© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Who's right?
USA: Während neokonservative Publizisten von Georg W. Bush hellauf begeistert sind, beklagen Altkonservative eine verlogene Wende
Paul Gottfried

Mit einer Verzögerung von einigen Jahren, so lehrt die Erfahrung, erreichen US-amerikanische Modewellen den europäischen Kontinent. Seit jeher haben europäische Konservative eine schleichende kulturelle Amerikanisierung der alten Welt beklagt. Nun sind aber entgegen mancher Vorurteile die USA nicht mehr Vorreiter in Sachen Dekadenz, sondern eher ein Bremser geworden. Eine starke, christlich orientierte Gegenbewegung zum linksliberalen Zeitgeist hat Einfluß auf die Massenmedien gewonnen. Als vor zwei Jahren die politische Landkarte Europas noch einheitlich rot gefärbt war, wirkte der Wahlsieg George W. Bushs auf manche Beobachter dort wie ein Fanal des Umbruchs. In europäischen Hauptstädten fragten linke Intellektuelle besorgt, ob nun ein konservativer rollback bevorstehe. Vor wenigen Tagen nun kürte der bekannte Journalist George Will den jüngeren Bush zum "konservativsten Präsidenten seit Jahrzehnten". Sind diese Vorschußlorbeeren angemessen?

Im Wahlkampf hatte George W. Bush weltanschauliche Konflikte mit den tonangebenden Leftisten vermieden. Trotzdem stimmten Konservative in schwärmerischen Haufen für ihn. Dem Kandidaten der Reform Party, Pat Buchanan, einem unversöhnlichen Gegner der multikulturellen Linken, zeigten die rechtsgerichteten Wähler dagegen die kalte Schulter. Der bekannte Fernsehjournalist, ehemalige Redenschreiber Richard Nixons und Kommunikationsdirektor Ronald Reagans, hatte die Republikaner einst in Panik versetzt. Im Jahr 2000 erhielt er ein mickriges Ergebnis von nur einer halben Million Stimmen. Am Ausgang der Clinton-Ära war für konservative Wähler vorrangig, eine Verlängerung der Herrschaft der Demokraten um jeden Preis zu verhindern. Anders als jüngst den Franzosen schien US-Konservativen angesichts der Schlacht zwischen Bush und Gore ein Flirt mit dem dritten Mann zu riskant. Auch zeigte moralines Zetergeschrei gewisser republikanischer Parteibonzen Wirkung, die Clinton als den leibhaftigen Teufel mit schamlosen Mätressen dargestellt hatten. Einige politische Beobachter wollten in dieser Wahlkampftaktik bereits eine "geistig-moralische" Wende erkennen - sie haben sich wohl getäuscht.

Die Unterschiede zwischen den Republikanern und den Demokraten in Fragen der praktischen Politik sind eigentlich recht gering. Beide sind in etwa gleich filzokratisch und "mittig". Daher muß die Partei von George W. Bush zu gewissen Ausreden greifen, um ihren rechten Flügel sicherzustellen. Den angepeilten Wählern wird vorgegaukelt, daß die Republikaner konservativ gestimmt, aber nicht in der Lage seien, verbindliche oder die Medien verärgernde Stellungen zu beziehen. Darin steckt ja auch ein Körnchen Wahrheit: Mit der political correctness dekretieren Richter, Publizisten und Sozialarbeiter den "demokratischen" Untertanen bestimmte Verhaltens- und Meinungsrichtlinien in bezug auf Homosexualität, Staatszentralismus, Feminismus und Einwanderung.

Kaum ein Politiker wagt es, diese Dogmen in Frage zu stellen. Auch George W. Bush tut das nicht. Er hat ein Standardrepertoire an gewissen nicht-linken Gesten, etwa daß er seine Bekehrung zum Christentum vollmundig ausruft, weltpolitisch in altbiblischer Terminologie schwadroniert und sich durchaus enger Beziehungen zum Big Business erfreut. Ansonsten versucht er aber, einen Mittelweg zu verfolgen. So vermeidet er jedwede Verbindung mit Immigrationsgegnern, läßt sich statt dessen mit Lobbyisten und Anwälten angeblich benachteiligter Minderheiten fotografieren. Dennoch beschuldigen ihn hartgesottene Bürgerrechtler und schwarze Wähler "grober Diskriminierung". Um solchen Vorwürfen auszuweichen, hat Bush, der aus dem grenznahen Texas mit Millionen illegaler Einwanderer stammt, sich freundlichst dafür eingesetzt, deren Aufenthaltsgenehmigungen zu verlängern.

Auch in der Bildungs- und Sozialpolitik verfolgt Bush, wie schon sein Vorgänger Clinton, einen weitreichenden Plan, angeblich benachteiligten Minderheiten eine Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen. Staatszuschüsse an Privatschulen soll es in Zukunft nur noch geben, wenn ein Bündel sogenannter Civil Rights-Richtlinien befolgt wird. Bushs schulpolitische Berater wollen schwarzen und hispanischen Studenten damit "einen Weg ins Freie" weisen. Kritiker sehen in den Plänen dagegen einen Eingriff des Staates in die Privatautonomie. Die bundesstaatliche Kontrolle über die Volksbildung, insbesondere die konfessionellen Schulen, werde weiter ausgedehnt, befürchtet ein Teil der US-Rechten, die der Washingtoner Zentrale traditionell mißtrauisch gegenüberstehen. Die Gefahr einer zentralstaatlichen Einflußnahme sehen sie auch in dem Regierungsplan, kirchliche Sozialdienste mit Steuergeldern zu subventionieren.

Familienwerte bleiben republikanische Rhetorik

Im Wahlkampf gegen Clinton hatten die Republikaner ihr Konzept des "mitfühlenden Konservatismus" angepriesen. Dessen Herzstück sind die family values, die Werte der Familie. Eine eher traditionelle Moral soll nach der republikanischen Rhetorik wieder an die Stelle permissiver Beliebigkeit treten. In den Reihen der Ultraliberalen gab es jüngst ungläubiges Staunen, als US-Gesundheitsminister Tommy Thompson bei der Weltkinderkonferenz in New York von "Sittenverderbung" sprach und den Standpunkt der amerikanischen Regierung erläuterte: "Sexuelle Enthaltsamkeit" von Kindern und Jugendlichen sei erstrebenswert, so der gläubige Katholik. "Denn Abstinenz", bekräftigte Thompson, "ist der einzig sichere Weg, sexuell übertragbare Krankheiten zu vermeiden, die mit einer unehelichen sexuellen Aktivität einhergehen".

Beunruhigt zeigt sich die Regierung Bush wegen der massenhaften Teenager-Schwangerschaften und des kontinuierlichen Anstiegs der Zahl unehelich geborener Kinder besonders bei den farbigen Minderheiten. Zur Zeit kommen mehr als siebzig Prozent der schwarzen Kinder in den USA unehelich, in oft zerrütteten Verhältnissen zur Welt. Etwa die Hälfte der Abtreibungen finden auch in diesem Milieu statt, obwohl Schwarze und Hispanics mit dem Abbruch der Schwangerschaft nicht ganz so leichtfertig umgehen wie weiße Frauen. Innerhalb der republikanischen Partei gibt es eine starke Gruppe von Abtreibungsgegnern, Bush will es sich aber mit der einflußreichen Liga der Feministinnen nicht verscherzen. Deshalb bleibt seine Kritik an Abtreibungspropagandisten eher mild und unbestimmt. Zum Schutz ungeborener Kinder seien Überredungskünste und keine Verbote geeignet, gibt er sich überzeugt. Seinen weichen Kurs, der Linken in kulturellen Fragen die Hand und nicht das Schwert zu reichen, so bemängeln Kritiker, verkaufe Bush nun als neuen "mitfühlenden Konservatismus".

Durch Wahlanalysen mußten Bushs Berater feststellen, daß beim letzten Urnengang vier bis fünf Millionen weiße, christliche Männer fehlten, die bis dahin republikanisch wählten. Kritiker vom rechten Flügel argumentierten, die Partei könne den Verlust konservativer Kernwählerschichten langfristig nicht ausgleichen, indem man fortwährend den Zuzug zentralamerikanischer Einwanderer fördere. Der Charakter der bislang angelsächsisch geprägten Partei würde dann bis zur Unkenntlichkeit verändert. Diese Mahnung wies Karl Rove, einer der engsten Vertrauten des Präsidenten, entschieden zurück: "Wir sind keine Partei der Bigotterie", erklärte er allen Ernstes. Obwohl die kulturellen Koordinaten aller Parteitagsrhetorik zum Trotz stetig nach links verschoben werden, halten die meisten amerikanischen Konservativen weiterhin treu zur republikanischen Partei.

Ein Grundpfeiler der konservativen Bewegung ist die religiöse Rechte. Trotz zeitweilig abfallender Wählerzahlen stimmt diese unbedingt für republikanische Kandidaten. Ihre Führer wie Ralph Reed von der mächtigen "Christian Coalition" sind so weit in die Parteigliederungen eingebunden, daß eine Spaltung unvorstellbar ist. Das Thema der moralischen Wende im Weißen Haus kommt bei christlich gestimmten Wählern gut an, wenn der fromme Familienvater Bush mit dem sündigen Vorgänger Clinton verglichen wird. Und wenn Bush in außenpolitischen Debatten schweres moralisches Geschütz auffährt und gegen die "Achse des Bösen" donnert, entlockt er "wiedererweckten" Protestanten rauschenden Beifall.

Die Ernennung des "Pentacostalisten" John Ashcroft zum Justizminister hat die Allianz mit der religiösen Rechten weiter zementiert. Die Pentacolisten sind eine volksfromme, gefühlsgeladene Sekte mit Anhängern besonders in den Südstaaten und unter Schwarzen und Hispanics. Ashcroft nimmt im Drehbuch der Regierung eine wichtige Rolle ein. Bei seinem Amtsantritt bestand der als "Rechtsaußen" angekündigte Senator aus Missouri darauf, den nackten Busen einer Skulptur der Justitia mit einem steinernen Oberkleid zu verhüllen. Soviel Prüderie muß sein. In Fragen von wirklicher Bedeutung ist Ashcroft eher kleinlaut. Er vermeidet alles, was die Lobbyisten vieler Minoritäten verärgern könnte. So plapperte er nach den tagelangen Gewaltexzessen junger Schwarzer in Cincinnati, die "Verbrechen der Polizisten" seien die Ursache und müßten untersucht werden. Weiße Polizisten hatten einen bewaffneten Schwarzen, als dieser sich seiner Verhaftung widersetzte, erschossen. Während Ashcroft nach Belieben den "inländischen Kampf gegen den Terrorismus" ausdehnt, schwört er gleichzeitig, dieser habe nichts mit einer stärkeren Kontrolle der Immigration zu tun.

Es gibt in den USA zwei miteinander konkurrierende rechte Strömungen: die sehr profilierten und einflußreichen Neokonservativen (Neos) des Regierungslagers und die altkonservativen sogenannten Paleos. Zu den Hauptleuten des neokonservativen Lagers zählen Irving Kristol und sein Sohn, William Kristol, sowie Norman Podhoretz und dessen Frau Midge Decter. Neben den Zeitschriften Commentary und Weekly Standard verfügen die Neos über hervorragende Beziehungen zum Wall Street Journal. Ihre Gegner, die Altkonservativen, haben keine solche Plattform zur Verfügung: An ihrer Spitze stehen neben Thomas Fleming, dem Chefredakteur der Zeitschrift Chronicles, und Samuel Francis, Kritiker des zentralistischen Bundesstaates, der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Hermann Hoppe, Ralph Raico und Lewellyn Rockwell, der Begründer der Ludwig von Mises-Stiftung.

Beide Lager streiten heftig miteinander. Obwohl die Neos dank ihrer Medienmacht die Paleos weitgehend an den Rand gedrückt haben, sind diese noch lange nicht vernichtet. Die Neos lassen sich eine enge Umschlingung zeitgeistiger Medien gefallen, und ihre Programmatik enthält ausgeprägt linke Punkte. Mit Recht hat der Sozialwissenschaftler James Burnham der Schule deshalb eine unverkennbar "links bestimmte Ideengestalt" beigemessen. Die Steckenpferde der Neos - im Zuge einer Civil Rights Revolution überall westliche Menschenrechte einzuführen und die gewachsene Vielfalt der Kulturen durch eine fabrizierte, weltdemokratische Ordnung zu ersetzen - sind ihrem Wesen nach anti-konservativ. Im Unterschied zu den Paleos leiden die Neos deshalb an einer Identitätskrise. Und dieses Problem verschlimmert sich in dem Maße, in dem sie die altkonservative Konkurrenz als "Extremisten" und "Nazi-Sympathisanten" diffamieren.

Die Konservativen sind in zwei Lager gespalten

Bis in die siebziger Jahre hielten sich die heutigen Neokonservativen von jedem konservativen Etikett fern. Sie erklärten sich zu schlichten Antikommunisten - mit eher linksliberalem, wohlfahrtsstaatlichem Einschlag. Zwar haben auch die Neokonservativen "Free Market" Stiftungen gegründet, etwa das katholische "Lord Acton Institute", doch entgegen der oft wiederholten Behauptung treten sie keineswegs für eine unbedingte Marktwirtschaft ein. Ihre Politik zielt eher auf eine sozialstaatliche, geregelte Wirtschaft in einem flotten Global Business, der zudem "weltdemokratischen" Zielen dienen soll. In seinem Buch "Two Cheers for Capitalism" distanziert sich Irving Kristol kraftvoll von reinen Marktkapitalisten. Michael Novak spricht vom Modell einer "wohlfahrtsstaatlichen, kapitalistischen Demokratie", das die USA weltweit umsetzen müßten. Im Gegensatz dazu teilen viele Paleokonservative in Wirtschaftsfragen den Standpunkt der marktradikalen Libertären.

Auch außenpolitisch gibt es gravierende Unterschiede zwischen Paleos und Neos: Aufgrund ihrer überwiegend osteuropäisch-jüdischen Herkunft traten die aufsteigenden Neos schon immer mit vollem Einsatz für den Zionismus ein. Publizisten wie George Will, Charles Krauthammer und William Kristol und das Umfeld des Wall Street Journals stellen die Rechte der Palästinenser radikal in Frage. Diese seien "Nomaden" und keine historischen Siedler im Nahen Osten. Die "Heritage Foundation", ein finanzstarker Trabant im neokonservativen Reich tut sich durch eine besonders geringschätzige Haltung gegenüber den Palästinensern hervor. In ihrer Haltung zu Israel näherten sich die Neokonservativen damit den "wiedererweckten" Protestanten an, unter denen sich stark philosemitische und apokalyptische "Dispensationalisten" befinden. Diese christlichen Fundamentalisten, am bekanntesten die Fernsehprediger Jerry Falwell und Pat Robertson, heben die "Sonderrolle" des jüdischen Volkes hervor. Sie wollen die jüdische Nation innerhalb der biblischen Grenzen versammeln, um so die Rückkehr Christi zu beschleunigen.

Während die Neokonservativen ihre Gefolgschaft auf die Rechtsnationalisten in Israel, besonders die Likud-Partei, ausrichten, drängen die Altkonservativen auf einen moderateren, weniger einseitigen Kurs im Nahen Osten. In dieser Auseinandersetzung haben sie sich nicht gescheut, auf zionistische Sonderinteressen führender Vertreter der Neos hinzuweisen. Als jüngst gegen Colin Powell wegen seiner angeblich "israelfeindlichen" Politik Stimmung gemacht wurde, scharten sich die Paleos um den schwarzen Außenminister. Ebenso bezogen sie Stellung gegen den Versuch der neokonservativen Presse und des außenpolitischen Sprechers Paul Wolfowitz, den "war on terror" auf den Irak, Iran und sogar die Palästinenser auszudehnen.

Die Neos haben nach langen Gefechten und Zickzackmanövern eine Stellung im Zentrum der Macht erobert. Auf dem Wege dahin aber mußten sie eine ältere Bewegung verdrängen und die "Ewiggestrigen" aus dem Weg räumen. Die Paleos sind nun in einer doppelten Oppositionsrolle: Die Linke würdigt sie nur düster verfinsterter Blicke, während die erfolgreichen Neos sie mit Hohn überschütten. Medienpfründe und Regierungsposten haben die unentwegt Altkonservativen keine; sie sind aber dennoch in der Lage, die Regierungskonservativen zeitweise anzurempeln.

In zwei Wahlkämpfen haben sie Pat Buchanan den Rücken gestärkt, eine beiderseits Vorteile eintragende Erfahrung. Die Paleos bleiben Außenseiter, deren Gedanken beim gegenwärtigen politisch-publizistischen Stand der Dinge wenig Anklang finden. Sie spielen mit Knüppeln, die ihren Konkurrenten allenfalls zwischen den Beinen schmerzen. Und solange der Krieg andauert, hat Bush eine glänzende Ausrede, die "geistig-moralische" Wende auf die lange Bank zu schieben.

 

Prof. Dr. Paul Gottfried lehrt Klassische Philologie und Staatswissenschaft an der Elizabethtown Universität in Pennsylvania. Zuletzt erschien von ihm "After Liberalism: Mass Democracy in the Managerial State" (Princeton University Press, 1999).


 
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