© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002


Was ist die deutsche Sprache wert?
von Csaba Földes

Der Präsident des Goethe-Instituts und der damalige stellvertretende Generalsekretär der Humboldt-Stiftung haben vor einigen Jahren diagnostiziert: "Die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland steckt in einer Sackgasse."

Fest steht, daß die Förderung einer fairen internationalen Geltung und somit des Ansehens der deutschen Sprache und der deutschsprachigen Kultur - und zwar als "Sprachinvestitionen" - von eminenter Bedeutung ist, damit Deutschland weltweit nicht - wie schon jetzt in weiten Teilen Afrikas - "als Wirtschaftsriese und gleichzeitig als Kulturzwerg" dasteht. Die Sprach- und Kulturarbeit sollte im Rahmen eines weltweiten interkulturellen Dialogs weiterhin das Konzept befolgen, das sich im Sinne Alexander Mitscherlichs in den siebziger Jahren in der auswärtigen Sprachen- und Kulturpolitik der Bundesrepublik durchgesetzt hatte: Statt einer Einbahnstraße des Kultur- und Sprachexports baute man Brücken der europäischen und internationalen Verständigung, bahnte den Weg für einen interkulturellen Austausch. Selbstverständlich sollte sich die außenpolitische Kulturarbeit vorrangig auf die Bedarfsdeckung richten. Dennoch sollte man zum Zwecke eines sprachlichen "Marketings" die Option einer Bedarfsförderung nicht kategorisch ablehnen. Man darf zum Beispiel an Frankreich erinnern, das eine konsequentere und allem Anschein nach auch wirksamere Politik zur Förderung und Verbreitung seiner Sprache betreibt. Aufgrund verschiedener historischer und soziokultureller Umstände darf man Frankreich nicht vorbehaltlos und allgemein als nachahmenswertes Beispiel hinstellen, dennoch sei erwähnt, daß Frankreich vor der letzten EU-Erweiterung Hunderte zukünftiger Bediensteter der neuen Mitgliedsstaaten im Französischen geschult und zudem die universitären Französisch-Lehrstühle dieser Staaten (etwa Finnlands) massiv gefördert hat. Wäre nicht eine analoge Aktivität Deutschlands etwa mit Blick auf den bevorstehenden Beitritt einiger ostmitteleuropäischer Länder zur EU wünschenswert?

Es liegt auf der Hand, welche Vorteile sich aus einem gewichtigeren internationalen Status des Deutschen ergeben können. Eine effizientere auswärtige Sprachen- und Kulturpolitik stößt aber an ihre Grenzen, wenn die derzeitigen finanziellen Engpässe im bundesdeutschen Haushalt radikale Sparmaßnahmen erfordern. So hat man sich zum Beispiel in allen 135 Filialen des Goethe-Instituts weltweit einzuschränken. 25 Institute sollten - im Goethe-Jahr 1999! - sogar geschlossen werden, 18 davon ganz, sieben zum Teil. Davon entfallen fünf auf die USA, der Rest auf Westeuropa. Auch die Humboldt-Stiftung muß mit einer angedrohten Etatkürzung von 7,5 Prozent leben. Ob das lediglich ein wirtschaftlicher Einschnitt ist wie nie zuvor oder der Beginn einer echten Strukturreform, wird sich noch zeigen.

Die intensive Hinwendung zur deutschen Sprache durch Lernende in der mittel- und osteuropäischen Region (MOE) darf aber nicht automatisch mit einem verstärkten Interesse für die deutschsprachige Kultur gleichgesetzt werden. Für das Erlernen einer bestimmten Sprache sind im Spannungsfeld von Allgemein-, Bildungs- und Sprachenpolitik sehr heterogene Aspekte der Makro- und Mikroebene entscheidend, fachwissenschaftliche und fachdidaktische Faktoren spielen dabei kaum eine Rolle. Die im Milieu des Lernenden und seiner sozialen Bezugsgruppe ("Wir-Gruppe") vorherrschende Bewertung einer gegebenen Sprache sowie das Image der ihr zugeordneten Kultur und Sprachgemeinschaft dürften viel gravierender ins Gewicht fallen. Daß auch der internationale Status der zu erlernenden Sprache dazu gehört, ist eigentlich selbstverständlich.

Wie gesagt, kann die Beurteilung einer Sprache, so auch des Deutschen, in Abhängigkeit vom soziokulturellen Referenzrahmen regional recht unterschiedlich ausfallen. Deutsch wird in einigen Ländern des asiatischen Raums (zum Beispiel in Korea) und Westeuropas (zum Beispiel in Frankreich) wegen seines Bildungswertes als Lernsprache gewählt. Dem Deutschen wird dort das Qualitätssiegel eines Selektionsfaches erteilt, weil es dort als schwierige Sprache gilt, die nur von leistungsstarken Schülern bewältigt werden kann. Hingegen beruht die Beschäftigung mit der deutschen Sprache in der MOE-Region auf einer Vielfalt von Motiven, die mehrheitlich pragmatisch-ökonomischer Natur sind ("extrinsischer Gebrauchswert"). Besonders motivierend ist für Lernende die Hoffnung auf bessere Berufs- und Verdienstchancen, somit auf einen gehobeneren Lebensstil schlechthin. Diese Einstellung korrespondiert schließlich auch mit dem westeuropäischen Unterrichtskonzept für lebende Fremdsprachen der letzten Jahrzehnte, daß sich nämlich der Gebrauchswert einer Sprache als Instrument direkten sprachlichen Handelns gegenüber ihrem Bildungswert durchsetzt. In den MOE-Ländern wird Deutsch eher auf den unteren Schulstufen, in kleineren Ortschaften, von Kindern weniger bildungsorientierter Schichten favorisiert. Und das wiederum wirkt sich natürlich auch auf das Image des Deutschen aus, weil davon letztlich das Werturteil über diese Sprache bestimmt wird. Diese "Aufgabenteilung" der Sprachen scheint allerdings nicht nur auf die MOE-Staaten beschränkt zu sein. Es entsteht insbesondere eine deutliche Nachfrage für fachsprachliche Kommunikationskompetenzen in den Bereichen der Wirtschaft, des Hotel- und des Gaststättenwesens. Es gilt also einerseits dieser Nachfrage mit entsprechenden Angeboten (Wirtschaftsdeutsch usw.) zu begegnen, andererseits in die Vermittlung allgemeinsprachlicher Inhalte mit attraktiven Konzepten Sprache und Kultur stärker zu integrieren, damit das Deutsche sein Ansehen als traditionsreiche europäische Kultursprache nicht gänzlich einbüßt.

Was man für eine erfolgreiche und adressatengerechte außenpolitische Kultur-Initiative braucht, sind zwei Dinge: eine entsprechende finanzielle Investition und ein klares Programm im Rahmen eines sprachen- und kulturpolitischen Gesamtkonzepts. Insgesamt ließe sich also postulieren, daß der europäische Sprachenmarkt nach einer schlüssigen Strategie, einer flexiblen, einfallsreichen und umfassend durchdachten Sprachenpolitik für Deutsch als Fremdsprache (DaF) verlangt, damit der intersprachliche und interkulturelle Kontakt nicht ungezügelt ins Kraut schießt. Man sollte dabei bedenken: Nicht zuletzt der auswärtigen Sprachen- und Kulturpolitik ist es zu verdanken, daß Deutschland im Ausland nicht mehr nur als das Land kriegslüsterner Nazis, als Land einer grassierenden Ausländerfeindlichkeit und eines militanten Fremdenhasses gesehen wird, sondern allmählich in der Welt immer mehr als ein Staat anerkannt wird, der solchen Grundwerten wie Freiheit, Demokratie, interkulturelle Toleranz, Ökologie verpflichtet ist und der sich zudem als Motor der europäischen Einigung etabliert hat.

Um dem Deutschen einen angemessenen internationalen Status zuzuweisen und zu sichern, sollte eine zielbewußte, jedoch moderate Imagepflege der deutschen Sprache, der deutschsprachigen Kultur und der deutschsprachigen Staaten nicht nur Aufgabe der "offiziellen" auswärtigen Sprachen- und Kulturpolitik sein.

Besonders DaF-Lehrer, Pädagogen allgemein, Didaktiker, Lehrbuchautoren, Sprachen- und Bildungspolitiker wären gut beraten, wenn sie bei ihrer beruflichen Tätigkeit daran dächten, im Ausland Vertrauen und Sympathie für die deutsche Sprache, damit auch für die deutschsprachigen Staaten zu erwecken und zu vertiefen, somit letztlich auch die affektiv-emotionale Dimension bei den Lernenden zu stärken. Hilmar Hoffmann, der Präsident des Goethe-Instituts, hat zu Recht festgestellt: "Niemand möchte, daß das Bild unseres Landes im Ausland wesentlich von den Exzessen der Ausländerfeindlichkeit im Inland geprägt wird." Bundespräsident Herzog hat dazu formuliert: "Sympathie für Deutschland ist ein Wettbewerbsfaktor."

Mit Sicherheit gibt es in dieser Hinsicht stellenweise verschiedenartige funktionalisierbare Ressourcen, ein nicht unerhebliches geistig-emotionales Potential, auf die eine kluge Sprachen- und Kulturpolitik als Sympathievorschuß zurückgreifen kann. So betonte der tschechische Botschafter auf einer Botschafterkonferenz in Bonn: "Für uns alle war in der Zeit des Kommunismus Deutsch die Sprache der Freiheit." Und in der Tat war Deutschland für viele ostmittel- und osteuropäische Intellektuelle jahrzehntelang ein Fenster zum Westen. Deshalb fragte sich der DAAD-Präsident Berchem auf derselben Veranstaltung, ob es ohne diese Förderpolitik überhaupt zur Wende gekommen wäre. Daran anknüpfend kann Deutsch heute in dieser Region vielfach eine Brücke zum europäischen Westen, ganz besonders zur EU sein, in die sich diese Staaten in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht voll integrieren wollen ("intrinsischer Gebrauchswert").

Die Bewertungen des Deutschen an sich bewegen sich weltweit also innerhalb eines breiten Spektrums, sie reflektieren keineswegs nur noch den sprichwörtlichen "häßlichen Deutschen". "Das Deutschlandbild aus finnischer Sicht - viel Positives, selten Negatives", heißt es zum Beispiel in einem einschlägigen Länderbericht. In demselben Band wird erklärt, daß die Deutschen "in Ungarn ungeheuer beliebt sind". Was noch überzeugender sein dürfte, ist die eine Umfrage, wonach die ungarischen Informanten ausschließlich im Falle der deutschen Sprache solche Lernmotive genannt haben wie die "Sympathie für die deutschsprachigen Völker" oder politische Beweggründe wie "sie [das heißt die Deutschsprachigen] sind unsere Förderer, unsere Verbündeten" und "ihre Politik ist gut." Ein weiteres Indiz für das hohe Ansehen Deutschlands, in gewisser Weise auch der Schweiz und Österreichs in Ungarn ist der Befund, daß bei einer Umfrage nach den erfolgreichsten Ländern hinter den USA (mit 43 Prozent) gleich Deutschland (20 Prozent) folgte, dann Japan (10 Prozent), die Schweiz (8 Prozent) und auf Platz 7 Österreich (2 Prozent), während zum Beispiel Frankreich gar nicht auf der Liste der genannten Staaten erschien.

Die auswärtige Sprachen- und Kulturpolitik der deutschsprachigen Staaten sollte diese Fremdeinschätzungen vielfältig und bewußt ausbauen. Sofern ein Sympathiebonus vorliegt, kann man ihn ganz entscheidend in den Dienst der DaF-Vermittlung und des interkulturellen Dialogs mit den deutschsprachigen Staaten stellen. Wo das nicht der Fall ist, wäre das Image der deutschen Sprache und Kultur sowie der deutschsprachigen Länder durch eine sorgfältig durchdachte und authentische Aufklärungs-Initiative, das heißt mit Hilfe einer objektiven und vertrauensbildenden Vermittlung der deutschen Kultur in das richtige, den Realitäten entsprechende Licht zu rücken.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Imagepflege wäre ein guter muttersprachlicher und fremdsprachlicher Deutschunterricht. Denn zahlreiche fremdsprachige Lernende haben nach langjährigem DaF-Unterricht nur Frust und Fehlererlebnisse in Erinnerung. Eine modernere und effizientere Didaktik und Methodik könnten ebenfalls zur subjektiven Aufwertung der deutschen Sprache beitragen, etwa unter dem Motto: Qualität ist das beste Argument.

Die stärkere Verankerung des Deutschen in den internationalen und insbesondere in den europäischen Institutionen ist eine sprachenpolitische Aufgabe ersten Ranges. Beispielsweise macht es die bevorstehende Ost-Erweiterung der EU besonders erforderlich, das Deutsche als vollgültige und aktuelle Arbeitssprache in den europäischen Organisationen und Institutionen zu etablieren. Denn die Unterbewertung der deutschen Sprache führt in der Praxis der Europäischen Union nicht nur zu Nachteilen bei Ausschreibungen, bei Antragstellungen, beim Vergeben von Aufträgen und bei der Mitwirkung an der politischen Gestaltung. Hinzu kommt eine negative Signalwirkung für das Erlernen von Deutsch als Fremdsprache. Für die funktionale Vitalität wie auch für die internationale Anziehungskraft einer sogenannten Kultursprache ist es von elementarer Bedeutung, daß sie in allen zwischenstaatlichen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern umfassende Verwendung findet, etwa in der Sprache der Forschung als Denkmedium ebenso wie für Rezeption, Publikation, Vortrag und in der Korrespondenz der Wissenschaftler.

Bei Entscheidungen für oder gegen das Erlernen einer Fremdsprache ist natürlich immer auch die pragmatische Überlegung im Spiel, was dem Lernenden die zur Disposition stehende Sprache wert ist. Wenn man nämlich als Fremdsprachiger den Eindruck hat, daß man mit dem Deutschen in Europa in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nicht die Möglichkeiten hat, wie sie hinsichtlich der alten und eigentlich der größten europäischen Kultursprache Deutsch zu erwarten wären, fühlt man sich zu einer Beschäftigung mit dieser Sprache und Kultur wohl kaum motiviert.

Die Frage nach der Bedeutung und nach dem Prestige der deutschen Sprache als Bindeglied zwischen West und Ost sollte sowohl für den muttersprachlich-eigenkulturellen Bereich als auch in den fremdsprachlichen und fremdkulturellen Dimensionen eine besondere Relevanz besitzen. Kann man sich doch durch das Deutsche wertvolle Handlungs- und Kontaktmöglichkeiten erschließen, die zum Begreifen des historischen Phänomens Europa und zur Verständigung im Kulturraum Europa beitragen können. Und zwar so, daß man in Zukunft mit der deutschen Sprache, mit der deutschsprachigen Kultur und mit den deutschsprachigen Staaten nicht nur Problematisches assoziiert, sondern an den Titel des Buches von Bernd Ulrich erinnert wird: "Deutsch, aber glücklich!" - wobei die Adversativität des "aber" hoffentlich allmählich der Koordination "und" weichen wird.

 

Prof. Dr. Csaba Földes ist o. Professor für germanistische Linguistik an der Universität Veszprém (Ungarn) und ab dem 1 Juli Dekan des Germanistischen Instituts. Földes ist Vizepräsident des Mitteleuropäischen Germanistenverbandes (MGV), Vorstandsmitglied im Ungarischen Deutschlehrerverband und Mitglied im Internationalen Wissenschaftlichen Rat des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Der Text ist eine gekürzte Fassung aus der Zeitschrift Wirkendes Wort; wir danken dem Verfasser für die freundliche Genemigung des Nachdrucks.


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