© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Auf die leere Leinwand starren
Kino: "Pollock" von und mit Ed Harris
Ellen Kositza

Man staunt, daß das Genre der Künstlerbiographie gerade im amerikanischen Filmschaffen immer wieder zu Leinwandehren gelangt. Nach dem Alten Meister Goya, dem Asphalt-Poeten Joe Gould und zuletzt einer opulenten "Tosca"-Verfilmung widmet sich diesmal Ed Harris ("The Truman Show", "Die Firma") als Regisseur und zugleich Schauspieler in der Hauptrolle einem, wenn nicht dem amerikanischen Repräsentanten moderner Kunst, Jackson Pollock.

Der 1956 im Alter von 44 Jahren bei einem Autounfall verstorbene Pollock gilt mit dem von ihm kreierten Action-Painting als einer der wichtigsten Vertreter des abstrakten Expressionismus; zudem war er der vielleicht erste Popstar der US-amerikanischen Kunstwelt.

Dabei waren die Anfänge alles andere als verheißungsvoll. Am 28. Januar 1912 in einem kleinen Nest in Wyoming geboren, studierte er zusammen mit Thomas Hart Brenton von 1929 bis 1931 in Los Angeles und New York. Bis in die vierziger Jahre hinein war Pollock einer unter vielen New Yorker Künstlern, die auch aufgrund der wirtschaftlichen Depression keinen Markt für ihre Bilder fanden. Durch den Krieg suchten viele Hauptakteure der europäischen Moderne wie Max Ernst, Marcel Duchamp und Piet Mondrian in New York ihr vorübergehendes Domizil und etablierten in der Weltstadt unter Vermittlung der exaltierten Kunstmäzenin Peggy Guggenheim eine florierende Kunstszene.

Pollock pinselt als wortkarger, eigentlich lebensunfähiger Sohn aus kleinbürgerlichem Haus seine kubistischen, teils surrealistischen Elaborate, als seine von ihm nicht wiedererkannte ehemalige Studienkollegin Lee Krasner (großartig: Marcia Gay Harden) ihn aufsucht, um als künftige Muse und Managerin sein Leben und Werk in die Hand zu nehmen. So findet bald die Guggenheim (Ed Harris' Ehefrau Amy Madigan), weniger tatsächliche Kunstexpertin als eine Art frühes weibliches Pendant zu den zeitgenössischen Partykönigen und Luder-Entdeckern, Gefallen an Pollocks Werk und dem exentrischen Wilden überhaupt. Der Künstler erhält einen hochdotierten Auftrag für ein großes Wandbild.

Denkwürdig und für Pollocks Schaffen bezeichnend entsteht dieses Bild: Der Maler reißt in seinem Atelier eine Wand ein, um den Bildgrund überhaupt vor sich aufhängen zu können. Davor sitzt er tagelang ideenlos, steigert sich in eine Depression hinein. Endlich, nach wochenlangem Zögern und Auf-die-leere-Leinwand-Starren, fängt er an, wild mit Farbe herumzuspritzen und beendete die Arbeit binnen drei Stunden. Über das völlig ungegenständliche Bild in blau-weiß-gelb spritzte er schwarze Farbe in Klecksen. Der "Tachismus" (von la tache, der Fleck) war geboren.

Guggenheim beschreibt in ihren Lebenserinnerungen: "Als ich damals das Ergebnis sah, war ich entsetzt und konnte nichts damit anfangen. Es machte große Mühe, das Bild an seinen Platz zu schaffen, zumal es größer war als die Wand, an der es hängen sollte. Pollock versuchte es zunächst allein, verlor dann aber die Nerven , als es nicht klappte.(..) Er betrank sich dann dermaßen, daß er sich auszog und nackt auf eine Party platzte, die im Wohnzimmer stattfand. Schließlich kam Marcel Duchamp mit einem Handwerker und sorgte dafür, daß das Wandbild an seinen Platz kam. Es sah wunderschön aus."

Nach dem konservativen Kunstkritiker Richard W. Eichler bildet die von Pollock "erfundene", von Kleinkindern vermutlich schon früher praktizierte Kunsttechnik des Tachismus in der Geschichte der Malerei die "Spät- und Endphase der Gegenstandslosigkeit".

Der wirkliche, die Grenzen der New Yorker Kunstszene sprengende Durchbruch kommt für Pollock erst 1949, als das renommierte Life-Magazin eine große Reportage unter der affirmativ intendierten Überschrift "Ist er der größte unter allen lebenden Künstlern in den Vereinigten Staaten?" veröffentlicht. Als außerordentlich kühn und radikal wird Pollocks Klecks-Stil gefeiert und bald auch in Europa als weitere Kunstrevolte nachgeahmt. Sogar die Zeit schrieb 1958, es sei nicht auszudenken, "was alles an Scharlatanerie und Selbstbetrug sich von Pollock herleitet".

Solcher Kritik freilich enthält sich der Film, deutet die aberwitzigen Zynismen des von einer Geldelite geprägten Kunstbetriebs nur an und zeichnet Pollocks nun erfolggekröntes, von selbstzerstörerischen Saufexzessen und jähen Wutanfällen markiertes, allein von seiner Frau in einen lebbaren Rahmen gefügtes Leben nach.

"Pollock" ist eine Künstlerbiographie, die wirklich nichts als das Leben ihres Subjekts abbildet und dabei die eigentliche künstlerische Intention - so es sie in diesem Fall überhaupt gab - fast ganz, den Blick auf die umgebende Zeit und ihre Umstände völlig wegläßt. So wird ein Leben ganz von außen betrachtet, dies jedoch bei aller Oberflächlichkeit minutiös und detailfreudig. Immerhin arbeitete Ed Harris weit über zehn Jahre an diesem Filmstoff. Der Lohn für diese Mühe war eine Oscar-Nominierung. Daß Jackson Pollocks Leben nur tragisch enden kann, nachdem ihn seine Frau, die ihm den ersehnten Nachwuchs verweigert, verlassen hat, ist freilich von der ersten Minute an angelegt.


 
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