es sei klar, daß die Südtiroler Athleten in den verschiedenen Sportarten zu den italienischen Mannschaften gehörten, aber sie seien deswegen nicht automatisch "Italiener im Sinn, wie wir es hier verstehen", betonte Brugger. "Es ist für uns schon sehr befremdlich, wenn derartige Bezeichnungen in der Berichterstattung gerade im ORF, dem Sender aus unserem Vaterland Österreich, genannt werden", so der SVP-Chef und Parlamentsabgeordnete.

Da es ein "Zurück zu Österreich" aber nach der jüngsten Verfassungsänderung und der Verabschiedung eines dritten Autonomiestatuts mit vermehrten Zuständigkeiten für die autonome Provinz Bozen offiziell nicht mehr geben soll, plädiert die Volkspartei nun für eine "Europäisierung" der Minderheitenfrage. Einen Schub in diese Richtung stellte vor allem die jüngste Einführung des Euro dar. "Der europäische Einigungsprozeß hat mit der Einführung der gemeinsamen Währung Euro einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht", erklärte etwa der Südtiroler Sozialdemokrat Egmont Jenny und fügte hinzu: "Besser als alle anderen Europäer können dies die zahlreichen ethnischen Minderheiten beurteilen, die unter der Ideologie des Nationalismus am meisten gelitten haben."

Dieselbe Meinung vertritt auch Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP). Der Chef der Landesregierung betonte jüngst bei der Verleihung eines Ehrenpreises durch die slowenische Minderheit in Kärnten, daß angesichts der bevorstehenden EU-Erweiterung eine Stärkung der Minderheiten auf europäischer Ebene wünschenswert sei. "Europa tut gut daran, schon jetzt entsprechende Lösungen zu suchen", sagte Durnwalder und verwies darauf, daß "mit den neuen Staaten auch neue Minderheiten" kämen. Am Ende des Assoziierungsprozesses würden es fast 200 Volksgruppen und rund 100 Millionen Menschen sein. Ihnen versprach Durnwalder die Solidarität und Unterstützung Südtirols.

Als Plattform für die Stärkung der europäischen Minderheiten will die Volkspartei den zur Vorbereitung der Osterweiterung und der Institutionen- Reform geschaffenen EU-Konvent benützen. Den Vorsitz in der Einrichtung führt der zentrumsbürgerliche französische Altpräsident Valerie Giscard d'Estaing (UDF), ein entschiedener Befürworter von Regionalismus und Minderheitenschutz. Österreichs freiheitliche Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer betonte am 12. April anläßlich eines Italien-Besuches, daß sie sich gemeinsam mit der römischen Regierung im Rahmen des EU-Konvents verstärkt für eine "aktivere Rolle der Regionen in Europa, sowie den Schutz der Minderheiten einsetzen" wolle. Das Beispiel Südtirol sowie der Schutz der slowenischen Minderheit in Österreich könnten in einer künftigen EU-Grundcharta als Modell dienen, meinte die 41jährige FPÖ-Politikerin am Rande eines Treffens mit dem christdemokratischen italienischen Europaminister Rocco Buttiglione und mit Italiens postfaschistischem Vizepremier Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale).

Zur territorialen Verankerung der grenzüberschreitenden Autonomiebestrebungen dient der Südtiroler Landesregierung die 1995 gegründete "Europaregion Tirol", ein arbeitsgemeinschaftlicher Zusammenschluß der autonomen Provinzen Südtirol und Trient sowie des österreichischen Bundeslandes Tirol.

Diese "Europaregion" genießt allerdings keinen völkerrechtlichen Status und mußte sich bislang mit der Rolle eines Forums Landeshauptleute für multilaterale Kontakte begnügen. Die Ambition der SVP ist es nun, angesichts der verstärkten europäischen Integration das Zusammenwachsen des "historischen Tirol" zu fördern.


 
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