© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   21/02 17. Mai 2002


"Mission: Germany": Auf Pro Sieben läuft seit Mai das härteste Versteckspiel Deutschlands
Menschenjagd mal ganz modern
Wolfgang Scheidt

Doro, Graziano und Frank wissen, wie man mit Tampons Feuer macht, wie Ratten schmecken und wie man durch einen eiskalten Sumpf watet - weil es Spaß macht und schmeckt! "Die drei ???" haben einen Auftrag: "Mission: Germany" bietet seit dem 27. April eine interaktive Schnitzeljagd für TV-Zuschauer. Jeden Tag um 18 Uhr gibt es auf ProSieben die Höhepunkte vom Vortag, moderiert von Miriam Pielhau, der langjährigen Chefredakteurin von "NBC Giga". Vor allem werden wir Amateurvideos von Doro, Graziano & Co. sehen, die sich bei ihrer 30-Tage-Odyssee durch Deutschland selbst filmen sollen. Wegen der Authentizität - und billiger ist es auch. Das professionelle Kamera- und Sicherheits-Team konzentriert sich auf die Verfolger, beim Format-Check in Holland beteiligten sich bis zu 3.000 Menschen an der "Reality"-Hatz. Beim Flaschendrehen für "Big Brother"-Junkies kann jeder Zuschauer täglich 5.000 Euro gewinnen, wenn er die drei 08/15-Agenten aufspürt und sie mit seiner eigenen Videokamera filmt. Als Beweisstück - und als billiges Sendematerial. Allerdings muß er zuvor mit allen Dreien ein Gespräch führen - sonst bleibt die Tagesprämie im Jackpot der Gejagten, denen insgesamt bis zu 150.000 Euro winken. Im Vergleich zu "Wer wird Millionär?" nicht gerade ein Vermögen.

Ums große Geld geht es bei der Agentenjagd zu Wasser, zu Land und zu Fuß gar nicht, selbst wenn Mitspieler Graziano dringend einen Kombi braucht - der Kinderwagen seiner Tochter will nicht mehr ins alte Auto passen. Actiongameshows wie "Mission: Germany" versuchen, Kandidaten durch bestimmte Aufgaben in Grenzsituationen zu bringen, die sie nur durch große körperliche Anstrengungen und Belastungen meistern können. "Begleitet sind derartige Szenen von einem zynisch-spöttischen Kommentar, der die Kandidaten der Lächerlichkeit preisgibt", weiß Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz, Programm, Medienkompetenz und Bürgermedien (GSJP). "Zwar haben Rechtsgutachten zur Sendung 'Big Brother', die als Prototyp aller Psychoformate angesehen werden kann, bislang die Zulässigkeit der Sendung ergeben. Jedoch kann ein solcher Verstoß für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden." Vor allem, wenn echte Gefahren und Gesundheitsrisiken beim Trip durch die Pampa und die örtliche Kanalisation drohen - fehlt nur noch der TV-TÜV: "Der Kulturstaatsminister rät: Reality-TV gefährdet Ihre Gesundheit." Vor ihrer Teilnahme müssen sich die Kandidaten mit den gesundheitlichen Risiken einverstanden erklären, Notarzt und SOS-Handy stehen für den "worst case" parat. Ihre Tagesaufgaben erhalten die drei "Spaß-Missionäre" per Laptop vom Spielleiter Sky du Mont: Mit einem Schlauchboot Stromschnellen bezwingen, Blut spenden, sich in die TV-Show "Elton TV" einschmuggeln und "Bimmel Bingo" spielen. Ratten fangen, häuten, braten und essen lernten sie ja schon beim dreitägigen Überlebens-Training. "Die schmecken wie eine Mischung aus Kaninchen und Hühnchen", erinnert sich Graziano, sonst Animateur. Seine Mitspieler sind ebenfalls hart im Nehmen - Doro studiert Wirtschaftspädagogik, Frank war früher Einzelkämpfer bei der Bundeswehr, jetzt ist er Friseur. "Der würde uns beide tragen, um weiter zu kommen", scherzt Graziano.

"Die 'Mission: Germany' ist ein Spiel, ein Abenteuer", glaubt Jobst Benthues, Unterhaltungschef bei ProSieben. "Es geht nicht vordergründig um Jagdszenen. Wir werden unsere Aufsichtspflicht wahrnehmen." Das ist angesichts neuer Programmtrends auch dringend geboten. Unter dem Namen "Folter-TV" oder "Quäl-Quiz" werden in den USA Wissen und Nervenstärke miteinander kombiniert. Beim "Reality-Quiz" "The Chamber", "The Chair" und "Extreme Situations" sollen Kandidaten Wissensfragen beantworten, während sie körperlichen Schikanen wie Orkanböen, Stromstößen, extremer Kälte und Hitze ausgesetzt sind. Sie können das Spiel zwar jederzeit beenden, schmälern damit aber ihre Gewinnsumme von bis zu 250.000 Dollar. "Nicht alles, was nicht verboten ist, ist deshalb auch schon erlaubt", warnt Norbert Schneider, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. "Das Publikum ist keine Versuchsgruppe, deren Schmerzgrenzen permanent ermittelt werden müßten." Manche "Reality-Show" forciert bewußt eine ernsthafte Gefährdung von Kandidaten, Veranstalter riskieren, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Grundsätzlich können die Landesmedienanstalten erst eingreifen, wenn eine Sendung konkret ausgestrahlt worden ist, eine Vorzensur ist ausgeschlossen - für Kurskorrekturen ist es dann meist zu spät. "Menschen, die auf Couchen sitzen und reden, oder Gruppen von Menschen, die Abenteuer bestehen müssen, werden wir nicht mehr sehen", freut sich Borris Brandt, Geschäftsführer bei Endemol Deutschland. Für die vierte "Big Brother"-Staffel im Frühjahr 2003 sollen die Kandidaten mächtig unter Strom gesetzt werden: Es gibt zwei Teams, reich und arm. Während die Reichen täglich 1.000 Euro zur Verfügung haben, müssen die Armen mit Brot, Stroh und ohne Ofen auskommen. In zahlreichen Wettbewerben können die Armen ins wohlhabende Team aufsteigen - das klingt wie David gegen Goliath, wie Krieg auf dem Fußballplatz. "Reality-TV wird wiederkommen, wenn die Spürnasen glauben, daß es als etwas Neues, als ein letzter Schrei verkauft werden kann", prophezeit Schneider. "Aber es wird dann in gewisser Hinsicht auch wirklich nicht nur das Alte, sondern neu sein: zugespitzter, direkter, vielleicht auch skrupelloser. Solange es in einer Spirale läuft, wird die nächste Umdrehung auch stattfinden." Schöne Aussichten. 


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen