© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
CD: Pop
Lebensgefühle
Peter Boßdorf

Vor langen Jahren führte das zwischen Kölscher Klüngelschnulze und Befindlichkeitenchronik oszillierende Urgestein Wolf Maahn in einem Lied Klage darüber, daß in Supermärkten John Lennon zu hören sei. Er bat darum, daß man ihm "das Fieber" zurückgebe. Gemeint war vermutlich ein Lebensgefühl, das man als "authentisch" empfinden dürfe. Dieses Bedürfnis hat er nicht entdeckt, aber hübsch artikuliert. Auch heute ist es nicht verschwunden. Die Angst vor der gelungenen Vermarktung ist aber irrational. Es ist in einer Marktgesellschaft grundsätzlich systemwidrig, wenn etwas, das sich gut verkaufen läßt, nicht verkauft wird.

Die fünf Musikerinnen und Musiker nun, die unter dem Namen Adaro mit Dudelsack, Drehleier, Krummhorn, E-Gitarren, Schlagzeug und dergleichem mehr etwas fabrizieren, das den pragmatischen Ausdruck "Mittelalter-Rock" verdient hat, kommen daher, als wollten sie nicht verbergen, daß sie für den Markt produzieren. Von ihrem äußeren Erscheinungsbild knüpfen sie an Dschingis Khan als den Klassikern des Genres an, die mit dem gleichnamigen Song 1979 immerhin den vierten Platz beim Grand Prix d'Eurovision belegen konnten. Die Musik von Adaro jedoch dringt nicht in diese Dimensionen vor. Ein Ohrwurm fehlt auf "Minnenspiel" (Steamhammer/ spv), der aktuellen CD. Das Manko ist wohl weniger dem interessanten Versuch geschuldet, mittelhochdeutsche Texte mit Anleihen an der Tradition neu und genresprengend zu vertonen. Daß solches gelingen kann, ist nämlich durchaus schon bewiesen worden.

Adaro aber verläuft sich in dem Experiment, einem unterdessen breitere Kreise ziehenden Freizeittrend eine musikalische Untermalung anzudienen, die nicht mehr allein Nischengeschmäckern verpflichtet ist. In ihrem pragmatischen Verzicht auf jeglichen Spleen über das populäre Bedürfnis hinaus, sich nicht mehr nur in der Karnevalszeit zu verkleiden, unterschätzen die Musiker die Versuchung zur langweiligen Beliebigkeit, die der unbedingte Wille zur guten Unterhaltung darstellt. Das Ergebnis kann sich hören lassen, aber nur als Hintergrundgedudel auf Mittelaltermärkten, rustikalen Grillabenden und in Supermärkten, dort vielleicht nicht gerade in der Naturkostabteilung, sicherlich aber bei den Mixgetränken.

Künstlerische Kompromißlosigkeit ist hingegen eine Stärke, die seit jeher Jörg Bartscher-Kleudgen auszeichnet. Gothic ist ihm kein Accessoire der Selbstdarstellung, sondern wesentlich. Er äußert sich musikalisch mit seiner Band The House of Usher, deren Hommage an Edgar Allen Poe sich nicht nur auf ihren Namen beschränkt. Durch wechselnde Besetzungen hindurch folgt er seinem Bedürfnis, in jenem Genre, das die Sisters of Mercy vor fast zwei Jahrzehnten anstießen, immer wieder aufs Neue etwas zu bieten, das mehr wäre als die Kopie bewährter Ausdrucksmittel kraftvoller Melancholie.

Dies ist auch auf der aktuellen CD "Inferno/ l'enfer" (Équinoxe Records/ EFA) wieder gelungen. Ansätze dieser Art hat es zwar häufig gegeben und gibt es bis auf unsere Tage. Niemand hat aber so langen Atem bewiesen und sich so reflektiert auf diese Musik und das durch sie transportierte Lebensgefühl eingelassen wie The House of Usher. In der Konsequenz hat die Band ihrerseits längst stilbildend gewirkt. Dazu tragen nicht zuletzt die literarischen Neigungen von Jörg Bartscher-Kleudgen bei. Er ist Autor von zahlreichen phantastischen Kurzgeschichten, die in der Tradition der schwarzen Romantik stehen. Manche von ihnen hat er unter anderem in den Booklets seiner CDs veröffentlicht. Eine von ihnen ist auf "Inferno/ l'enfer" von Christian von Aster und Boris Koch als halbstündiges Hörspiel umgesetzt worden.


 
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