© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002


Die FDP und der "Fall Karsli"
Das gefundene Fressen
Dieter Stein

Jamal Karsli hat im Interview mit der jungen freiheit vom 3. Mai haarsträubenden Unsinn erzählt, als er vom "Einfluß der zionistischen Lobby" redete, die "den größten Teil der Medienmacht in der Welt" innehabe und dies auch noch mit der Lewinsky-Affaire Bill Clintons begründete. Ob der FDP die Affäre erspart geblieben wäre, wenn die JF im Interview klarer nachgefaßt hätte, ist jedoch zu bezweifeln.

Der "Fall Karsli" ist nämlich vor allem ein deprimierendes Stück aus einem inhaltsarmen Wahlkampf. Bislang hatte Herausforderer Stoiber geschickt taktierend Kanzler Schröder kaum Angriffsfläche geboten. Die Nominierung von Guido Westerwelle zum FDP-Kanzlerkandidaten, der die FDP zu einer Spaß-Partei ummöbelte, machte es dem ebenfalls auf Unterhaltung statt auf Inhalte setzenden SPD-Chef noch schwerer.

Nun war aber durch Karslis Entgleisungen ein deftiges Thema gefunden. Und so wurde das Schmierenstück "Antisemitische Gefahr" inszeniert, das gerne gegeben wird, wenn ein politischer Gegner ins moralische Abseits gestellt werden soll. Ein Stück, das immer groteskere Züge anzunehmen scheint.

Da kann dann auch die Grünen-Chefin Claudia Roth mit einer bizarren Strafanzeige gegen Jürgen Möllemann brillieren, der Michel Friedman für das Erstarken des Antisemitismus in Deutschland hauptverantwortlich machte. Friedman als Stellvertreter, aber auch Paul Spiegel als Vorsitzender des Zentralrats der Juden hatten der kalkuliert von parteipolitischen Konkurrenten der FDP angeheizten Affäre zusätzliches Gewicht verliehen, indem sie als Kronzeugen im Antisemitismusverdacht auftraten. Inzwischen dreschen die Kontrahenten um Möllemann und Friedman aufeinander ein wie die Kesselflicker.

Thomas Schmid plädierte hingegen in einem klugen Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dafür, die Kirche im Dorf zu lassen: "Der antifaschistische Zorn, in den sich Fischer und Roth hüllen, ist unehrlich, weil er erkennbar von parteipolitischem Kalkül mitgeprägt ist: Der Vorwurf, in der FDP habe Antisemitismus Platz, dient vor allem dazu, den gefährlichsten Konkurrenten der Grünen in den Sumpf des Unanständigen zu drängen. Das ist nicht besonders anständig. Wie es überhaupt unangemessen ist, die Recklinghäuser FDP-Posse in schrillen Tönen als deutsches Menetekel hinzustellen. Das haben, leider, besonders Michel Friedman und Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden in Deutschland getan. Sie tun sich damit keinen Gefallen. Denn in ihrem Alarmismus lassen auch sie jedes Maß vermissen. Was sie fordern, kommt zuweilen dem recht nahe, was man Zensur nennt."

Die Äußerungen Karslis muß man nicht teilen und kann sie scharf kritisieren. Daß nun der Abgeordnete als Sündenbock aufgeschlossen werden soll für Positionen, die auch von anderen Politikern vertreten werden - angefangen von Möllemann selbst bis zum CDU-Politiker Norbert Blüm, der kürzlich der israelischen Regierung einen "Vernichtungskrieg" gegen die Palästinenser vorwarf - ist unrühmlich. Es ist bedenklich, wenn in einer Demokratie eine Meinung mit Ausschluß sanktioniert wird.

So wird der "Fall Karsli" einen schalen Geschmack hinterlassen, wie eine zivilisierte Debattenkultur parteitaktischen Wahlkampfinteressen geopfert wird. Es ist bezeichnend, daß fast alle Medien in den vergangenen Tagen immer nur über, aber nicht mit Karsli sprachen. Vielleicht hätten sich manche Mißverständnisse früher aufgelöst? Es wäre dann aber zünftige Wahlkampfmunition abhandengekommen ...


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen