© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Von Verschwörung keine Spur
Jüdische Organsiationen in den USA rufen zum Boykott der "New York Times" auf
Ivan Denes

Nicht nur von Jamal Karsli wird der Mythos verbreitet, eine "jüdische Lobby" beherrsche die Medien. Dies soll besonders für die amerikanische Presse gelten, die fest in "zionistischer" Hand sei. Ein Vorgang, der in den USA im Sommer vorigen Jahres begann und sich gegenwärtig wiederholt, liefert anschauliche Gegenargumente.

Ein gewisser Rabbi Haskel Lookstein hatte damals eine Boykottaktion gegen die in jüdischem Familienbesitz befindliche New York Times (NYT) wegen deren pro-palästinensischen Berichterstattung über die Intifada in Gang gesetzt. Er rief zu einer einmonatigen Suspendierung der Abonnements auf, um der Redaktion das Mißfallen ihrer Leser kundzugeben. Über 10.000 Abonnenten folgten seinem Aufruf.

Jetzt hat ein New Yorker Jude namens All Scharf, aufgebracht von einem "menschlich überaus verständnisvollen" Interview der New York Times mit einem maskierten Palästinenser, der sich offen als Angehöriger einer Gruppe zu erkennen gab, die zahlreiche Bombenanschläge verübt hat, erneut einen Boykottaufruf lanciert. Scharf bediente sich des Internets und brachte eine regelrechte elektronische Lawine ins Rollen. Die Times gäbe lediglich den palästinensischen Opfern "ein Gesicht", nicht aber den Israelis, die dem Selbstmordterror zu Opfer fallen, heißt es. Scharf bekam von Organisationen wie Emunah of America, eine orthodoxe Frauenorganisation, sowie der ebenfalls orthodoxen Gemeinde Aish HaTorah deren Verteilerlisten zur Verfügung gestellt.

Auch der emsige Rabbi Lookstein hat wieder einen Boykottaufruf verkündet. Anlaß: Nach der großen "Salute to Israel"-Solidaritätsparade, die am 2. Juni in New York stattfand, veröffentlichte die Times in ihrem Bericht lediglich ein Foto von der unverhältnismäßig kleineren Gegendemonstration der linksgerichteten "Friedensgruppen". Daraufhin wurden die Boykottaufrufe verschärft: Juden sollen keine Anzeigen mehr in der New York Times schalten. Die Zeitung sah sich veranlaßt, einen redaktionellen "Fehler" einzugestehen und sich bei ihrer jüdischen Leserschaft zu entschuldigen - immerhin leben in New York zwischen 2,5 und 3 Millionen Juden. Eine ähnliche Aktion läuft in dieser Woche gegen die Washington Post, danach wird die dritte große Zeitung des Landes ins Visier genommen, die Los Angeles Times.

Die großen amerikanischen Blätter verhalten sich durchaus nicht pro-israelisch; beispielsweise geht der bekannte jüdische NYT-Kolumnist Tom Friedman regelmäßig hart mit der Sharon-Regierung ins Gericht. Friedman wurde vom saudiarabischen Kronprinzen Abdullah benutzt, um im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit Friedman seinen nach ihm benannten Friedensplan bekannt zu geben.

Die Rede von der einheitlichen prozionistischen Front der jüdisch beherrschten amerikanischen Medien erweist sich also in der Realität als völlig gegenstandslos. Sie entspringt europäischen Vorurteilen und der Neigung, alles, was von jenseits des Atlantiks kommt, als Produkt irgendeiner Verschwörung zu sehen.


 
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