© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Mißverhältnis
Gericht: Abtreibungen sind nicht "rechtswidrig"
(idea)

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat ein Urteil des Landgerichts Heilbronn bestätigt, wonach man Abtreibungen nicht als "rechtswidrig" bezeichnen darf. Wer dies einem Arzt vorhalte, verletze dessen Persönlichkeitsrecht, entschied die Richterin am 8. Mai.

In einem Eilverfahren erklärte sie, daß Abtreibungen in der gesetzlich vorgeschriebenen Form aus der Sicht eines unvoreingenommenen Publikums nicht rechtswidrig seien. Sie bestätigte damit die Auffassung des Heilbronner Landgerichts. Dieses hatte dem Lebensschützer Günter Annen aus Weinheim bei Heidelberg ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder sechs Monate Haft angedroht, falls er noch einmal vor der Praxis eines Frauenarztes Flugblätter mit der Aufforderung "Stoppt rechtswidrige Abtreibungen" verteilen würde. Annens Anwalt kündigte an, bei einer Bestätigung der Entscheidung im Hauptverfahren vor den Bundesgerichtshof zu ziehen. Die beiden Gerichte argumentieren, daß Annen dem Frauenarzt vorwerfe, in seiner Praxis verbotene Abtreibungen vorzunehmen. Dies werde nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Das Heilbronner Urteil hat in Fachkreisen Kopfschütteln hervorgerufen. Einer der bekanntesten Strafrechtsexperten Deutschlands, Herbert Tröndle (Waldhut), kritisierte ein "unfaßbares Mißverhältnis" in der deutschen Rechtssprechung. 1996 habe das Bundesverfassungsgericht (BVG) erlaubt, Soldaten Mörder zu nennen, ohne daß es dafür einen Anlaß gegeben habe. Die Richter untersagten es hingegen, Abtreibungen in Übereinstimmung mit dem BVG rechtswidrig zu nennen, obwohl jährlich schätzungsweise 300.000 Kinder im Mutterleib getötet würden.


 
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