© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   26/02 21. Juni 2002


Was Hänschen nicht lernt ...
... lernt Hans nimmermehr: Die Bildungskatastrophe hat Langzeiteffekte
Bernd-Thomas Ramb

Nach der Familien- haben die Bundespolitiker nun auch die Bildungspolitik als Wahlkampfthema entdeckt, wenn auch kaum auf den Zusammenhang zwischen intakter Familienstruktur und solidem Bildungshintergrund verwiesen wird. Meist in Platitüden haben Regierung und Opposition anläßlich einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder zum Thema "Bildung und Innovation" ihren allseitigen Respekt vor der Bedeutung der Bildung in Zeiten globaler Märkte und schrumpfender Sozialperspektiven bekundet und sich in der üblichen Art gegenseitig Versäumnisse vorgeworfen und eigener Leistungen gebrüstet. Warum die Auseinandersetzung auf der Bundesebene erfolgt, läßt sich nur aus dem Bundestagswahlkampf erklären. Denn die Bildungspolitik fällt in die Kulturhoheit der Länder. Dort aber wird sie stark von parteipolitisch gefärbten Grundpositionen beherrscht.

Der Streit um die bessere Bildungspolitik wird in der nächsten Woche eskalieren, wenn die bundesländerspezifischen Ergebnisse der PISA-Studie veröffentlicht werden. Erste Meldungen verraten Spitzenpositionen der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, während das untere Ende von Sachsen-Anhalt, dem Saarland und Bremen eingenommen wird. Mit Spannung wird die offizielle Veröffentlichung der Ergebnisse auch im Hinblick eines Vergleichs der Bundesländer im internationalen Maßstab erwartet. Kann Bayern mit Finnland mithalten, rangiert Sachsen-Anhalt hinter Brasilien?

Parteipolitisch mag die Rangfolge - gerade in Wahlzeiten - eine gewisse Bedeutung einnehmen, bildungspolitisch entscheidend sind jedoch allein die Ursachen für die unterschiedlichen Schulerfolge. Deren Analyse dürfte weniger Zeit in Anspruch nehmen als die politische Akzeptanz der Ergebnisse und vor allem die praktische Umsetzung in eine umfassende Bildungsreform. Die Ursachen für das Unvermögen deutscher Teenager, gelesene Texte zu verstehen, mathematische Aufgaben zu lösen und naturwissenschaftliche Grundphänomene zu erklären, aus den vorangegangenen Defiziten des Lebensbildungswegs zu erklären und abzustellen, ist die eine Aufgabe. Die Auswirkung auf die weitere Bildungslaufbahn, auf Abitur, Lehre und Studium herauszustellen und Änderungen herbeizuführen, die andere. Somit müssen - möglichst gleichzeitig und so schnell wie möglich - gleich drei Problemfelder der Bildungsmisere beackert werden: der Bereich Kindergarten und Grundschule, der Bereich weiterführende Schule und der Bereich Lehre und Studium.

Die Knackpunkte in der Phase der Früh- und Grunderziehung sind schon nach dem ersten internationalen PISA-Vergleich offenkundig geworden. Im Kindergarten kämpfen die Betreuerinnen vorwiegend mit mangelhaften Sprachkenntnissen, nicht nur bei den ausländischen Kindern oder den deutschen Kindern ausländischer Herkunft, sondern häufig auch bei originär deutschsprachigen Kindern, deren Sprachschatz unter der mangelhaften Betreuung im Elternhaus leidet. So können Kindergärten immer weniger inhaltlich auf die Schulzeit vorbereiten. Zudem meiden viele ausländische Eltern den Kindergarten und verlagern die Sprach- und Vorbildungsproblematik auf die Grundschule. Die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Koch nach einem Sprachtest zur Aufnahme in die Grundschule ist zwar verständlich, aber schwer realisierbar. Was passiert mit den Kindern, die diese Hürde nicht bestehen? Sonderschulen für alle, die nicht Deutsch sprechen, wären die Zwangsfolge.

Die überforderten Grundschulen können so kaum noch die neben der Vermittlung des Basiswissens wichtigste Aufgabe leisten, die Leistungsrichtung und Leistungsfähigkeit der Kinder im weiteren Bildungsweg aufzudecken. Aber selbst wenn dies gelingt, hat das selbstquälerisch auf Chancengleichheit bedachte deutsche Schulsystem einen Beurteilungsriegel vorgeschoben. Statt dessen wird in zeitraubenden, für über- wie unterforderte Schüler häufig langweiligen Orientierungs- oder Förderstufen das bestätigt, was sich bis zum vierten Schuljahr deutlich erkennen läßt: Ist der Schüler für eine eher praktische Grundausbildung oder für eine stärker abstrahierende Schulbildung geeignet? Der bildungspolitische Irrweg der Gesamtschulen - auch wieder aus der politischen Hysterie geboren, ja Gerechtigkeit im Bildungswesen walten zu lassen - trägt mit seiner nivellierenden Leistungsanforderung ein übriges zur Verwässerung der Schulbildung bis zum PISA-Alter von 15 Jahren bei.

Die neuartige Diskussion über Ganztagsschulen kann keinesfalls zur Rettung des egalisierenden Gesamtschulbildungssystems beitragen. Wohl aber bietet die Ganztagsschule im Bereich der Hauptschulen einen vielversprechenden Ansatz, Jugendliche aus dem stupiden Milieu stumpfsinniger Nachmittagsfreizeitvergnügungen herauszulösen und Bildungsdefizite gezielt zu beheben. Im gymnasialen Bereich würde die Ganztagsbeschulung allerdings nicht nur den eigenständigen Erwerb individueller Fertigkeiten und Wissensspezialitäten beeinträchtigen, sie würde auch der Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit und zur bewußten Nutzung von Freiräumen eklatant widersprechen.

Die im Durchschnitt schlechte, in Einzelfällen miserable Schulbildung der letzten Jahrzehnte wird schließlich an den deutschen Universitäten deutlich. Schon jetzt erklären sich zwei Drittel der Studenten als zu schlecht von der Schule auf das Studium vorbereitet. Auf der anderen Seite attestieren die Professoren fast jedem zweiten Studenten keine Eignung für ein Studium. Die Zahl der Studienabbrecher nach einem für den Steuerzahler teurem Gratisstudienversuch ist entsprechend hoch. Andererseits verzichten geeignete Studenten angesichts überfüllter Lehrsäle und zahlreicher in den siebziger Jahren durch Massenberufungen an die Universitäten geschwemmter Professoren dritter Klasse auf ein Studium - zumindest auf ein Studium in Deutschland.

Ein Bildungssystem läßt sich schnell auf allen Ebenen und gründlich niederreiten, vor allem wenn es staatlich und seit Jahrzehnten dem sozialistischen Reformeifer der Achtundsechziger ausgeliefert ist. Die jetzt angerichteten Schäden können jedoch - selbst bei einer sofortigen bildungspolitischen Gegenrevolution - nur langsam behoben werden. Bildungsbewußte Eltern wissen dies und reagieren entsprechend. Privatschulen und Privatuniversitäten erreichen einen Höchststand an Einrichtungen und Schülerzahlen. So haben sozialistische Bildungsideologen genau das erreicht, was sie eigentlich verhindern wollten: Gute Schulen können sich nur die Kinder reicher Eltern leisten.


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