© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Die Zukunft liegt an Alster und Elbe
Schill-Partei: Nach dem Austritt des Ex-Salzgitter-Managers Hans-Joachim Selenz tritt die Partei in Hamburg auf der Stelle
Peter Freitag

Die Serie der Rückschläge, die die Partei Rechtsstaatlicher Offensive immer weiter von ihrem Weg zur bundesweiten Etablierung entfernt, reißt nicht ab. Neben Querelen in Hamburg und Austritten verärgerter Mitglieder in anderen Bundesländern gibt es vor dem neu einberufenen Bundesparteitag am kommenden Samstag in Hamburg wieder Probleme. So soll die Ladung nicht fristgerecht 14 Tage vorher (8. Juni) bei den Mitgliedern eingegangen sein, sondern erst den Poststempel vom 10. Juni tragen. In der Parteizentrale wiegelte man jedoch ab und verwies auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT auf den Poststreik: Die Einladungen seien termingerecht aufgegeben worden, die Verzögerung liege streikbedingt im Verantwortungsbereich der Post und sei somit "höhere Gewalt".

Die Neueinberufung des Parteitages war notwendig geworden, nachdem am ersten Termin das erforderliche Quorum anwesender Mitglieder verfehlt worden war. Jetzt stehe einer rechtmäßigen Durchführung nichts mehr im Wege, so ein Mitarbeiter der Partei zur JF. Unterdessen weist die Parteiführung unter Mitgliedern außerhalb Hamburgs kursierende Gerüchte zurück, wonach der Hamburger Vorstand vor dem ersten Parteitagstermin in einer zweiten, kurzfristig und nur an Hamburger Mitglieder verschickten Einladung indirekt zur Nicht-Teilnahme aufgerufen habe. Das Verfehlen des Quorums sei bewußt einkalkuliert worden, damit der Hamburger Landesvorstand nicht in seinem Votum gegen das Antreten zur Bundestagswahl überstimmt werden konnte, so der Vorwurf der Kritiker.

Ein weiterer Vorwurf gegen den Hamburger Landesvorstand, der zur Zeit auch kommissarisch als Bundesvorstand fungiert, betrifft die verzögerte Fortsetzung des Bundesparteitags. Damit, so der Verdacht, solle rein zeitlich ein Antreten zur Bundestagswahl unmöglich gemacht werden. Denn selbst wenn sich der Parteitag dafür ausspräche, wäre es kaum möglich innerhalb eines knappen Monats die Kandidatenaufstellung zu bewerkstelligen. Die Abgabefrist für die Landeslisten zur Bundestagswahl am 22. September läuft am 18. Juli ab, bereits am kommenden Montag, dem 24. Juni, müssen die Parteien sich jedoch schon beim Bundeswahlleiter für die Teilnahme an der Wahl melden.

Gescheitert ist vorerst die Wiedergründung des Landesverbandes in Mecklenburg-Vorpommern. Der erste Anlauf war fehlgeschlagen, da nur drei und nicht wie in der Satzung vorgegeben "mehr als drei" Bezirksverbände existierten (JF berichtete). Nun traten jedoch offensichtlich so viele Mitglieder im Land wieder aus, daß die für eine Gründung erforderliche Anzahl von 500 nicht mehr gewährleistet war. Ob und wann mit einer erfolgreichen Wiedergründung zu rechnen ist, konnte zunächst nicht in Erfahrung gebracht werden.

Das Schiedsgericht der Schill-Partei schloß unterdessen vier Mitglieder der Partei aus Harburg aus, die als Abgeordnete der Bezirksversammlung die Fraktion der Schill-Partei verlassen und eine eigene Fraktion gegründet hatten. Da über die Verhandlungen Stillschweigen vereinbart worden sei, wollte man in der Parteizentrale über die Inhalte der Auseinandersetzungen keine Details mitteilen. In der Schwebe ist noch ein Verfahren gegen Mitglieder aus Wandsbek. Dort ist der Vorstand des Schill-Ortsverbands aus Protest gegen den "diktatorischen Führungsstil" des stellvertretenden Parteivorsitzenden Mario Mettbach geschlossen zurückgetreten.

Die Gründung eines Landesverbandes der Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Niedersachsen, die auf einem Parteitag am 8. Juni in Hannover beschlossen werden sollte, wurde von Hamburg aus abgesagt. Grund dafür sei eine Einladung gewesen, die "den rechtlichen Rahmen nicht erfüllt habe", so die geheimnisvolle Aussage eines Mitarbeiters der Hamburger Parteizentrale auf Anfrage der JF. Damit ist der Höhe- und Schlußpunkt der Querelen erreicht, die mit der Absetzung des Landesbeauftragten Hans-Joachim Selenz begonnen hatten (JF 24/02). Am 3. Juni hatte Ronald Schill dem für Niedersachsen zuständigen Koordinator Horst Köpken telefonisch mitgeteilt, daß auch er nunmehr von seiner Aufgabe entbunden sei. Daraufhin erklärte Selenz in einem persönlichen Schreiben an Schill seinen Austritt aus der Partei. Selenz machte gegenüber der jungen freiheit aus seiner Enttäuschung über diese Zuspitzung keinen Hehl: "Die Gelegenheit, eine liberal-konservative Partei bundesweit mit Erfolgsaussichten zu etablieren, ist damit verpaßt." In seinem Schreiben an Schill hatte Selenz noch einmal betont, daß er niemals gegen den Hamburger Vorstand gearbeitet habe. Vorwürfe, er habe sich am Vorstand vorbei als Generalsekretär ins Spiel bringen wollen, entbehrten jeder Grundlage, so Selenz. Ihm habe sich nun aber der Eindruck aufgedrängt, die Partei wolle sich auf die Zentrale in Hamburg beschränken "getragen und finanziert von der überwiegenden Zahl der Mitglieder bundesweit". Für einen solchen "Schill-Fanclub" stehe er allerdings nicht zur Verfügung. An der Mitarbeit kompetenter Fachleute sei man nach seinem Eindruck in Hamburg derzeit nicht interessiert, so Selenz enttäuscht.

Noch deutlicher äußerte der in Niedersachsen als gesundheitspolitischer Sprecher der Schill-Partei vorgesehene Lutz Nordwig seine Verärgerung über die Partei, die er nun verließ: Es sei "die an sich gute Idee durch politischen und persönlichen Dilettantismus schon wieder gestorben", so Nordwig in einem Brief an Schill. In der Hamburger Parteizentrale könne man "nicht einmal einen Kindergeburtstag mit Topfschlagen und Sackhüpfen" organisieren.

Doch was dem verärgerten Ex-Mitglied als Dilettantismus erscheint, könnte nach Ansicht von anderen Kritikern in den Reihen der Schill-Partei wohlkalkuliert sein. Denn daß gerade das niedersächsische Zugpferd Selenz, der als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Salzgitter Stahl AG und FDP-Politiker niedersachsenweit über einen relativ hohen Bekanntheitsgrad verfügt, geschaßt wurde, könnte ein Hinweis darauf sein, man wolle in Hamburg auf keinen Fall die Zügel aus der Hand geben. Sollte es neben der jetzt schon höheren Mitgliederzahl auch noch kompetente Lokalmatadore außerhalb Hamburgs geben, droht das Gewicht der dortigen Granden um Schill zu schwinden. Augenscheinlich sehen darin einige, die gerade seit einem halben Jahr in Amt und Würden stehen, eine große Gefahr. Auch droht manchem Mitglied des amtierenden Bundesvorstands der Verlust seines Postens, sollte sich der personelle Schwerpunkt verlagern.

Ein weiterer Grund dafür, warum in Hamburg der Antritt zur Bundestagswahl so vehement hintertrieben wird, könnten auch Absprachen mit den dortigen Koalitionspartnern CDU und FDP sein. So besteht etwa eine Garantie für den Bürgerblock "und damit der drei Senatsposten" nur bei einem Verzicht auf ein Konkurrieren der Schill-Partei bei der Bundestagswahl. Denn immerhin äußerten in einer Emnid-Umfrage Anfang Mai elf Prozent der Befragten, sie würden bei der Bundestagswahl die Schill-Partei wählen, wenn diese antrete.


 
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