© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Die Suche nach Angriffspunkten
Bundestagswahl: Die Strategien der Wahlkampfmanager bestimmen das Verhalten von SPD und Union
Paul Rosen

Im Wahlprogramm der SPD ist noch zu lesen, daß Gerhard Schröder der eigentliche Grund sei, die Sozialdemokraten zu wählen: "Er ist mit Leidenschaft in der Sache und mit Augenmaß seiner Verantwortung gerecht geworden", heißt es in dem Papier. Doch längst haben die Genossen die Strategie gewechselt: Das Duell Schröder gegen seinen bayerischen Herausforderer Edmund Stoiber tritt in den Hintergrund, der Lagerwahlkampf ist wieder angesagt.

Der jüngste Besuch des britischen Premiers Tony Blair beim deutschen Kanzler zeigte die Richtung: Beide warnten auf einer Pressekonferenz vor dem angeblichen Rechtsruck in Europa, seitdem die Wähler in verschiedenen Ländern ihre sozialdemokratischen beziehungsweise sozialistischen Regierungen in die Wüste geschickt haben. Schon ersinnt man in der "Kampa", der Wahlkampfzentrale der SPD in Berlin, nette Strategien, um die rot-grüne Koalition in Deutschland als letztes Bollwerk gegen ein angeblich zunehmend reaktionärer werdendes Europa zu präsentieren. "Mief oder Moderne, Zukunft oder Vergangenheit, das ist die Auseinandersetzung", stellt Matthias Machnig, Schröders Wahlkampfmanager, bereits fest.

Dabei kommt den Genossen zugute, daß sich die FDP zur Unzeit darüber streitet, ob der frühere Düsseldorfer Grünen-Abgeordnete Jamal Karsli bei den Liberalen eine neue Heimat finden darf oder nicht. Mit Karslis kritischen Äußerungen über Israel läßt sich den Freien Demokraten trefflich eine angeblich antisemitische Haltung unterstellen. Mit großer Sympathie nahmen Spitzengenossen Berichte zur Kenntnis, wonach der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, bei einem Abendessen ausgerechnet im feinen Berliner Hotel Adlon auf die Liberalen eindrosch. Leicht kann jetzt der in den letzten Wochen aufgrund der Kölner Spendenaffäre zurückhaltend gewordene SPD-Generalsekretär Franz Müntefering wieder das Schreckgespenst der "Haiderisierung" an die Wand malen.

Nur mit Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber haben die Genossen wenig Glück. Der Bayer tut dem Gegner nicht den Gefallen, sich in die rechte politische Ecke drängen zu lassen. Er bleibt zwar in der sachlichen Kritik an Rot-Grün hart, aber im Ton moderat, viel zu moderat nach dem Geschmack von Machnig und Müntefering. Es ist aber durchaus vorstellbar, daß die "Kampa" in den nächsten Wochen versuchen wird, irgendwelche immer wieder passierenden rechtsextremistischen Vorfälle zum Anlaß zu nehmen, einen neuen "Aufstand der Anständigen" anzuzetteln und eine Kampagne gegen alles, was "rechts" ist, zu inszenieren. Wie schon bei früheren Gelegenheiten, würde der Union in diesem Fall die Rolle des "geistigen Brandstifters" reserviert.

Doch müssen sich die Parteizentralen und Wahlkampfmanager auf immer kurzfristigere Aktionen einstellen. Die CDU/CSU stellt Stoiber derzeit als Privatmann, als glücklichen Ehemann, Vater und Großvater heraus. Das Internet wird unter der Adresse stoiber.de mit Familienfotos zugepflastert. Stolz berichtet die CDU von 6,5 Millionen Zugriffen in den ersten 24 Stunden, nachdem stoiber.de ins Netz gestellt worden war. Wahlkampfmanager Michael Spreng hat gute Arbeit geleistet, Stoiber bisher ausgesprochen "weich" zu präsentieren.

Doch weiß Spreng, daß sich dies jederzeit wieder ändern kann. "Politik ist ein schnelles Geschäft. Und im Wahlkampf läuft alles noch schneller", hat auch Machnig erkannt. Hauptursache für den Wechsel der sozialdemokratischen Wahlkampflinie von Schröder als Top-Thema zum Lagerkampf waren aber offensichtlich Motivierungsmängel an der eigenen Basis. Zwar genießt Schröder weit höhere Sympathiewerte als Stoiber, doch ist der SPD-Führung spätestens seit der Landtagswahl in Sachsen- Anhalt klar, daß auch bessere Sympathisanten nichts bringen. Dort gewann CDU-Mann Wolfgang Böhmer, obwohl sich seine Beliebtheit bei den Wählern in engen Grenzen hielt.

Mit dem Schröder-Thema ließ sich die eigene Basis bisher nicht genug mobilisieren. Auch Müntefering hat erkannt: "Die Sozialdemokraten müssen nun zeigen, daß sie gewinnen wollen und werden." Schröder fehlt jedoch der typische sozialdemokratische Stallgeruch, er galt mehr als der "Genosse der Bosse". Für die Motivation überaus schädlich war auch der Eindruck, bei Schröder handele es sich um den Kanzler mit der "ruhigen Hand". Und sein Vorgänger im Parteiamt, der Saarländer Oskar Lafontaine, läßt in täglich erscheinenden Berichten in der Bild-Zeitung kein gutes Haar an Schröder, dem er - überspitzt formuliert - nichts geringeres als Verrat an der Arbeiterklasse und Politik für die großen Konzerne vorwirft.

 

Fototext: DPA-Chefredakteur Wilm Herlyn, Stoiber-Berater Michael Spreng, ARD-Journalist Ulrich Deppendorf, SPD-Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig (v.l.n.r.): "Politik ist ein schnelles Geschäft"


 
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