© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Keine Angst vor dem Islam
Carsten Colpe relativiert das Eigene, um für das Fremde zu werden
Jens Dorpmüller

Zu den Geisteswissenschaftlern der Freien Universität Berlin, die in ihrem Fach als Sterne erster Ordnung glänzen und in die Sphäre akademischen Weltruhms eingetaucht sind, zählt der 1994 emeritierte Iranist und Religionshistoriker Carsten Colpe. Der gebürtige Dresdner ist ein Schüler Hans Heinrich Schaeders, des 1957 in Göttingen verstorbenen genialischen Orientalisten. Das gilt es zu beachten, da man erst im Vergleich mit diesem Lehrer die Essaysammlung, die Colpe zum "Problem Islam" vorlegt, angemessen würdigen kann.

Für den Iranisten Schaeder war die Beschäftigung mit der Kultur und Religion des Orients stets ein Einfallstor universalhistorischer Betrachtungen. Das ist bei Colpe nicht anders, wenn auch der Zugriff bei weitem weniger an Spengler erinnert als bei Schaeder. Doch, wie Colpe in seinem neuen Vorwort mit Blick auf den 11. September 2001 anklingen läßt, im Zeitalter des "Konflikts der Kulturen" können sich die Experten in Sachen "Begegnungen mit dem Islam" den weltpolitischen Dimensionen ihrer Disziplin schwerlich entziehen. Kein Wunder, wenn Colpe seit Jahren in Aktualitäten verstrickt ist, einerlei ob es um Khomeinis Machtergreifung, das gegen Salman Rushdie wegen Gotteslästerung verhängte Todesurteil oder den Iran-Irak-Krieg ging.

Schaeder, 1896 geboren, tagespolitisch leicht zu reizen und im Milieu der "Konservativen Revolutionäre" sozialisiert, hätte die Anfänge islamistischer Revitalisierung und iranischer Theokratie sicher noch leidenschaftlicher verfolgt und kommentiert als sein Schüler Colpe. Aber er hätte diesem gegenüber eine ideologisch konträre Position bezogen. Denn Schaeder war eingefleischter "Abendländer", dessen Distanz zu seinem Forschungsgegenstand schon dadurch zum Ausdruck kam, daß er keine Neigung zeigte, den Orient zu bereisen oder mit "Orientalen" zu verkehren. Der Sohn eines protestantischen Theologen, der spät zum Katholizismus konvertierte, glaubte, mit dem Ideal individueller Freiheit und persönlicher Bildung habe der christlich-jüdische Kulturkreis eine Höhe erklommen, die Völkern unter der Religion Mohammeds unerreichbar war. Orientalische Studien legitimierten sich für Schaeder daher allein in Abgrenzung des Abendlandes vom Orient.

Von diesem kulturellen Selbstbewußtsein ist bei Colpe nichts mehr zu spüren. Schon die ursprünglichen Publikationsorgane der hier zusammengefaßten Aufsätze weisen bei ihm auf einen radikalen Paradigmenwechsel hin: Islamische und westliche Wertvorstellungen konfrontiert er in einem multikulturalistischen Sammelband über "Veränderungen kultureller Eigenarten im Zusammenleben von Türken und Deutschen", und die "abendländische Angst vor dem Islam" betrachtet er im Rahmen der politisch eher links geprägten, protestantischen "Arnoldshainer Texte". Zugespitzt geurteilt: Colpe relativiert das Eigene, um für das Fremde zu werben - dabei mit dem Pfund seiner Gelehrsamkeit wuchernd und mit der Blütezeit islamisch geprägter, arabischer Kultur werbend. Historistisch entschärft wird dabei die Frage nach der "Toleranz" des Islam, die nur von "toleranzgünstigen" Konstellationen abhänge.

Als List der Vernunft mag man werten, wie tief Colpes Bemühen um Synthese und die Schaeder einst so verhaßte "Assimilation" des islamischen durch den christlich-jüdischen Glauben selbst in abendländischen und auch sehr deutschen Denkmustern befangen bleibt. Eröffnet er doch eine geschichtsphilosophisch-utopische Perspektive, wie sie hegelianischer kaum ausfallen könnte: im Protest gegen die "kapitalistische Überindustrialisierung" und das den Kolonialismus fortsetzende liberalistische Weltwirtschaftssystem könnten sich die "religiösen Sozialisten" des Westens und anti-imperialistische Islamisten begegnen, wenn man gemeinsam für das anti-globalistisch inspirierte weltgeschichtliche Traumland des "neuen politischen Ökosozialismus" streite.

Carsten Colpe: Problem Islam. Philo Verlag, 3. erw. Aufl. Berlin 2002, 202 Seiten, 18 Euro


 
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