© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Stimme der Heimat
Am Sonntag wäre der im März verstorbene Publizist Christian Graf von Krockow 75 Jahre alt geworden
Thorsten Hinz

Seinen 75. Geburtstag am 26. Mai hat Christian Graf von Krockow nicht mehr erleben dürfen. Im März starb er an den Folgen eines Herzinfarkts in Hamburg. Damit verlor Pommern seine vielleicht kompetenteste und liebenswürdigste Stimme, und auch die am meisten gehörte. Es waren ja nicht nur die Kenntnisse des Historikers, die seine Bücher, Artikel, Reden und Interviews zu Erlebnissen machten, hinzu kamen eine spezielle Zeitzeugenschaft und Bildung im weitesten Sinn, nämlich Noblesse, Kultiviertheit, Menschenkenntnis. Krockows Sprache war an Fontane geschult, sein diskreter Gestus und Tonfall kam aus einer anderen Zeit und wirkte dennoch nicht anachronistisch. Er verfügte über nachsichtige Ironie, auch Selbstironie, und wenn er Kritik übte, dann nie im schneidenden Tonfall, sondern immer um Verständnis für den anderen bemüht.

Geboren wurde er 1927 im hinterpommerschen Dorf Rumbske, Kreis Stolp, in einer adligen Gutsbesitzerfamilie. Das Familienschloß wurde 1945 zerstört. Nach dem Krieg verschug es ihn nach Göttingen. Er verfaßte eine bis heute lesenswerte Dissertation über die Begrifflichkeit von Carl Schmitt, Martin Heidegger und Ernst Jünger. Bis 1969 war er Professor für Politikwissenschaften. Seine eigentliche Karriere, die ihm jetzt den Nachruhm sichert, begann aber erst, als er sich als freier Publizist und Schriftsteller niederließ. Er schrieb Bücher über Preußen und Pommern, seine Heimatprovinz.

Wenn er dabei aus dem familiären Erfahrungsschatz schöpfte, wollte er die Leser nicht einfach nur mit Anekdötchen unterhalten oder sich wichtig machen - in dieser Hinsicht sind seine Bücher gänzlich uneitel -, sondern ihnen aus origineller Perspektive den Blick auf das historisch Wesentliche eröffnen.

Seine 1985 veröffentlichte "Reise nach Pommern" war sein größter Bucherfolg. Es ist das gewiß einflußreichste Pommern-Buch überhaupt. Unvergeßlich ist die kurze, dichte Schilderung über den Auszug der blutjungen Stolper Reiter Anfang 1945, die ihre Pferde vor der Front in Sicherheit bringen. "Weiter, nur weiter." Durch Krieg und Elend, die meisten von ihnen sterben. "Wo nur sah man das schon? Ich komme nicht darauf." Das ist der Ton aus der "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke". Die Überschrift lautet: "Der Vorhang der Nacht". Was folgt, ist ein Prosagedicht über das Ende des deutschen Hinterpommern.

Seine Überlegungen kreisten immer wieder um den preußischen Adel, dem er entstammte, und um seinen Einfluß auf das Kaiserreich und die Weimarer Republik. Mit der Beschreibung des elterlichen Schlosses und seines Interieurs hat er die beengte Welt der ostelbischen Elite, in deren Mittelpunkt das Militärische und die Jagd standen, anschaulich gemacht. Die Bibliothek enthielt zwar alles, was bis 1900 für klassisch gehalten wurde, danach aber kam bloß Zufälliges, Banales, Drittklassiges hinzu. "In die Verweigerung mischten sich Züge einer Borniertheit, die tragisch zu nennen wäre, wenn sie denn übers Enge und immer bloß Abwehrende überhaupt hinausgereicht hätte." So gern und anschaulich er von der Väter- und Großväterwelt erzählte, sie war ihm stets auch Mahnung, die Vergangenheit nicht zum Fetisch zu erheben.

Am 17. August 1991, in seiner Rede zur Überführung der Gebeine Friedrich II. nach Potsdam-Sanssouci, faßte er seine Überlegungen zu Preußen zusammen: "Das preußische Heiligtum, die deutsche Kathedrale der Pflichterfüllung, türmt sich über zerstörtes Glück. Dies auszusprechen heißt nicht, die Größe in den Staub zu ziehen. Das wirklich Große beginnt immer erst dort, wo die Gemütlichkeit aufhört und der Schrecken einsetzt, hart an dem Abgrund, der schaudern macht."

Für seinen Verlag war Krockow die sprichwörtliche Gans, die goldene Eier legte. Die Bücher, die er in den letzten Jahren verfaßte, handelten unter anderem von Churchill, Hitler, Wilhelm II.: Allesamt hochinteressante, aber auch die schwierigsten Themen, die sich einem Historiker überhaupt stellen. Die Werke können ihre Herkunft aus der Fließbandproduktion, der Krockow schließlich verfiel, nicht mehr verleugnen. In den letzten Jahren hätte er kürzer treten sollen.

Seine Bücher über Pommern, Preußen und Ostpreußen jedenfalls werden bleiben. In der "Reise nach Pommern" heißt es: "Wenn wir aber von der bitteren Vergangenheit uns losreißen, wenn wir den Blick auf die Gegenwart und, vor allem, auf die Zukunft richten, dann ist (...) eines nötig: (...) Wir müssen einen Schlußstrich ziehen unter jegliches Auf- und Abrechnen. Wir müssen anerkennen - und dies nicht bloß mit Worten oder Verträgen - sondern wir müssen uns gleichsam von innen her, in unseren Herzen, dazu durchringen, daß 1945 eine unwiderrufliche Entscheidung gefallen ist." Er fügte hinzu: "Ich weiß und beeile mich, es für mich selbst zu bekennen: Dies ist leichter gesagt als getan. Zu tief waren - hüben wie drüben - die Verwundungen. Sie sind kaum vernarbt, sie bereiten noch Schmerzen."

Da äußerte sich wieder der Kenner von Carl Schmitt und Ernst Jünger, der dafür plädierte, den Tatsachen ins Auge zu sehen und die Härte aufzubringen, sich ihnen zu stellen. Doch in diese gleichsam militärische Eindeutigkeit mischen sich humane Skepsis und milde Resignation à la Fontane. Pommern war für Krockow bis zum Lebensende die Heimat, die keineswegs nur in der Zeit - seiner Kinderzeit -, sondern auch im Raum verortet blieb und der bis zum Schluß seine tätige Sorge galt.

Die Art und Weise, wie er sie ihr angedeihen ließ, war unter Schicksalsgenossen nicht unumstritten. Denn um Verlustschmerzen in produktive Energien zu verwandeln, erschien es Krockow unumgänglich, materiellen und politischen Verzicht zu üben. Sein Verzicht aber erwies sich als ein Mehr, weil er ihm einen geistigen und moralischen Neu- und Wiedergewinn des Verlorenen ermöglichte, der die eigentliche Essenz seiner Bücher bildet. Sie kommt seinen Lesern, die es in allen Altersschichten und keineswegs nur in Deutschland gibt, nachhaltig zugute. Man würde sie, wenn die Formulierung nicht so abgegriffen wäre, Krockows bleibendes Vermächtnis nennen.


 
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