© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
"Fanal für Europa"
Geert Van Cleemput, Parlamentarischer Berater des Vlaams Blok, über Chancen und Scheitern einer Euro-Rechten
Moritz Schwarz

Herr Professor Van Cleemput, Sie sind Parlamentarischer Mitarbeiter des Vlaams Blok im belgischen Parlament und seit der Gründung der Partei 1977 Mitglied. Wie hat man in Belgien und besonders im niederländischsprachigen Flandern die Ermordung Pim Fortuyns aufgenommen?

Van Cleemput: Die Menschen in den Niederlanden hat der Mord an Pim Fortuyn ganz außerordentlich bewegt. Es ist wohl das aufwühlendste politische Ereignis in den Niederlanden seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber auch wir in Flandern sind geschockt: Auch hier konnten die Menschen kaum glauben, was sie am Montag letzter Woche in den Nachrichten sehen mußten.

Wie reagierte man im Vlaams Blok?

Van Cleemput: Wir waren wie vor den Kopf gestoßen, und jeder denkt nun natürlich über seine eigene Sicherheit nach. Filip Dewinter zum Beispiel, einer der führenden Vertreter des Vlaams Blok, wurde im vergangenen Jahr vor und während eines Fernsehinterviews in den Niederlanden angegriffen.

Sie sind Mitglied der "Studiengruppe" des Vlaams Blok, zuständig für strategische Fragen. Hat die Ermordung Pim Fortuyns eine Bedeutung für die politische Rechte - nicht nur in Holland und Flandern, sondern in ganz Europa?

Van Cleemput: Pim Fortuyn sprach Dinge an, die mit dem Diktum der political
correctness belegt waren, und er formulierte Probleme und Bedenken, die Menschen in ganz Europa haben, weil wir europaweit mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert sind, zum Beispiel der Einwanderung oder der steigenden Kriminalität. Pim Fortuyn nannte solche Tabus beim Namen und wurde dafür erschossen. So erscheint er nun vielen Menschen in Europa als ein Märtyrer für die Meinungs- und Redefreiheit.

Pim Fortuyn könnte also zum Märtyrer der europäischen politischen Rechten werden?

Van Cleemput: Ich bin eigentlich gegen einen Begriff wie europäische "Rechte", da ich die Verwendung der Begriffe "rechts" und "links" unzulänglich finde. Aber bitte: Bezüglich der Meinungs- und Redefreiheit gilt er zumindest in den Niederlanden nicht nur Menschen, die politisch "rechts" angesiedelt sind, im eben genannten Sinne als Märtyrer. Ob er auch zum Märtyrer der politischen Rechten in Europa wird, kann man wohl noch nicht voraussagen. Zweifellos aber ist der Mord an Pim Fortuyn ein Fanal für die Wirkung, die die Vorverurteilung und Dämonisierung politisch Andersdenkender haben kann. Und das ist in der Tat ein Problem, mit dem es die politische Rechte in fast ganz Europa zu tun hat.

Ist es überhaupt zulässig, von einer "europäischen" Rechten zu sprechen, da es rechte politische Bewegungen zwar in den meisten europäischen Ländern gibt, sie aber kaum in Beziehung miteinander stehen?

Van Cleemput: Auch diese Frage zeigt die Unzulänglichkeit des traditionellen Rechts-Links-Schemas. Denn die europäischen Rechtsparteien sind zu unterschiedlich und vor allem ein Produkt der jeweiligen spezifischen Situation und nationalen Tradition in ihren Heimatländern. Der Vlaams Blok zum Beispiel existiert, um die politische Unabhängigkeit Flanderns zu erreichen. Nationale Unabhängigkeit ist aber für Parteien wie etwa die FPÖ, den Front National oder die italienische Alleanza Nationale kein Thema, denn sie haben bereits ihren unabhängigen Nationalstaat. Front National und Alleanza Nationale vertreten sogar politische Auffassungen, die den unsrigen völlig entgegengesetzt sind: Frankreich besteht bekanntlich genaugenommen aus sieben oder acht verschiedenen Völkern, mit deren Unabhängigkeit eine Partei wie der Vlaams Blok natürlich grundsätzlich sympathisiert. Le Pen vertritt dagegen einen nationalen Zentralismus. Ebenso Alleanza-Chef Gianfranco Fini, während wir eine Unabhängigkeit Südtirols von Italien begrüßen würden.

Steckt aber in den unterschiedlichen Interpretationen des Nationalen nicht ursprünglich ein gleichklingendes Element?

Van Cleemput: Was meinen Sie genau?

Das Streben nach nationaler Unabhängigkeit etwa des Vlaams Blok oder der Schottischen Nationalpartei drückt eigentlich nichts weiter aus als den Wunsch der Flamen und Schotten nach Achtung ihrer nationalen Identität. Nichts anderes steckt aber auch hinter den "klassischen" Nationalparteien wie der dänischen Volkspartei oder den deutschen Republikanern, die zwar schon einen Nationalstaat haben, aber ihre Identität im eigenen Hause in Gefahr sehen.

Van Cleemput: In der Tat leiden die Menschen auch in Ländern wie Dänemark oder Deutschland, die anders als Flamen, Iren oder Schotten keine nationale Unabhängigkeit mehr erkämpfen müssen, unter einer Mißachtung ihrer nationalen Identität. Denn die Idee der multikulturellen Gesellschaft nimmt ihnen ihre angestammten Werte und Lebensweise. Dieser Mißstand war auch ein Grund dafür, daß Pim Fortuyn wie aus dem Nichts ein solch kometenhafter Aufstieg gelungen ist: Er versprach, dafür zu sorgen, daß die Niederlande niederländisch bleiben. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Einwanderer nach Europa kommen, um hier Flamen, Dänen oder Deutsche zu werden, aber die Idee der multikulturellen Gesellschaft sorgt dafür, daß sie Asiaten oder Afrikaner bleiben. ­ Kein Vergleich zu den USA, wo die legalen Einwanderer einen Eid auf Verfassung und Nation abzulegen haben und stolz darauf sind, Amerikaner zu werden. Insofern haben die rechten Parteien Europas tatsächlich ein gemeinsames nationales Interesse.

Welche weiteren verbindenden Elemente sehen Sie?

Van Cleemput: Da ist erstens, wie schon erwähnt, der Kampf gegen die political correctness, die die etablierten Kräfte in Europa über bestimmte Themen verhängt haben, um zu verhindern, daß die politische Rechte ihre Inhalte in die politische Diskussion einbringen kann. Zweitens, die Einwanderung, mit der auf unterschiedliche Art und Weise die meisten Länder Europas konfrontiert sind. Drittens, das Problem der steigenden Kriminalität, der in vielen europäischen Staaten nach wie vor mit der von den Achtundsechzigern herrührenden nachsichtigen Haltung begegnet wird - Verbrechen sei lediglich ein Spiegelbild der Gesellschaft -, anstatt wieder moralische Standards zu etablieren. Viertens, ­und dieser Punkt berührt wiederum den ersten Punkt, der Protest gegen eine etablierte Politikerkaste, die keine Rücksicht mehr auf den Wählerwillen nimmt und dafür sorgt, daß in wechselnden Koalitionen immer die gleichen Kräfte an der Macht beteiligt sind. Mit dem Protest dagegen hat auch Pim Fortuyn sein politisches Wirken begonnen: Als Kolumnist des holländischen Nachrichtenmagazins Elsevier hat er seit langem die sogenannte "violette Koalition" Premierministers Wim Kok angegriffen. Ähnlich war die Situation in Österreich vor dem Wahlsieg Jörg Haiders und der FPÖ. Und in Italien hat sogar das gesamte etablierte Parteiensystem letztlich zugunsten der rechten "Pol der Freiheit"-Koalition aus Lega Nord, Alleanza Nationale und Forza Italia abgedankt.

Erwarten Sie, als Konsequenz des Attentats auf Pim Fortuyn, ein Überdenken der Politik der Ausgrenzung gegenüber den Rechtsparteien unter den europäischen Etablierten?

Van Cleemput: Nach der Ermordung Fortuyns zog ein belgischer Journalist im
Gespräch mit mir den Cordon sanitaire in Zweifel, den die belgische Politik seit 1989 mit der Begründung, wir seien rassistisch, ausländerfeindlich und rechtsextrem, um den Vlaams Blok gelegt hat. Ob der Mann das auch in seiner Fernsehsendung sagen wird, ist natürlich eine andere Frage. Doch wäre eine solche Diskussion eine gewaltige politische Veränderung. Ich bin allerdings ausgesprochen skeptisch.

Sie haben mit dem Kampf gegen die political correctness, die Einwanderung, die steigende Kriminalität und die Selbstherrlichkeit des politischen Establishments vier strategische Momente für die Entstehung einer europäischen Rechten genannt. Welche Rolle könnte die Verteidigung der Volkssouveränität gegen die Europäische Union spielen?

Van Cleemput: Das ist in der Tat ein weiterer wichtiger Punkt, denn die EU in ihrer derzeitigen Gestalt ist eine Gefahr für die nationale Souveränität der europäischen Völker. Die Europäische Union zieht die Hoheitsrechte der Nationalstaaten zunehmend an sich und legt sie obendrein in die Hände von EU-Beamten, die jeder echten demokratischen Legitimation und Kontrolle entzogen sind. Allerdings unterscheiden sich auch hier die Positionen der verschiedenen europäischen Rechtsparteien: Während der Front National offenbar einen Austritt Frankreichs aus der EU anstrebt, tritt der Vlaams Blok durchaus für eine Zusammenarbeit der europäischen Nationen ein, ­allerdings unter Achtung der nationalstaatlichen Souveränität. Womit ich übrigens die Souveränität der Völker und nicht die der derzeit existierenden Staaten meine.

Wie könnte angesichts dieser Übereinstimmungen eine gemeinsame Leitidee der europäischen Rechten aussehen?

Van Cleemput: Am geeignetsten wäre zweifellos wohl die Idee der Leitkultur, als Ausdruck des Rechtes eines jeden Volkes, in seiner Identität zu leben.

Sie meinen, politisch identitär gegenüber EU und Parteienestablishment und kulturell identitär gegenüber anderen Kulturen?

Van Cleemput: Jede Kultur hat das Recht, in ihrem Land entsprechend der eigenen Werte zu leben. Es könnte also bei allen Unterschieden europäischer Konsens sein, das Ansinnen von Einwanderern zurückzuweisen, ihre Kultur nicht nur im privaten Bereich, sondern auch in der Sphäre des Öffentlichen auszuleben, und diese Kultur auch noch als gleichberechtigt mit der einheimischen zu betrachten.

Während die europäischen rechten Parteien den gemeinsamen Ideen kaum Beachtung schenken, betrachten die Linken in Europa die Rechten oft schon als eine Art einheitliche politische Bewegung.

Van Cleemput: Ja, und viele der sogenannten Linken lehnen bereits seit langem die Existenz nationaler Identität überhaupt als Kunstgebilde ab. Tatsächlich ist ihr globales
Konzept der multikulturellen Gesellschaft nichts anderes, als die Verneinung jeder nationalen Identität. In Belgien propagieren sie die belgische Idee, weil diese eigentlich nichts anderes ist als eine multikulturelle Gesellschaft im Kleinen: denn in Belgien leben von Haus aus Wallonen, Flamen, Deutsche und Luxemburger. Es geht ihnen nicht um die Schaffung einer belgischen nationalen Identität, sondern um die Auflösung der Identiät der ursprünglichen Völker dieses Staates.

In Italien regiert heute eine Koalition aus drei ganz unterschiedlichen rechten Parteien, darunter die zentralistische Alleanza Nationale und die seperatistische Lega Nord. Warum handeln dann nicht auch die rechten Parteien Europas trotz aller Unterschiede gemeinsam?

Van Cleemput: Die Unterschiede sind wohl immer noch zu groß, das betrifft eben nicht nur bestimmte politische Vorstellungen, sondern auch das Profil der Parteien. Vergleichen Sie erneut den Front National mit dem Vlaams Blok: der Front National steht und fällt mit der Person Le Pens, während der Vlaams Blok eher den Charakter einer Volksbewegung hat, die sich nicht über ihren politischen Führer, sondern über die eigenen politischen Wurzeln definiert. Noch deutlicher ist der Unterschied im Vergleich der Liste-Pim-Fortuyn, die nicht einmal einen eigenen Namen hat.

Beschäftigt sich der Vlaams Block mit einer Strategie für eine europäische Rechte?

Van Cleemput: Bislang nicht. Jörg Haider hat bereits zur Gründung einer europäischen Rechtspartei aufgefordert, aber der Vlaams Blok hat eine Beteiligung abgelehnt, da er seine Ziele im nationalen Rahmen sieht.

Wäre ein Gipfeltreffen der Vorsitzenden der europäischen Rechtsparteien nach Ihrer Meinung erfolgversprechend?

Van Cleemput: Ich muß zugeben, daß wir nur dann Interesse an einem solchen Gipfeltreffen hätten, wenn von Anfang an klar wäre, daß alle Beteiligten das Recht eines jeden Volkes auf Selbstbestimmung akzeptieren und jede Form von Rassismus verurteilen würden. Allerdings bin ich auch dann nicht sonderlich zuversichtlich, was einen Erfolg eines solchen Treffens angeht.

Warum?

Van Cleemput: Die Unterschiede zwischen den Parteien sind, wie gesagt, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu groß.

Erstaunlich ist, daß die rechten Parteien Europas erhebliche Berührungsängste untereinander haben, während die linken Parteien keinerlei Bedenken kennen.

Van Cleemput: Das ist richtig, so war zum Beispiel sogar der selbstbewußte Pim Fortuyn darauf bedacht, sich gegenüber dem Vlaams Blok wie auch gegenüber dem Front National abzugrenzen

Haider grenzt sich von Le Pen ab, Fortuyn wiederum von Haider...

Van Cleemput: Das ist auch im Vlaams Blok zu beobachten: Wir wissen, wir werden zu Unrecht beschuldigt, "rechtsextrem" zu sein, und wir erwarten daher, daß man uns unvoreingenommen behandelt. Wenn wir aber über eine Partei im Ausland hören, sie sei rechtsextrem, dann denken wir uns: "Na da sollten wir lieber vorsichtig sein ..." Immerhin hatte sich Pim Fortuyn wenige Tage vor seinem Tod im Gespräch mit einem flämischen Journalisten nach dem Vlaams Blok erkundigt. Der Journalist antwortete, in Flandern sprächen die Medien nicht mit unserer Partei. Fortuyn erwiderte kritisch: "Sie sprechen nicht mit der größten Partei Antwerpens? Das ist aber eine merkwürdige Auffassung von Demokratie."

Sie haben sechzehn Jahre als Professor in den USA gelehrt. Nehmen die Amerikaner die rechten politischen Parteien Europas eigentlich wahr?

Van Cleemput: Meine jüdischen Freunde in Amerika waren durchaus interessiert, da sie gegenüber rechten Parteien in Europa mißtrauisch sind. Abgesehen davon, wissen die Amerikaner aber nicht allzu viel über Europa. Wenn dann doch in den Medien etwas über rechte Parteien berichtet wird, dann werden diese meist - zu Recht oder zu Unrecht - als Nazis dargestellt. Die europäische Rechte befindet sich also weitgehend außerhalb des amerikanischen Blickfeldes.

 

Prof. Dr. Geert Van Cleemput geboren 1960 in Brasschaat / Flandern. Er studierte in Antwerpen, Löwen und Georgetown/USA und lehrte ab 1983 klassische Philologie und Philosophie an den Universitäten von Chicago und Süd-Florida/ Tampa. Dem Vlaams Blok gehört er seit dessen Gründung 1977 an. 1999 kehrte er nach Europa zurück, um als Parlamentarischer Berater für die Fraktion seiner Partei im Repräsentantenhaus, dem belgischen Parlament, zu arbeiten. Van Cleemput ist außerdem Mitglied der "Studiengruppe", des think tank des Vlaams Blok.

 

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