© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
"Sie sollen uns mit ihrem Mitleid in Ruhe lassen"
Die FDP und der "Fall Karsli": Ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Politiker Peter Sichrovsky über den leichtfertigen Vorwurf des "Antisemitismus" und neue Intoleranz
Dieter Stein

Herr Sichrovsky, in Deutschland herrscht helle Empörung über die Aufnahme des aus Syrien stammenden Ex-Grünen Jamal Karsli in die FDP. Karsli hatte sich scharf gegenüber der Politik Sharons geäußert. Er sprach in dem Zusammenhang in einer Pressemitteilung noch als Abgeordneter der Grüner von Nazi-Methoden bei der israelischen Armee - was er dann später wieder zurückgenommen hat. Wie auch der FDP-Vorsitzende von NRW, Jürgen Möllemann, der sich ähnlich kritisch äußerte. Nun wirft man beiden Antisemitismus vor. Was hat Ihrer Meinung nach die Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus zu tun?

Sichrovsky: Im Grunde genommen hat es nichts mit Antisemitismus zu tun. Wenn man allerdings in der Kritik so weit geht, das sozusagen typisch Jüdische dabei zu entdecken und nicht imstande ist, zwischen Religion, Kultur und der Entscheidung einer israelischen Regierung zu trennen, dann hat man die Kontrolle über den eigenen Antisemitismus verloren. Wenn manche jetzt jüdische Gemeinden auffordern, sich gegen Israel zu stellen oder diese kritisieren, weil sie Israel unterstützen, dann zeigen sie immer wieder die Unfähigkeit, zwischen der Religion und der politischen Entscheidungsebene in einem Staat zu unterscheiden. Ich glaube, das ist sehr leicht zu trennen, und ich verstehe auch nicht, warum geschulte, professionelle Politiker sich nicht besser kontrollieren können. Oder sie wollen sich auch nicht kontrollieren.

Welche Politiker meinen Sie?

Sichrovsky: Viele verwechseln Judentum mit Israel. Sie sind nicht imstande, zwischen Juden, Judentum und Israel zu trennen. Der Delegationsleiter der österreichischen Sozialdemokraten im Europaparlament, Svoboda, hat z.B. gefordert, die jüdischen Gemeinden sollten offen gegen die israelische Regierung auftreten. Das ist Antisemitismus. Aber auch der spezifische Vergleich von Nazi-Methoden und den Juden heute oder Israel heute, der ganz gezielt auf das Verhalten der Nazis gegenüber den Juden anspielt, ist Antisemitismus.

Und Karsli?

Sichrovsky: Karsli vergleicht das Schicksal der Juden in Deutschland damals mit den Palästinensern heute. Das ist Antisemitismus. Ich verteidige den Mann überhaupt nicht, ich finde auch, daß die Kritik berechtigt ist, die ihm Antisemitismus vorwirft.

Sie halten die Forderungen der Karsli-Kritiker aber für überzogen?

Sichrovsky: Der Fehler der Gegner von Karsli beginnt dort, wo sie seinen Ausschluß aus dem demokratischen Dialog fordern. Durch Ausgrenzung wird niemand seine Meinung ändern.

Als Ihre Partei, die FPÖ, vor 1999 in Österreich in die Regierung kam, kam es zu wochenlangen heftigen Protesten. Hier spielte der Vorwurf des Antisemitismus gegen Jörg Haider und die FPÖ eine große Rolle. Warum?

Sichrovsky: Weil es das wirksamste Mittel ist, um jemanden aus dem demokratischen Dialog hinauszudrängen. Genau dasselbe hat man ja auch mit dem Schriftsteller Martin Walser versucht. Wenn jemand politisch unangenehm wird in unserer Gesellschaft, versucht man ihn aus dem demokratischen Dialog auszuschließen. Da bieten sich verschiedene Methoden an: Verdacht auf Rechtsextremismus und undemokratisches Denken. Die immer noch wirksamste Methode ist der Antisemitismus. Eine Grundlage für entsprechende Unterstellungen gab es bei der FPÖ jedoch nie. Trotzdem erleben wir eine Inflation solcher Vorwürfe.

Sie meinen, man ist immer schneller mit solchen Vorwürfen bei der Hand?

Sichrovsky: Die Frage ist: Wen beschützen wir eigentlich mit solchen Vorwürfen? Das Ausmaß des Schutzes einer Minderheit mißt sich nicht am Mißbrauch der sogenannten Warnungen vor der angeblichen Diskriminierung.

Thomas Schmid warf den Grünen in der FAZ "parteipolitischen Kalkül" bei ihren Angriffen auf die FDP im Fall Karsli vor. Der Vorwurf des Antisemitismus diene "vor allem dazu, den gefährlichsten Konkurrenten der Grünen in den Sumpf des Unanständigen zu drängen".

Sichrovsky: Vollkommen richtig: Es gibt diese schwimmende Grenze vom Philosemitismus zum Antisemitismus. Joschka Fischer ist ein Paradebeispiel für den deutschen Philosemitismus. Er hofft, aus seiner ehemals antizionistisch-antifaschistischen Ecke herauszukommen, indem er Läuterung über die Juden bekommt.

Gehen Sie jetzt nicht selbst leichtfertig mit dem Vorwurf "Antisemitismus" um?

Sichrovsky: Man muß sich nur Fischers Reden vor den jüdischen Organisationen in den USA anhören. Wir Juden brauchen diese Kniefälle nicht! Wir Juden brauchen auch diese Form von Mitleid und sogenanntem Verständnis nicht! Auch das ist eine Form der Diskriminierung mit umgekehrten Vorzeichen. Leute wie Fischer und Co. haben noch nicht kapiert, daß wir nichts anderes als ein normales Leben wollen, und daß unsere Kinder nicht eine beschützenswerte Minderheit sind, sondern ganz normale Deutsche, Österreicher, Franzosen oder Italiener. Sie sollen uns endlich mit ihrer Fürsorge und ihrem aufgesetzten Mitleid in Ruhe lassen. Der Philosemitismus mit seiner Unterwürfigkeit und dem aufdringlich vorgebrachten Verständnis gegenüber Juden schlägt oft schnell in einen Antisemitismus um, wenn er nämlich das Schicksal der Juden in einer banalen politischen Auseinandersetzung benutzt, um gegen die FPÖ oder hier gegen die FDP vorzugehen. Da ist dem Philosemiten nichts zu schade, da benutzt er die Juden wie jeder andere und es ist für ihn ein dankbares Handwerk in einer politischen Auseinandersetzung, wo die moralischen Argumente herrschen, weil die inhaltlichen fehlen.

Der FDP-Chef Westerwelle ließ sich vor zwei Wochen zum Kanzlerkandidaten küren. Die FDP steigt in den Umfragewerten, liegt in den Umfragen vorn - und dann plötzlich die große Empörung um Karsli und Möllemann und die Warnung von Kanzler Schröder vor einer Haiderisierung der FDP. Sehen Sie da einen inneren Zusammenhang?

Sichrovsky: Es ist doch ganz klar: Die Linke hat entdeckt, daß sie inhaltlich keine Alternativen mehr zu bieten hat. Die rot-grüne Utopie ist gescheitert. Ideologien sind uninteressant geworden. Wenn eine Partei nicht in der Lage ist, überzeugende Lösungen für aktuelle Gegenwartsprobleme zu entwickeln - dieses Problem beschäftigt die Linke in Europa und ganz besonders in Deutschland -, dann beginnt sie die Unterschiede moralisch zu besetzen. Dann tritt die Linke nicht mehr aktiv und positiv in den Wahlkampf, sondern versucht den politischen Gegner auf einer moralischen Werteskala als minderwertig darzustellen. Und das ist das Furchtbare: Das ist die Sprache der Diktatur. Der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ist der, daß eine andere politische Meinung nicht minderwertig, sondern aus Sicht des Gegners falsch ist. Schröder und Fischer aber machen aus ihren politischen Gegnern die amoralischen, die minderwertigen Politiker, und das hat es eigentlich nur während der Nazizeit und während des Kommunismus gegeben.

Hat sich nicht bei den letzten Wahlen in Europa herausgestellt, daß diese Strategie nicht einmal erfolgreich anschlägt? Durschauen die Bürger nicht inzwischen das Spiel?

Sichrovsky: Diese Strategie der Verleumdung führt nicht zum Erfolg, weil sie eine Lüge ist. Herr Schröder und Herr Fischer sind keine wertvolleren Menschen als Herr Westerwelle oder Herr Stoiber. Sie haben vielleicht die besseren oder schlechteren Ideen, die besseren oder schlechteren Leute um sich herum und die besseren oder schlechteren Lösungsmodelle. Wenn sie in einen Wahlkampf gehen und sich als die wertvolleren, höherwertigeren Menschen präsentieren, dann werden sie selbst über diese Lüge stolpern.

Aber will Schröder mit der Warnung vor einer "Haiderisierung" nicht vor einer Erstarkung eines sogenannten "Rechtspopulismus" warnen?

Sichrovsky: Das wäre ja noch eine politische Aussage. Er meint aber, daß die Menschen Gefahr laufen, hinter moralisch minderwertigen Politikern wie Jörg Haider hinterherzurennen und nicht sehen und erkennen, was Herr Schröder sieht. Schröder und Fischer haben angeblich den moralischen Röntgenblick. Das ist Moralfaschismus. Das ist ein Moralrassismus.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, und sein Stellvertreter, Michel Friedman haben die FDP in den letzten Tagen scharf angegriffen. Die Grünen-Chefin Claudia Roth hat sogar Strafanzeige wegen Volksverhetzung eingereicht, weil Jürgen Möllemann im Gegenzug Michel Friedmann vorgeworfen hat, niemand schüre Antisemitismus in Deutschland mehr, als er durch sein Verhalten. Was ist davon zu halten?

Sichrovsky: Herr Möllemann hat sicher nicht recht, weil es ein altes Klischee ist, die Juden seien selbst am Antisemitismus schuld. Doch muß man einen Unterschied machen zwischen Paul Spiegel und Michel Friedman. Ich glaube, daß Paul Spiegel ein ruhiger, intelligenter Mann ist, der irgendwo noch versucht, auf einer sachlichen Basis eine Diskussion zu führen und auch seiner Verpflichtung nachgeht, die Stellung des Zentralrates zu verteidigen. Friedman ist ein Showman des Antisemitismus. Ich habe von Friedman noch nie etwas anderes in Bezug auf Judentum gehört wie Rechtsextremismus und Antisemitismus. Der weiß nicht einmal, was Judentum bedeutet, und hier wird es gefährlich. Hier provoziert man Leute, die das Potential des Antisemitismus sozusagen wohlverborgen in sich herumtragen, und solch ein Streit wirkt dann wie eine Ventilöffnung.

Sie hatten nach dem Tod Ignatz Bubis' die Wahl von Paul Spiegel als "identitätslosen Kompromiß" bezeichnet und die Auflösung des Zentralrates gefordert. Er spiegele nicht die Vielfalt der jüdischen Gemeinschaft wider. Sind Sie bei dieser Position geblieben?

Sichrovsky: Ich bin letztlich doch froh, daß es Spiegel geworden ist und nicht Friedman. Das Problem ist, daß man in Deutschland nichts anderes über das Judentum weiß, als die Problematik im Zusammenhang mit der Verfolgung. Die Vertreter des Zentralrates sehen sich in erster Linie als eine Kampfgemeinschaft gegen ihre Feinde, statt sich als Religionsgemeinschaft zu begreifen. Wer weiß schon etwas über die Vielfalt der Juden in Deutschland, über ihre Festivals und über ihre Kultur? Alles dreht sich um das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das Museum, das an die Vernichtung erinnert und den Kampf gegen ihre Feinde. Damit präsentiert sich eine rein negativ besetzte Identität. Das ist eine Katastrophe für eine Religionsgemeinschaft. Unsere Kinder haben solche Führer, solche Vertreter nicht verdient.

Ist denn der Zentralrat im "Fall Karsli" treibende Kraft oder wurde er selbst getrieben? Sie sagten einmal in einem Interview mit uns über Ignatz Bubis, dessen Autobiographie Sie mit verfaßten, er habe "eine Alibifunktion", er werde "ständig instrumentalisiert von der Kohlregierung in der Beziehung zu Israel und den USA von den Linken gegen die Rechten und wird auch manchmal von den Rechten gegen die Linken benutzt". Sie sprachen von der fatalen Benutzbarkeit der offiziellen jüdischen Funktionäre.

Sichrovsky: Paul Spiegel ist ein anständiger Kerl und versucht sein Bestes, wird aber auch getrieben von Friedman, der hier seinen ganz persönlichen Erfolg auf einem Berg von Leichen aufbaut.

Drängen Politiker und Journalisten nicht die Vertreter des Zentralrates immer wieder, sich politisch in den Mittelpunkt zu stellen? Wird dem Zentralrat nicht eine Rolle aufgenötigt, die er selbst so nicht sucht?

Sichrovsky: Jene Vertreter des Zentralrates, die diese Show mitmachen, haben dies selbst zu verantworten. Niemand drängt sie in diese Rolle.

Sie hatten 1998 ja versucht, mit der Gründung eines "Bundes Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden in Deutschland", dessen Vorsitzender Sie wurden, eine orthodoxe Alternative zum Zentralrat aufzubauen - warum?

Sichrovsky: Deutschland ist immer noch das einzige Land der Welt, wo es einen Zentralrat gibt. Selbst in Österreich ist die Vielfalt größer. Das entspricht nicht den Grundlagen der jüdischen Religion. Der Zentralrat ist organisiert wie eine politische Partei, und das ist eine Katastrophe. Wenn Sie einmal in die Gemeinden der einzelnen Städte gehen, dann herrscht ein wüster Streit in den Gemeinden und Gruppen. Da ist ein ständiger Kampf gegen den Zentralrat und der Gemeinden untereinander. Das ganze ist in einem katastrophalen Zustand, und das ist dem Zentralrat nicht einmal vorzuwerfen. Eine derartige Vielfalt, wie es sie im Judentum gibt, läßt sich nicht in eine zentralistische Organisation hineinpressen. Ich bin immer noch dafür, den Zentralrat aufzulösen.

Und statt dessen?

Sichrovsky: An dessen Stelle müßten verschiedene jüdische Gemeinde-Verbände treten, wie es sie auch vor dem Krieg gab. Dazu gehört mindestens eine liberale, eine konservative und eine orthodoxe Strömung. Auch die russischen Einwanderer - wie zum Beispiel die bu-charischen Juden - sollten ihre eigenen Gemeinden haben, und die jeweiligen Vorsitzenden sollten lediglich in einem Dachverband zusammengefaßt werden.

Gibt es dazu denn Ansätze?

Sichrovsky: Nein, nichts, es wird mit allen Mitteln unterdrückt und zwar aus rein finanziellen Motiven. So wird das derzeitige riesige Budget zentral verwaltet, und sie können sich vorstellen, daß es um stattliche Summen geht.

Sie warnten einmal, daß die "Form der medialen Sonderstellung" für die nächste Generation der Juden in Deutschland "eine Katastrophe" sei. Denn nichts "widerspricht dem Leben so sehr wie eine vorgespielte Panik, die aus Gründen der Eitelkeit an die Kinder und Enkel weitergegeben wird."

Sichrovsky: Diese eingespielten Rituale der Vergangenheit zwischen Berufsjuden, wie ich sie nenne, auf der einen und Medien und Politik auf der anderen Seite mit ihrer ununterbrochenen Warnung vor dem Antisemitismus sorgen dafür, daß jede neue Generation von Juden, die in Deutschland aufwächst, in diese Sonderrolle des besonders Beschützenswerten hineingerät. Jede Normalisierung der Juden in Deutschland wird dadurch verhindert.

Findet diese von Ihnen geforderte Normalisierung denn in Österreich seit dem schwarz-blauen Regierungswechsel statt?

Sichrovsky: Es hat sich vieles normalisiert. Dazu beigetragen hat auch die Tatsache, daß es keine Ausschreitungen gegen Minderheiten und Anschläge gegen Synagogen gab. Österreich ist mit der FPÖ an der Regierung für Juden einer der sichersten Orte in Europa überhaupt. Wir haben auch Anzeichen für eine Normalisierung zwischen den Vertretern der offiziellen jüdischen Gemeinde und der Regierung. Wir sind in der Normalisierung des jüdischen Lebens einen wesentlichen Schritt weiter als die Juden in Deutschland.

Sie haben schlimme Erfahrungen machen müssen mit Haß und Ausgrenzung wegen Ihres Engagements bei den Österreichischen Freiheitlichen. Große deutsche Verlage wie Kiepenheuer & Witsch, Fischer und Knaur, bei denen Sie früher verlegten, haben die Zusammenarbeit mit Ihnen eingestellt. Hat sich daran etwas geändert?

Sichrovsky: Das ist ja der Hohn der Geschichte, daß die, die sich am lautesten antifaschistisch gebärden, selbst einen zum Teil faschistoiden Charakter haben, indem sie das, was ihnen politisch nicht paßt, nicht nur diskriminieren, sondern auch auf brutalste Weise aus der Gesellschaft einfach ausschließen. Der Boykott meiner Arbeit ging so weit, daß der Fischer-Verlag damals sogar den Druck meines Kinderbuches gestoppt hat. Sie haben gesagt, das könne man nicht mehr vertreten, einen Autor zu verlegen, der sich für Jörg Haider engagiert. Das ist eine Mentalität, die mich erschreckt und an die Vergangenheit erinnert.

In anderen Ländern werden Sie als Autor doch nach wie vor gefeiert?

Sichrovsky: In den letzten Jahren hat ein Theatestück von mir in Spanien fast alle Theaterpreise bekommen, die in Spanien zu vergeben sind. Nächste Woche findet in Washington ein großes Theaterfestival mit meinen Stücken statt.

Wie begründen denn die Verlage die Ablehnung Ihnen gegenüber?

Sichrovsky: So jemanden wie mich, der in einer "rechtsradikalen" Partei ist, wollen sie nicht in ihrem Verlag haben. Und da kommt noch etwas hinzu: Das Verräter-Image. Als Jude in der FPÖ! Sie bezeichnen mich als Verräter, weil sie davon ausgehen, daß ein Jude bei dem die Benutzbarkeit durch die Linke wegfällt, ein Verräter ist.

Haben Sie einen Ratschlag für Westerwelle und Möllemann in der Affäre Karsli?

Sichrovsky: Mir gefällt es auch nicht, was Möllemann sagt, und mir gefällt das auch nicht, was Karsli sagte, aber man muß auch eine gewisse Gelassenheit zeigen und auf einer harten sachlichen Ebene mit den Leuten diskutieren. Wir müssen endlich weg von der Konfliktlösungsmethode "Vernichtung des Gegners". Ein Ausschluß ist ja immer die Vernichtung des Gegners, es ist ein Ausschluß aus der Gesellschaft, ein Ausschluß aus der Partei. Ausschluß bedeutet auch Flucht als Konfliktlösung. Das sind die Methoden, die wir eigentlich abgelegt haben sollten.

Einen Ausschluß Karslis aus der FDP halten Sie also für einen Fehler?

Sichrovsky: Sein Rauswurf ist keine Lösung. Das ist auch keine Lösung, die man verlangen darf. Die schiere Ausgrenzung führt zu nichts, sie führt nur zu einer Radikalisierung und nicht zu einer Änderung eines Verhaltens.

Eine andere Frage: Es wurde immer wieder spekuliert, ob die FPÖ und Jörg Haider zur Europawahl 2004 mit einer europaweiten Liste antreten. Befürworten Sie das?

Sichrovsky: Haider hat das erst diese Woche in einer italienischen Zeitung wieder angekündigt. Eine "Liste der Bürger für die EU". Ich fände das eine großartige Idee und würde ihn auch unterstützen. Es wäre eine echte Bereicherung des Europaparlaments, wenn Haider nach 2004 dort vielleicht sogar mit Fraktionsstärke mitarbeiten könnte.

Gibt es denn eine Partei in Europa, mit der die FPÖ jetzt schon kooperiert?

Sichrovsky: Bisher überhaupt nicht, weil wir uns immer als österreichische Partei definiert haben, die mit anderen nur in Sachthemen zusammenarbeitet. Aber das kann sich ja ändern.

 

Peter Sichrovsky, 1947 in Wien geboren, studierte Pharmazie und Chemie. Nach einer kurzen Tätigkeit als Mittelschullehrer gelangte er 1976 in Management-Positionen der Pharmaindustrie. Danach wechselte er zur schreibenden Zunft, war von 1980 bis 1984 unter anderem für den Spiegel tätig, von 1984 bis 1986 als Korrespondent in New York, 1987 Chefredakteur der Männer Vogue, und 1988 an der Gründung der Wiener Tageszeitung Der Standard beteiligt und bis 1991 Mitglied der Chefredaktion. Danach war er als Korrespondent verschiedener Tageszeitungen in Fernost tätig. Aufsehen erregte 1996 Sichrovskys Spitzenkandidatur für Jörg Haiders FPÖ, für die er seitdem im Europaparlament sitzt und deren Generalsekretär mit Zuständigkeit für die Außenpolitik er seit 2000 ist. 1998 unternahm er den - vorerst gescheiterten - Versuch der Gründung eines orthodoxen "Bundes Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden in Deutschland". Sichrovsky ist Autor zahlreicher Bücher und Theaterstücke, darunter "Schuldig geboren" (1987), "Unheilbar deutsch" (1993), "Damit bin ich noch lange nicht fertig - Die offizielle Biographie Ignatz Bubis" (1996), "Der Antifa-Komplex" (1998).

 

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