© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Pankraz,
Otmar Wiestler und die Forschung im Ausland

Galgenhumor herrscht bei den berühmten Bonner Stammzellenforschern um die Professoren Oliver Brüstle und Otmar Wiestler. "Na, hast Du heute schon zum Mord angestiftet?" So begrüßt man sich auf den Gängen des Instituts, seitdem Berlin das Embryonenschutzgesetz verabschiedet hat. Denn diesem Gesetz zufolge ist es den Forschern jetzt nicht nur verboten, neue Stammzellinien anzulegen, sondern sie dürfen ausländische Kollegen auch nicht mehr zu solchen Anlagen ermuntern oder sie bei der Arbeit an "illegal angelegten" Linien beraten. Die internationale Kommunikation, sagte Otmar Wiestler der FAZ, werde dadurch faktisch unmöglich gemacht.

"Wir müssen extrem vorsichtig sein", meinte der Wissenschaftler. Jedes Tagungsreferat auf internationalen Kongressen, jedes telefonische Fachgespräch, jedes Fax, jeder Zeitschriftenaufsatz, jeder Austausch von Forschern oder technischem Personal könne einen künftig für drei Jahre ins Gefängnis bringen. Schon ist eine geplante Kooperation in Sachen Stammzellen zwischen den Universitäten Bonn und Haifa auf Eis gelegt. Zu gefährlich für die deutschen Beteiligten!

Und die Fundamentalisten und Dogmatiker im Bundestag und bei den diversen Staatsanwaltschaften ruhen nicht. Sie empfanden es schon als Niederlage für sich, daß das Parlament die Forschung an schon bestehenden Stammzellinien so gerade noch erlaubte und die Arbeit von ausgereisten deutschen Staatsangehörigen an ausländischen neuen Linien nicht generell als Beihilfe zum Mord unter Strafe stellte. Um sich für diese "Niederlage" zu rächen, werden sie nun (jedenfalls befürchten das die Bonner Wissenschaftler) ein ausgefeiltes Spitzelnetz organisieren, werden Telefone abhören und Kongreßreferate bzw. Zeitschriftenbeiträge durchschnüffeln, um die Forscher zu "ertappen" und anzuklagen.

Klar ist schon jetzt, daß damit zwar die deutsche Stammzellenforschung schwer behindert wird, nicht aber die Stammzellenforschung insgesamt. Sie wird ihren Weg ausschreiten, dafür sorgen die Forscher in Haifa, Boston, Stockholm, Seoul usw. Es wird erkundet werden, ob sich eine sinnvolle, erfolgversprechende Stammzellentherapie aufbauen läßt, und wenn sich Chancen abzeichnen, dann werden sie im Interesse schwerst leidender Patienten genutzt werden, auch wenn sich der Berliner Reichstag auf den Kopf stellt.

Blamieren kann sich hier nur einer, nämlich die deutschen Forschungsverhinderer. Ihre Taktik ist nicht nur wissenschaftsfeindlich, sondern in monströsem Ausmaß heuchlerisch. Die gleichen Abgeordneten, die einer befruchteten, noch nicht einmal eingenisteten Eizelle "die volle Menschenwürde" zusprechen und ihre Verwendung zum Aufbau von Stammzellinien als Mordtat qualifizieren und unter Strafe stellen, finden bekanntlich überhaupt nichts dabei, einen mehrmonatigen, in vieler Hinsicht bereits voll menschlich reagierenden Fötus abzutreiben und dafür die fadenscheinigsten Gründe ins Feld zu führen. Der Zeitgenosse wendet sich mit Grausen.

Neugierig darf er darauf sein, was passieren wird, wenn eines Tages wirklich effektive Medikamente gegen Alzheimer, Parkinson oder Diabetes auf dem Markt erscheinen, die sich der Stammzellenforschung verdanken. Wird es dann ein Gesetz geben, das die Einnahme solcher Medikamente wegen "Ausnutzung einer Mordtat" vor den Kadi bringt? Und werden die Gesetzgeber, falls selbst auf derlei Medikamente angewiesen, Enthaltsamkeit üben und lieber freiwillig in Demenz und Neuro-Degeneration versinken? Es ist absehbar, daß Letzteres nicht der Fall sein wird, daß es statt dessen eine Menge Durchstechereien und wiederum heuchlerische Argumente geben wird, um das Gesetz zu umgehen und den verbotenen Früchten ungeniert näher treten zu können.

Schon das Embryonenschutzgesetz eröffnet dazu mancherlei Möglichkeiten. Es erlaubt immerhin die Verwendung und den Import von Linien, die vor dem 1. Januar 2002 angelegt wurden; wer aber mag das kontrollieren, wenn - wie zu erwarten - im Lauf der Jahre immer neuen Linien hinzutreten, die Forschungsergebnisse der in- und ausländischen Institute sich überkreuzen und miteinander verbinden, wenn es, was ja à la longue unvermeidlich ist, zu den verschiedensten Aufbaustufen und Herkunftsdatierungen kommt?

Eine riesige Bürokratie mit archäologischen Recherche-Abteilungen wird dann nötig sein, Archivwürmer sonder Zahl, Stammbaum-Experten, Pedigree-Spezialisten. Ganze neue Arten von Schwerkriminalität werrden entstehen: Stammzellenschmuggel, Linienfälschungen, medizinalhistorische Hochstapelei. Zum Schluß wird niemand mehr wissen, was hinten und vorne, echt oder gefälscht ist, wer eine erlaubte und wer eine verbotene Niere oder Bauchspeicheldrüse im Leibe hat, und das Gesetz wird ruhmlos beerdigt werden.

Zunächst aber geht es um den unmittelbaren Schaden, den das Gesetz der deutschen Wissenschaft schon jetzt antut. "Wie sollen wir denn noch deutsche Nachwuchswissenschaftler an Stammzelleninstitute im Ausland schicken", klagt Otmar Wiestler, "die können da doch den ganzen Laden zu Hause in die Luft fliegen lassen. Sie müssen höllisch aufpassen, daß sie nicht die falschen, verbotenen Zellen in die Hand bekommen, weil sie sonst ihre Vorgesetzten in Deutschland gefährden und kriminalisieren."

Deutsche Professoren müssen Angst haben, ihre Schüler zum Weiterstudium ins Ausland zu schicken, weil sie sich damit, also allein dadurch, daß sie schicken, eventuell strafbar machen. So weit ist es gekommen. Aus heuchlerischer Sorge um die "Würde" einer befruchteten Eizelle wird die Würde lebendiger, durchaus würdiger, höchstqualifizierter Wissenschaftler und ihrer Schüler tief verletzt, werden sie vor den ausländischen Kollegen lächerlich gemacht. So also arbeitet der Deutsche Bundestag im Jahr 2002.


 
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