© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Ideologie statt Analyse
Michael Hardt und Antonio Negri üben Globalisierungskritik aus marxistischer Sicht
Michael Wiesberg

An griffigen Etiketten mangelt es dem seit Anfang des Jahres auch in deutscher Sprache erhältlichen opus magnum "Empire. Die neue Weltordnung" nicht. Für die einen ist es ein "Kultbuch der Globalisierungsgegner", für die anderen ein neues "kommunistisches Manifest", für die dritten schlicht ein "Modephänomen". Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Philosoph Antonio Negri dürfen sich jedenfalls über mangelnde Aufmerksamkeit für ihr 2000 zunächst bei Harvard University Press in Cambridge und London erschienene Buch nicht beklagen.

Haben diese Autoren aber wirklich etwas Neues zu einem Thema beizusteuern, das inzwischen zu einem Schlagwort heruntergekommen ist: nämlich zum Thema "Globalisierung"? Die Lager scheinen inzwischen klar verteilt: das liberale Lager begrüßt die Globalisierung als Durchbruch hin zum Weltmarkt, sozialdemokratisch gestimmte Geister wollen die asozialen Konsequenzen der Globalisierung "sozialverträglich" abfedern und von Rechts wird die zunehmende Aushöhlung nationalstaatlicher Souveränität beklagt. Theoriefreudig gibt sich die Linke, die Buch um Buch über dieses Thema publiziert. Sie moniert, daß im heutigen "Diskurs" über Globalisierung häufig Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vernachlässigt werden, etwa die Frage nach Wesen und Ursache der neuen politischen bzw. sozial-ökonomischen Erscheinungsform der Globalisierung. Immerhin wird im linken Diskurs auch die Frage nach Alternativen gestellt, die sich vor allem an der Frage entzündet, ob es sich hier bei der Globalisierung um etwas qualitativ Neues oder um eine dem historischen Prozeß seit langem inhärente Tendenz handelt. Dieser Diskurs ist jetzt mit dem theorieverliebten Werk "Empire" um ein gewichtiges Kapitel erweitert worden.

Hardt und Negri dekretieren, daß sich aufgrund des globalen Marktes und globaler Produktionsabläufe eine neue globale Ordnung bzw. eine neue Form von Souveränität herausgebildet habe. Geld, Menschen und Güter als Faktoren von Produktion und Austausch überqueren mit zunehmender Schnelligkeit nationale Grenzen. Im gleichen Maße sinke die Fähigkeit des Nationalstaates, den entfesselten Kapitalismus zu bändigen und der Wirtschaft seine Autorität aufzuerlegen. Die Autoren sind allerdings nicht der Überzeugung, daß mit dem Niedergang der Souveränität der Nationalstaaten ein Niedergang der Souveränität als solcher einhergeht. Aus ihrer Sicht hat Souveränität vielmehr eine neue Form angenommen, "die sich zusammensetzt aus einer Reihe nationaler und supranationaler Organisationen, die vereinigt sind unter einer Logik der Herrschaft". Diese globale Form von Souveränität bezeichnen die Autoren als "Imperium". Beide Autoren unterstreichen, daß sie diesen Begriff als einen wissenschaftlichen Terminus verwenden, der einen besonderen theoretischen Ansatz kennzeichnen soll. "Der Begriff des Imperiums", so die Autoren, sei "grundlegend charakterisiert durch die Abwesenheit von Grenzen: Die Herrschaft des Imperiums hat keine Schranken. Damit kennzeichnet der Begriff des Imperiums in erster Linie ein Regime, das die räumliche Totalität wirksam umfaßt, das die gesamte 'zivilisierte' Welt beherrscht." Das "Imperium" stellt eine Ordnung dar, die "die Geschichte nachhaltig aufhebt und dadurch den bestehenden Zustand für alle Ewigkeit festlegt" und keine zeitlichen Grenzen habe, sich damit außerhalb der Geschichte befinde.

Hardt und Negri zeichnen die geographischen und historischen Etappen des Übergangs vom Imperialismus zum heutigen Imperium aus marxistischer Sicht nach. Dieser Übergang bildet einen Schwerpunkt ihrer Ausführungen. Sie setzen dieses Imperium von den Thesen Lenins ab, der den Imperialismus bekanntlich als "höchstes Stadium des Kapitalismus" beschrieben hatte, als "dichtes Netz von Abhängigkeitsbeziehungen", das sich "über ausnahmslos alle ökonomischen und politischen Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft" erstrecke. In der Vergangenheit überschritt der sich herausbildende moderne Nationalstaat seinen sozialen Bereich und erlegte anderen Völkern hierarchische, territoriale Grenzen auf. Was den Kapitalismus einschließlich seiner imperialistischen, unwiderruflich abgeschlossenen Etappe charakterisierte, war die deutliche Unterscheidung zwischen der Binnen- und Außenseite seines Systems. Von Hegel bis zu den Sozialwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts wurden deshalb "außerkapitalistische Räume" in die Überlegungen miteinbezogen. Von diesen kann im Zeitalter des "Imperiums" freilich nicht mehr die Rede sein. Es ist ein Stadium erreicht worden, in dem es eine weitere Expansion nicht mehr geben kann.

Trotzdem sehen diese beiden marxistischen Theoretiker neue Perspektiven für nach "Befreiung" strebenden Kräften. Die Globalisierung erzeuge Ängste, aber auch Hoffnungen. Hardt und Negri sind deshalb der Überzeugung: Ihre politische Aufgabe bestehe nicht einfach darin, diesen Prozessen zu widerstehen, sondern es gelte, diese "zu reorganisieren und neuen Zwecken zuzuführen". "Die schöpferischen Kräfte der Menge, die das Imperium aufrechterhalten, sind zugleich imstande, autonom ein Gegen-Imperium aufzubauen, das heißt eine alternative politische Organisation von erdumspannendem Austausch der Kräfte." Die dem Imperium entgegenlaufenden Kämpfe wie auch diejenigen, die auf eine wirkliche Alternative abzielen, "werden daher auf dem imperialen Boden selbst stattfinden". Durch diese bereits stattfindenden Kämpfe sollen sich neue demokratische Form herausbilden, die Mächtekonstellationen schaffen und aus dem "Imperium" herausführen könnte.

Indem der Weltmarkt den Nationalstaat als Herrschaftsrahmen des Kapitalismus erodiert, trägt er zur Befreiung der Menge, von Hardt und Negri "multitude" genannt, bei. Daß hier das altbekannte "Proletariat" seine fröhliche Wiederauferstehung feiert, läßt sich unschwer erkennen. Dieses tritt jedoch nicht mehr als "Volk" oder "Nation" auf, Kriege zwischen den Völkern sind demnach also nicht mehr möglich. Programmatisch dekretieren die Autoren: "Heute sollte ein Manifest, ein politischer Diskurs danach streben, eine spinozistische, prophetische Funktion auszuüben, die Funktion einer diesseitigen Sehnsucht, die die Menge organisiert. Es geht hier letztlich nicht um einen Determinismus oder um eine Utopie, sondern eher um eine radikale Gegenmacht, die ontologisch nicht nur auf 'Offenheit für die Zukunft' beruht, sondern auf der realen Tätigkeit der Menge, ihrer Schöpfung, Produktion und Macht - eine materialistische Teleologie."

Was in dieses Manifest eingehen könnte, sagen die Autoren auch: Weltbürgerrecht ohne Ansehen der Herkunft, durch das die Menschen erst mit dem Kapital gleichzögen; die Existenzsicherung als Lohn für Reproduktionsarbeit; der Schutz der in der Reproduktionssphäre verwurzelten Subjektivität der Arbeit gegenüber fortschreitender Durchdringung durch das Kapital. Letztlich ist es also doch der alte (marxistische) Wein, der in neue Schläuche umgefüllt wird, den Hardt und Negri anbieten. Und noch ein weiteres fällt sowohl bei dieser als auch bei anderen Arbeiten zum Thema "Globalisierung" aus dem linken Spektrum auf: der nahezu vollständige Verzicht auf empirisch gesicherte Grundlagen. Entsprechend ungesichert sind Begriffe und Argumentation der Autoren. Sie müssen sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, einmal mehr Ideologie statt einer empirisch abgesicherten Analyse anzubieten.

Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2002, geb., 461 Seiten, 34,90 Euro


 
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