© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Letzte Konsequenz
Nach Brandanschlägen auf zwei Kirchen regt sich kein Protest
Alexander Barti

Pfingsten gilt als der Gründungstag der von Christus gestifteten Kirche. Im Evangelium ist von Feuerzungen - als Symbol des heiligen Geistes - die Rede, die auf die Aposteln niedergingen; von da an hatten sie einen besonderen Draht in den Himmel und waren befähigt, ihre Vollmachten weiterzugeben. Die apostolische Sukzession war geboren.

Eine etwas andere "Feuertaufe" ereignete sich rund 1972 Jahre später in der Mitte Deutschlands: am 18. Mai, in der Nacht zum Pfingstsonntag, wurde im Gemeindehaus der evangelischen Auferstehungskirche in Mainz Feuer gelegt. Die bislang unbekannten Täter hatten eine Scheibe eingeschlagen und brennbare Materialien angezündet. Und einen Tag später, in der Nacht auf Pfingstmontag, brannte das Hauptportal der katholischen St.-Kunigundis Kirche in Kassel; der am Tatort an die Wand geschmierte Schriftzug "Bozkurt", das Logo der Jungtürkischen Nationalisten "Graue Wölfe", könnte ein Hinweis auf die Täter sein.

Vor schnellen Urteilen ist aber auch in diesem Fall zu warnen, denn nicht erst seit heute weiß man, daß Anschläge mit mitgelieferten "Bekennerschreiben" in Form von Farbschmierereien oft von anderen "Agenturen" verübt werden. Auf den ersten Blick kann man zum Beispiel nicht verstehen, daß gerade eine nationalistische Organisation gegen eine religiöse Kultstätte vorgegangen ist. Hätten sich religiöse Organisationen wie Hamas, Hisbollah oder die Muslimbruderschaft zu dem Anschlag bekannt, wäre das Motiv deutlicher. Nicht auszuschließen ist ein Zusammenhang mit dem Konflikt um den Bau eines großen muslimischen Kulturzentrums mit einer riesigen Moschee in Kassel, gegen das zahlreiche Nicht-Muslime protestieren und sich in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben.

Wer auch immer für die Anschläge verantwortlich ist, der mediale "Aufschrei der Anständigen" blieb bei beiden Brandanschlägen aus. Aber es wäre nur ein billiger, pseudo-konservativer Reflex, wollte man sich über das Ausbleiben der medialen Entrüstung echauffieren und Vergleiche mit Brandanschlägen auf jüdische Gebetshäuser anstellen. Rolf Dressler übt sich im Westfalen-Blatt zum Teil in dieser Disziplin, wenn er das Fehlen eines "zaghaften Anflugs einer Lichterkette" bedauert und beklagt, daß "wir" uns nicht mehr "gegen Übergriffe auf unsere Kultur" wehren würden. Dabei scheint Dressler nicht bemerkt zu haben, daß Kirchen schon lange nicht mehr zu "unserer" Kultur gehören - wenn man von der permanenten Besudelung christlicher Symbole absieht.

Der Holocaust ist nicht nur das konstitutive Moment des Staates Israel, sondern ist auch indirekt mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland aufs engste verbunden. Wenn also jüdische Einrichtungen - von wem auch immer - angegriffen werden, muß sich auch der deutsche Staat angegriffen fühlen. Daher ist es nur konsequent, wenn sich höchste Repräsentanten des Staates an dem Schauplatz eines heimtückischen Angriffs einfinden und ihre Betroffenheit, Wut und Trauer medienwirksam zum Ausdruck bringen.

Bei kirchlichen Einrichtungen kann von einer ähnlichen Symbiose keine Rede sein, im Gegenteil: der moderne Staat ist nicht nur stolz auf seinen Abstand zu den Konfessionen, er ist auch im wesentlichen in einem zähen Kampf gegen sie entstanden. Wenn Gerhard Schröder - und mit ihm zahlreiche Minister seines Kabinetts - 1998 bei seiner Vereidigung zum Bundeskanzler auf die Formel "... so wahr mir Gott helfe" verzichtete, so brachte er genau diesen Abstand folgerichtig zum Ausdruck. Brennende Kirchen bedrohen also nicht den säkularen Staat, sie bleiben für ihn höchstens ein kriminelles Ereignis, für das die Ordnungshüter und die Gerichte zuständig sind.

Lautstarken Protest hätte es von der Kirche selbst geben müssen. Aber bis heute hat sich Kardinal Lehmann nicht bemüßigt gefühlt, ein klares Wort zu den Anschlägen zu sagen. Lediglich der Vorsitzende des Katholikenrates im Bistum Fulda - ein Laiengremium -, Tobias Angert, übte sich in Salomonischen Sprüchen, die mehr aussagen über den desolaten Zustand des Christentums in Deutschland als hundert brennende Kirchen. "Sollte sich herausstellen, daß offener oder unterschwelliger Haß gegen unsere katholische Kirche oder unsere christliche Religion bei dem Anschlag eine Rolle gespielt hat, so müssen die Ursachen dieses Hasses offengelegt und dringend beseitigt werden", so Angert in einer Presserklärung.

Was sonst, wenn nicht "offener" Haß sollte eine Rolle bei dem Anschlag gespielt haben? Oder ist das heimtückische Abfackeln von Kirchen neuerdings der Beweis besonderer, "offener oder unterschwelliger" Zuneigung zum Christentum?

Wer das Innenleben der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zuhauf gebildeten Laienräte in der kirchlichen Organisation kennt, der weiß auch, was Angert mit den "Ursachen" des Hasses meint. Vermutlich ist man über die "soziale Kälte" in der Gesellschaft "betroffen" oder man beklagt die "rigide Haltung" der Christen, die noch immer nicht bereit seien, in einem "konstruktiven Dialog" mit den anderen Religionen ihre Glaubenswahrheiten über Bord zu werfen. Und so erklärt Angert folgerichtig weiter: "Trotz aller Bestürzung sind weder Wut noch Angst angemessene Reaktionen; als Christen dürfen wir nicht pauschale Schuldzuweisungen machen. Wir wissen, daß die überwiegende Mehrheit der Türken, die in unserem Land leben, mit extremistischen Organisationen nichts zu tun haben möchten." Und: "Alle Gläubigen - egal ob Juden, Muslime oder Christen - wissen: Wer das Haus Gottes angreift, der greift Gott an."

Naiver geht es nicht. In vollständiger ökumenischer Umnachtung glaubt der Katholikenrat allen Ernstes, daß für einen gläubigen Juden oder Moslem eine christliche Kirche ein "Haus Gottes" sei. Mitnichten! Für den gläubigen Juden ist Jesus Christus ein blasphemischer Sektenführer, der sich unverschämterweise zum Messias ernannt hat - und der zurecht am Kreuz "hingerichtet" wurde.

Der gläubige Moslem sieht in Christus immerhin einen "Propheten", aber natürlich nicht den "Sohn Gottes", und was mit den für ihn "Ungläubigen" geschehen soll, konnte man seit dem 11. September selbst in der letzten Provinzzeitung nachlesen - viel Gutes zumindest nicht, trotz aller Beschwichtigungen von unberufener Seite.

Für beide, gläubige Juden und Moslems, bleibt Christus ein Ärgernis, daran ändert auch die getrübte Sicht durch die Brille des Ökumenismus wenig. Und in dem Maße, wie die "abendländische Kultur" in zunehmender Entkräftung durch Heerscharen von lauwarmen Lehmännern und Angerts weiter geschwächt wird, werden ihre Kultstätten geschändet und verwüstet werden. Eine falsche, weil verlogene, Entrüstung ist also nicht angebracht.


 
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