© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Rote Renaissance an der Moldau
Tschechei: Kommunisten sind einzige Gewinner der Parlamentswahlen / Sozialdemokraten streben Mitte-Links-Koalition an
Ekkehard Schultz / Jörg Fischer

Alles nur Prognosen, wir warten auf die richtigen Zahlen", erwiderte der 39jährige Jan Zahradil, Parteivize der rechtsliberalen Bürgerpartei (ODS), kurz nach Schließung der Wahllokale noch auf Fragen der Presse. Am Abend des 15. Juni war klar: Die Tschechen folgten dem Linkstrend von Tallinn über Warschau und Budapest bis nach Sofia - deutlicher Gewinner der tschechischen Parlamentswahlen ist die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM). Die im Gegensatz zur PDS oder der polnischen KP nie reformierte einstige Diktaturpartei gewann 7,5 Prozent hinzu und wurde mit 18,5 Prozent drittstärkste Kraft. Sie liegt nur noch knapp hinter der ODS des 61jährigen Ex-Premier Václav Klaus, die mit 24,5 Prozent über drei Prozent einbüßte.

Die Regierung werden aber weiterhin die Sozialdemokraten (CSSD) führen, die mit 30,2 Prozent zwar über zwei Prozent der Wählerstimmen verloren, aber stärkste politische Kraft des Landes bleiben. Nachdem die CSSD mit Premier Milos Zeman seit 1998 eine von der ODS tolerierte Minderheitsregierung bildete, zeichnet sich diesmal eine Zusammenarbeit mit dem dritten Wahlverlierer ab: Das Koalice genannte Parteienbündnis aus Christdemokraten (KDU-CSL) und linksliberaler Freiheitsunion (US-DEU) kam auf 14,3 Prozent. Trotz medialer und - von Václav Havel - sogar präsidialer Unterstützung büßten diese Zentrumsparteien, die 1998 noch getrennt antraten, zusammen fast fünf Prozent ein.

Die Grünen konnten ihr Ergebnis zwar verdoppeln, sie scheiterten aber mit 2,4 Prozent erneut an der Fünf-Prozent-Hürde - wie die restlichen 24 Parteien. Politische Beobachter, die ihren Blick über die boomtown Prag (in der zehntausende junge US-Bürger leben) hinaus richten und öfters mal mit dem "einfachen Volk" sprachen, hat dieses Wahlergebnis nicht überrascht: Die "Wende" von 1989 hat den Tschechen neben Freiheit und unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolgen auch die "Schattenseiten" der freien Marktwirtschaft gebracht: Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und die Zerstörung gewohnter Strukturen.

Gesetzgeber und Polizei waren vor allem der Korruption von Anfang an nicht gewachsen. Großen Teilen der Bevölkerung (nicht nur den Roma) geht es heute kaum besser, als unter den Kommunisten. Die Renten betragen häufig wenig mehr als 200 Euro im Monat - bei sich dem EU-Niveau annähernden Preisen. Die Arbeitslosenquote liegt bei zehn Prozent. Die Kluft zwischen den "Neureichen" und dem Mittelstand wächst.

Daher war nicht verwunderlich, daß der polternd-grobschlächtige Premier Zeman und seine CSSD mit dem Thema Benes-Dekrete die "nationale Karte" zogen und (zusammen mit Klaus' ODS) als knallharter Anwalt tschechischer Interessen auftraten. Doch der seriös-staatsmännisch wirkende designierte Premier Vladimír Spidla konnte diese Linie nicht glaubwürdig vertreten. Der 51jähriger Historiker zählte 1989 zu den Gründern des Bürgerforums im südböhmischen Neuhaus (Jindrichuv Hradec) und gehörte bis vor einiger Zeit sogar noch zu den Gegnern des umstrittenen Atomkraftwerks Temelín, einer nationalen Prestigesache. Auch den sozialen Verheißungen des bisherigen Sozialministers glaubten nach vier Jahren CSSD-Regierung immer weniger Wähler.

Die "marktradikale" ODS von Thatcher-Freund Klaus hatte bis 1998 auch viel versprochen und wenig gehalten. Die Querelen der Koalice, die im März zum zeitweisen Bruch des Bündnisses geführt hatten, und das biedere Auftreten ihrer Spitzenkandidaten, des 45jährigen katholischen Familienvaters Cyril Svoboda und der attraktiven 39jährigen alleinerziehenden Anwältin Hana Marvanová, zogen keine Protestwähler an.

Der soziale Frust und die "Germanophobie" der Benes-Debatte kamen dem 55jährigen KSCM-Chef Miroslav Grebenícek, Sohn eines Geheimdienst-Büttels, zugute. 41 statt bisher 24 Genossen streiten nun im Parlament für unbezahlbare Sozialforderungen und den Nato-Austritt. Darunter ist die 21jährige Katerina Konecna aus dem nordmährischen Alttitschein (Stary Jicín), die ausspricht, was auch viele Nicht-Kommunisten denken: "Ich mag die USA nicht. Sie sind ein fernes Land, das zu beweisen versucht, daß es sowohl kulturell als auch wirtschaftlich eine Weltmacht ist. Wenn ein Amerikaner stirbt, ist es eine Tragödie. Aber daß sie Menschen in Afghanistan umbringen, ist völlig normal." Die Studentin der Brünner Masaryk-Universität, deren Eltern ebenfalls KSCM-Aktivisten sind, bedauert den Tag, als ihr Land 1999 der Nato beitrat. "Das war ein großer Fehler! Es kostet enorm viel und bringt nichts. Wir sollten dieses Geld in andere Dinge investieren."

Grebenícek orientiert sich zwar wie seine Vorgänger unbeirrbar an alten Positionen wie dem Ende der Privatisierungen und der Rehabilitierung der KP-Nomenklatura. Doch da sich CSSD und ODS selbst durch die Aufnahme von tschechoslowakischen Ex-Stasimitarbeitern unglaubwürdig gemacht und aus sozialen Erwägungen den Verkauf ehemaliger Staatsbetriebe immer wieder verschleppt haben, konnte die KSCM stolz den Titel des Originals beanspruchen.

Den Kommunisten half auch die geringe Wahlbeteiligung von lediglich 58 Prozent - stärkste Partei wurden die Nichtwähler! 1998 gingen noch 74 Prozent an die Urne, was den KSCM-Erfolg zwar relativiert, den Absturz der anderen Parteien jedoch umso klarer erscheinen läßt. Keine Alternative sahen die Wähler in den rechtsnationalen (und deutschfeindlichen) Republikanern von Miroslav Sládka, die nur 0,97 Prozent erzielten. 1996 waren es noch 8,1 Prozent, 1998 dann 3,9 Prozent gewesen. Doch vor über einem Jahr spaltete sich die Partei, der angetretene "Rest" kam sogar nur auf 0,14 Prozent. Für die Agitation gegen Deutsche, "Reiche", EU und Nato hatte Grebenícek mehr Erfahrung (und vor allem Geld) als Sládka, dessen Partei nun auch finanziell am Ende sein dürfte.

Der von Präsident Havel mit der Regierungsbildung beauftragte Spidla kann sich bei einem Bündnis mit der Koalice (31 Sitze) nur auf eine knappe Mehrheit von 101 der 200 Sitze im neuen Abgeordnetenhaus stützen. Doch der angestrebte EU-Beitritt dürfte die Partner zunächst zusammenschweißen, außerdem könnte die ODS im Zweifelsfall ein CSSD-Kabinett stützen, sollten im November nach den Teilwahlen zum Senat die Mehrheitsverhältnisse schwieriger werden. Und wenn nächstes Jahr Havels Nachfolger aus den Reihen der CSSD kommt sowie der EU-Beitritt über die Bühne ist, steht auch einer Tolerierung durch die KSCM nichts mehr im Wege - allen Spidla-Dementis zum Trotz.


 
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