© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Zwangsarbeiter setzen Regierung unter Zugzwang
Politische Gefangene: Nach den Entschädigungen für NS-Zwangsarbeiter fordern nun auch DDR-Opfer Wiedergutmachung
Werner H. Krause

Die Bundesregierung wird sich demnächst mit neuen Forderungen von Zwangsarbeitern konfrontiert sehen. Diesmal kommen sie nicht via USA, sondern sind gewissermaßen hausgemacht in deutschen Landen. Nachdem die Zwangsarbeiter der NS-Zeit ihre Ansprüche erfolgreich durchgesetzt haben, nehmen nunmehr die Opfer des kommunistischen Systems das gleiche Recht für sich in Anspruch. Sie stützen sich dabei auf einen in der Verfassung festgeschriebenen Grundsatz hinsichtlich der Gleichbehandlung. Im Klartext: Was dem einen zuerkannt wird, kann dem anderen nicht versagt werden, sofern die Umstände identischer Natur sind.

Etwa 200.000 politische Gefangene gab es in der ehemaligen DDR. Viele von ihnen hatten in den Haftanstalten wie auch in speziellen Arbeitslagern - beispielsweise dem berüchtigten "Lager X", das direkt dem Ministerium für Staatssicherheit unterstand und auf dem Gelände der U-Haftanstalt in Hohenschönhausen untergebracht war - schwerste körperliche Arbeit zu verrichten. Politische Strafgefangene wurden aber auch im Uranbergbau bei Aue oder Johanngeorgenstadt eingesetzt, wobei es der Partei- und Staatsführung völlig gleichgültig war, daß zur Schwere der körperlichen Arbeit hier auch noch die Strahlengefährdung kam. Aufgeklärt wurde darüber kein einziger Häftling. Auch jene, deren Arbeitsplatz sich in einem der Asbestzementwerke befand, ahnten nicht, welche gesundheitlichen Gefahren damit verbunden waren. Für die Häftlinge gab es zwar ein gewisses Entgelt, das jedoch jeglicher Beschreibung spottete. In einem konkretem Fall erhielt ein politischer Häftling für seine Tätigkeit des Verlötens von Kabeln in der Haftanstalt Magdeburg-Sudenburg einen "Lohn" von 30 DDR-Mark im Monat. Der "sozialistische Staat", der stets vorgab, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein für allemal überwunden zu haben, betrieb in seinen Zuchthäusern eine Ausbeutung, wie sie rigoroser nicht sein konnte. Schlimmer war die Situation nur noch in den sowjetischen Gulags, zu deren Insassen auch Zehntausende von deutschen Zwangsarbeitern gehörten.

Nun verschafften sich jene Gehör, die dieses Martyrium überlebt haben und nehmen die Bundesregierung in die Pflicht. Nachdem die Opferverbände der kommunistischen Gewalt vergebens darauf gewartet haben, daß die Bundesregierung von sich aus einen Schritt auf sie zugeht, bleibt ihnen jetzt nur noch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Weg der Klage. Sollte dies nichts fruchten, so ist man auch gewillt, den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg einzuschalten. Als Initiator der Klage tritt die Vereinigung der politisch Verfolgten (VpV) in Schwerin in Erscheinung. Auf einem Kongreß in dieser Stadt holte man sich am vergangenen Wochenende das Votum vieler Betroffener ein. Jürgen Schmidt-Pohl, Vorsitzender der VpV, wird selbst zu einem jener vier Kläger gehören, die durch ihre Initiative die Bundesregierung zwingen wollen, endlich auch den berechtigten Ansprüchen der deutschen Zwangsarbeiter nachzukommen.

Da sich die Regierung bisher gegenüber den Forderungen der deutschen Zwangsarbeiter schwerhörig gestellt hat, rechnen sich die Opfer eine erhebliche Chance aus, beim Bundesverfassungsgericht Gehör zu finden, zumal dieses Gericht in letzter Zeit bereits einige Entscheidungen getroffen hat, mit welchen die Bundesregierung an das Prinzip der Gleichbehandlung erinnert wurde. Beim Prominentenanwalt Witti in München machten sich die Kläger schon einmal sachkundig. Witti besitzt durch seine bisherige Arbeit beträchtliche Erfahrung - er war der Rechtsvertreter, welcher die Forderungen der NS-Zwangsarbeiter auf den Weg gebracht hat.

Zur gleichen Zeit rührt sich auch in Hamburg ein sogenannter Arbeitskreis "Deutsche Zwangsarbeiter", der sich vor einem Jahr konstituiert hat und sich aus den Vertretern zahlreicher Landsmannschaften des Bundes der Vertriebenen zusammensetzt. Innerhalb von nur zwölf Monaten hat dieser Arbeitskreis Zeugnis vom Schicksal von über 70.000 deutschen Zwangsarbeitern abgelegt. Die Forderungen von mehr als 20.000 deutschen Zwangsarbeitern, welche über viele Jahre in polnischen, tschechischen, jugoslawischen sowie sowjetischen Lagern festgehalten wurden, sollen Mitte dieses Jahres dem Bundeskanzleramt in Berlin überreicht werden. Gleichzeitig ist beabsichtigt, zu diesem Zeitpunkt durch eine entsprechende Plakatierung in der Hauptstadt auf das Schicksal der deutschen Zwangsarbeiter in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.

Bedauerlicherweise laufen beide Aktionen nebeneinander her, wie insgesamt zu kritisieren ist, daß durch die Zerrissenheit der Opferverbände in über hundert Organisationen und Arbeitskreisen solchen Forderungen in der Vergangenheit schon mehrmals der Erfolg versagt blieb. Hieraus die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen, wäre wohl ganz im Sinne der deutschen Zwangsarbeiter.


 
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