© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Nachgeholter Skandal
Ein Kinofilm sorgt für Aufruhr in der katholischen Kirche
Georg Alois Oblinger

Am 30. Mai soll der Film "Der Stellvertreter" in die deutschen Kinos kommen. Es ist die Kinofassung von Rolf Hochhuths gleichnamigem Theaterstück, das 1963 in Berlin uraufgeführt wurde und für große Aufregung und Empörung in katholischen Kreisen sorgte. Grund: Papst Pius XII. wird darin angegriffen, durch sein Schweigen während der NS-Diktatur die Tötung zahlreicher Juden begünstigt zu haben. Der 69jährige Regisseur Constantin Costa-Gavras ("Z", "Missing") scheint mit seinem Spielfilm einen ähnlichen Skandal wie damals Hochhuth heraufbeschwören zu wollen. Schon das Kinoplakat von Oliviero Toscani, das eine Verbindung von christlichem Kreuz und Hakenkreuz darstellt, suggeriert eine Zusammenarbeit zwischen dem Hitler-Regime und der katholischen Kirche.

Die Anschuldigungen gegenüber der Kirche und insbesondere dem Pacelli-Papst sind keinesfalls neu. Doch auch die Antwort wurde längst gegeben. Am treffendsten antwortete wohl Gertrud von Le Fort 1967 mit ihrer Legende "Das Schweigen". Wie in den meisten ihrer Erzählungen kleidet die Schriftstellerin auch hier eine aktuelle Problematik in ein historisches Gewand. Die geschichtliche Distanz befähigt zum objektiveren und schärferen Sehen.

Die Stadt Rom symbolisiert in Le Forts Werken stets die überzeitliche und göttliche Ordnung. In besagter Legende wird Rom von feindlich gesinnten Adelsgeschlechtern bedroht. Der Papst verhilft einer Dame, die man zur Hochzeit nötigen will, zu nächtlicher Flucht. Dann hüllt er sich in Schweigen. Das Volk tobt und fordert, der Papst solle den Bannaussprechen. Doch dieser wahrt sein Schweigen und segnet das Volk. Viele der umliegenden Orte werden nun angegriffen; allein Rom bleibt verschont. Als die Adelsgeschlechter ihr Wüten beenden, liegt der Papst bereits im Fieber, an dem er kurz darauf stirbt. Sein Diener schreibt diese Legende auf, um "vor dem Angesicht einer irrenden und, wie es scheint, unbelehrbaren Welt die Wahrheit zu bekennen, welche, wie fast jede Wahrheit, tief, aber sehr still ist". "Denn noch immer ist mein heimgegangener Herr verkannt und verleumdet - und kann es denn anders sein in einer sich unaufhörlich regenden Welt, einer immer wieder die schamlosen Vorwürfe der Schwätzer wiederholenden?" Der Diener des Papstes hütet nun das Grab seines einstigen Herrn, von dem er sagt, daß es "das Grab eines Heiligen ist".

Getrud von Le Fort hat diese Legende "dem Andenken Papst Pius XII. gewidmet". Denn Pius XII. hat durch sein Schweigen mehr als 7.000 Juden gerettet, die in katholischen Klöstern Zuflucht fanden. Dies berichtet der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide in seinem Buch "Rom und die Juden".

Doch: Würde diese Geschichte ein ebenso großes Echo finden wie "Der Stellvertreter?" Wäre es denkbar, "Das Schweigen" zu verfilmen - oder wenigstens als Buch neu anzulegen?


 
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