© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002


Trügerische Hoffnung
von Charles Brant

Nach dem Sieg der "Union für die Präsidentenmehrheit" (UMP) von Präsident Chirac in der ersten Runde der französischen Parla-mentswahlen hofft Premier Raffarin nun auf eine Amtszeit mit viel Handlungsspielraum. Die Aussicht, als Liberaldemokrat ein Kabinett zu leiten, das mit Chirac-Anhängern besetzt ist, sollte ihm jedoch zu denken geben. In der französischen Geschichte haben solche Konstellationen noch nie ein gutes Ende genommen. Die bürgerliche Rechte ist genauso schlecht darauf vorbereitet, den Realitäten ins Auge zu sehen und die drängenden Probleme (Kriminalität, Zuwanderung, Globalisierung) zu lösen, wie die Linke. Die UMP ist ein zusammengewürfelter Haufen ohne eine eigene politische Identität. Ihr einziger Programmpunkt heißt Chirac. So droht der für den 16. Juni erwartete Wahlsieg ein oberflächlicher zu werden. Der Graben zwischen den Franzosen und ihrer politischen Klasse bleibt bestehen.

36 Prozent Stimmenthaltung sind ein historischer Rekord. Indem sie die Linke abwählten, haben die Franzosen Chirac eine Chance gegeben, ihm aber keinen Blankoscheck unterschrieben. Sie bleiben auch weiterhin mißtrauisch, und dieses Mißtrauen entzündet sich an jedem noch so geringen Anlaß. Frankreich hat keineswegs, wie der Liberaldemokrat Claude Goasguen am Abend der ersten Wahlrunde meinte, den Weg einer "friedlichen Demokratie" eingeschlagen. Die nächsten Mißverständnisse zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern sind schon vorprogrammiert.


 
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