© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Für die Unabhängigkeit angeblich zu klein
Carl Gustaf Ströhm

Der Balkan - noch vor wenigen Jahren zuverlässiger Dauerlieferant von Horrorberichten über ethnische Säuberungen und Militärschläge, droht bei den Granden europäischer Politik ins Abseits zu geraten. So hat der EU-Bevollmächtigte für den Balkan-Stabilitätspakt, der Wiener Ex-Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP), auch nach Monaten noch keinen Gesprächstermin beim EU-Kommissionschef Romano Prodi erhalten. Deutlicher läßt sich das Desinteresse kaum noch demonstrieren.

Auch das eilfertige Dementi einer Meldung des Spiegel, wonach Brüssel die Absicht hege (aus Ersparnisgründen) den ganzen Balkan-Stabilitätspakt samt angeschlossenen bürokratischen Apparat stillzulegen, besagt noch gar nichts. Hier gilt womöglich doch das alte Bismarck-Wort: "Etwas ist erst dann als wahr erwiesen, wenn es amtlich dementiert wird."

Überdies schwant den Eurokraten, daß sie sich im Südosten auf ein Abenteuer eingelassen haben, aus dem es womöglich keinen leichten Ausweg mehr gibt - selbst wenn man Euro-Milliarden locker macht, die aber in der benötigten Höhe gar nicht vorhanden sind. Symptomatisch für das Dilemma ist der Fall Montenegro, dessen Regierung unter Präsident Mile Djukanovic die Unabhängigkeit von Belgrad und die Souveränität anstrebt. Das wiederum wurde den Montenegrinern vom Außenpolitiker der EU, Javier Solana, verweigert - mit der Begründung, das Land mit seinen 600.000 Einwohnern sei für die Rückkehr zur Eigenstaatlichkeit zu "klein". Dabei gibt es weitaus winzigere Staaten in Europa.

Letzte Woche haben die Gemeindewahlen in Montenegro erwiesen, daß die Anhänger der Unabhängigkeit - Solana würde auf gut Spanisch sagen: Die Separatisten - eine klare Mehrheit erzielen konnten. Der "Souveränitätsblock" - eine Koalition aus der Demokratischen Partei der Sozialisten, den Sozialdemokraten und dem Liberalen Bund - hat in zehn von insgesamt neunzehn Städten die Mehrheit. In acht Gemeinden siegte der "pro-jugoslawische Block" - bestehend aus der Sozialistischen Volkspartei, der Serbischen Partei und der Volkspartei. Ihre Parole: "Gemeinsam für Jugoslawien". In der direkt an der albanischen Grenze gelegenen Gemeinde Ulcinj siegten albanische Parteien. Würden jetzt nochmals Parlamentswahlen abgehalten, würde der von Djukanovic angeführte "Souveränitätsblock" um einiges besser abschneiden als beim letztjährigen vorgezogenen Urnengang.

Aber auch die jüngste Wahl bestätigt eine Patt-Situation, wie sie in Montenegro - das von 1878 bis 1918 selbständige Monarchie war - seit langem gegeben ist: Die Mehrheit der Befürworter der Unabhängigkeit - seinerzeit nannte man sie die "Grünen" - ist zwar eindeutig, aber nicht "überwältigend". Die "Weißen", die für einen Anschluß des "Landes der Schwarzen Berge" an Serbien eintraten, waren (und sind) stark genug, um dem "Souveränitätsblock" große Schwierigkeiten zu bereiten. Das fängt schon jetzt mit der landestypischen Beschuldigung an, die Djukanovic-Leute hätten sich des Wahlbetruges schuldig gemacht.

Der Westen steht vor einem Dilemma: Soll er Djukanovic oder Belgrad stützen? Der diesjährige Kompromiß-Plan, Rest-Jugoslawien in eine neue Föderation unter dem Doppelnamen "Serbien-Montenegro" zu verwandeln, ist ein kosmetisches Ablenkungsmanöver, das kein einziges Problem löst. Der Westen muß sich entscheiden - und da könnte für ihn Søren Kierkegaards (1813-1855) bekannte Formel gelten: "Häng' dich oder hänge dich nicht - bereuen wirst du beides."


 
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