© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002


Bonner Kreml
von Hans-Peter Rissmann

Helmut Kohl, der als Bundeskanzler mit dem Telefon regierte, war meistens falsch verbunden. Nur teilten ihm die elektronischen Lauscher aus dem Ministerium für Staatssicherheit das nicht mit. Statt dessen haben Mielkes Mannen das Abgehörte geduldig protokolliert. Rückblickend könnte es sich bei diesen umfangreichen Notaten um "Westaufklärung" im wahrsten Sinne handeln. Jedoch nur, wenn Zeithistoriker das Material als wichtigen Beitrag zur Spätgeschichte der Bonner Republik endlich auswerten dürften.

Doch damit ist nicht zu rechnen, da Kohl nach seinem Prozeßsieg die CDU/CSU-Fraktion darauf festlegte, auch dem novellierten, Forschungsinteressen einengenden Stasi-Unterlagengesetz der Regierung nicht zuzustimmen. Hierbei geht es natürlich nicht um "Persönlichkeitsrechte", sondern offenbar um die Wahrung solcher Geheimnisse der Machtausübung, deren Enthüllung die Union - hierin unterstützt von der FDP und Teilen der SPD unter Otto Schily - in einer Weise zu fürchten scheint, als ginge es hier um mehr als bloße, für das aktuelle politische Geschehen irrelevante Korrekturen des Geschichtsbildes.

"Das Verlangen des Westens nach einem Schlußstrich" (Erich Loest) nährt gerade bei Mitteldeutschen den Verdacht, daß die Bonner Kader etwas zu verbergen haben. Aus ihrer Perspektive ist nicht einzusehen, warum die DDR - nach dem alten Stasi-Unterlagengesetz durchleuchtet - wie ein gläserner Staat erschien, Bonns Regierungsviertel hingegen nachträglich legislativ abgeschirmt wird, als wäre es der Kreml unseligen Angedenkens.


 
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