© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Politik im Rila-Kloster
Carl Gustaf Ströhm

Als Papst Johannes Paul II. während seiner 96. Auslandsreise Ende Mai das berühmte bulgarische Rila-Kloster besuchte, bemerkte der orthodoxe Metropolit Simeon angesichts seines erschreckenden Gesundheitszustandes, die "Leute um den Papst sollten ihm sagen, er müsse aufhören."

Wahrscheinlich gibt es in der Umgebung Johannes Pauls nicht wenige, die solche Ratschläge bereits gegeben haben. Aber der Papst, dessen Körper verfallen, dessen Geist aber hellwach ist, denkt nicht ans Aufhören; seine klugen Augen verraten, daß er genau versteht, was um ihn vorgeht. Noch immer hat er ein Ziel vor Augen: die Aussöhnung zwischen Katholizismus und Orthodoxie - und eine Reise nach Moskau, zum Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche.

Der inzwischen 82jährige war stets ein "politischer" Papst. Den Zusammenbruch des Kommunismus hat er maßgeblich mit herbeigeführt. Der zweite Mann und Partner bei diesem Werk war Ronald Reagan, den Deutschlands grüner Außenminister Joseph Fischer seinerzeit als "Zelluloid-Cowboy" verspottete. Beiden, dem polnischen Papst und dem Ex-US-Präsidenten, haben wir den Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 und das Ende des Sowjetsystems entscheidend mit zu verdanken.

Daß der Papst auch heute noch politisch denkt, zeigte sich an einem kleinen, aber bedeutsamen Detail. Scheinbar ganz nebenbei - in Wirklichkeit aber gezielt - erklärte der Heilige Vater, er habe niemals an die "bulgarische Spur", das heißt die Mitschuld der Bulgaren am Attentat geglaubt, welches der Türke Mehmet Ali Agca gegen ihn verübte.

Das Attentat auf dem Petersplatz, das der polnische Papst im Mai 1981 wie durch ein Wunder überlebte, von dessen Folgen er sich aber nie wieder ganz erholen sollte, wurde zu einer Zeit verübt, als in Polen die Solidarnosc-Bewegung die KP-Diktatur zutiefst erschütterte. Der sowjetische Geheimdienst hatte längst begriffen, was die meisten westlichen Politiker (Reagans Berater ausgenommen) nicht wahrhaben wollten: daß das kommunistische System in seinen Grundfesten zu wanken begann - und daß ein gewisser Karol Wojtyla, der zum Papst aufgestiegene Erzbischof von Krakau, maßgeblichen Anteil daran hatte.

Zu jener Zeit führte der Verfasser dieser Zeilen ein vertrauliches Gespräch mit dem damaligen österreichischen Kanzler Bruno Kreisky. Dieser hochgebildete, blitzgescheite Mann, der die Entwicklung im damaligen Ostblock treffsicher zu analysieren wußte, wurde vom Verfasser gefragt, was er denn zu den Hintergründen des Papst-Attentats denke. Darauf Kreisky im Frühjahr 1983: "Na, das ist doch sonnenklar. Da gibt es doch nicht den geringsten Zweifel, wer das war. Schauns', die Russen wollen keinen polnischen Papst. Die Russen wollen einen konservativen italienischen Kardinal als Papst. Und was die Bulgaren angeht - die haben doch schon während der dreißiger Jahre in der Komintern immer die Drecksarbeit für Moskau gemacht."

Hätte ich diese Worte damals veröffentlicht, wäre es zu einem internationalen Skandal gekommen. Aber der SPÖ-Chef wußte, daß er sich auf den damaligen Welt-Ost-Korrespondenten verlassen konnte. Nebenbei bemerkte er, er habe das Attentatsproblem auch der Gräfin Dönhoff von der Zeit zu erklären versucht - aber die habe das gar nicht verstanden.

Der Heilige Vater möge mir verzeihen, wenn ich in dieser Frage eher dem alten Agnostiker Kreisky folge. Politik und Wahrheit sind oft zwei Paar Stiefel.


 
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