© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Durch die bunteste Welt
Romantiker und magischer Realist: Zum 180. Todestag des Dichters und Musikers E.T.A. Hoffmann
Magdalena S. Gmehling

Er war ein Universalgenie: Meister der phantastisch-unheimlichen Vision, bewährter Beamter, gefürchteter Karikaturist und Musiker von hohem Rang. Der am 24. Januar 1776 geborene Königsberger E.T.A. Hoffmann wurde nur 46 Jahre alt. Bei seinem Tode am 25. Juni 1822 hinterließ er ein umfangreiches Lebenswerk, welches uns noch heute wie ein spukhaft grotesker Traum anmutet.

Sein ganzes Leben prägt der Gegensatz zwischen einer geist-und kunstfeindlichen Umwelt und den Gebilden seiner Imaginationen. Die trockene Alltagsarbeit des Juristen stand in schroffem Gegensatz zu seiner Berufung als Dichter, Maler und Tonkünstler. Hatte er sich doch in Verehrung für Mozart den Namen Amadeus zugelegt und versetzt in seinem Phantasiestück "Ritter Gluck" den längst verstorbenen und von ihm tief verehrten Komponisten, "aus dem Reich der Träume" in den Tiergarten zu Berlin. Sein Glaube an das Walten unheimlicher Mächte, an Verzauberungen und Gespenster, begünstigte eine Art geistiger Doppelexistenz. Abgründiger Humor und schmerzliche Tragik spiegeln seine eigene Lebenssituation.

E.T.A. Hoffmann war gezwungen, vielfach die Aufenthaltsorte zu wechseln. Um 1800 wird er nach Posen und Warschau versetzt, gründet dort musikalische Gesellschaften, malt Kirchen aus und heiratet, nachdem er mehrmals der glühendsten Liebe entsagte, eine einfache Polin. Beim Einmarsch der Franzosen 1806 verliert er seine Stellung. Nach dem Zusammenbruch Preußens (1807) findet er eine Anstellung als Theatermusikdirektor in Bamberg, später 1813 eine Stelle als Kapellmeister in Leipzig und Dresden. Schließlich wurde er 1816 Kammergerichtsrat in Berlin, wo er 1820 mutig gegen die reaktionäre Polizei auftrat und sich während der Demagogenprozesse Jahns annahm.

Sein poetisches Werk, welches hundert Jahre nach seinem Tode 1922 erstmals in 14 Bänden erschien, umfaßt Kunstmärchen und der romantischen Schicksalstragödie nahestehende Novellistik. 1815 erscheinen die "Phantasiestücke in Callots Manier" (Callot, der französische Maler des Grausigen, lebte von 1584 bis 1635).

1813 in den Kriegswirren schreibt Hoffmann die "Elixiere des Teufels". Diese nachgelassenen Papiere des Kapuzinerbruders Medardus laden im Vorwort den Leser ein, "durch die bunteste Welt zu ziehen und ... das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte" des Lebens zu ertragen. Ein dunkler Grundakkord wird auch in den "Nachtstücken" (1817) angeschlagen. Acht unheimliche, faszinierende Variationen schauervoller Ereignisse treffen hier auf eine scheinbar heile und verläßliche Welt. Schwarzkünstler und Alchimisten, satanische Gestalten und Gespenster bilden einen seltsamen Gegensatz zum biedermeierlichen Lebensstil. Dieses Werk, welches Anfang des 20. Jahrhunderts den geistesverwandten Alfred Kubin zu lebhaften Skizzen und leicht historisierenden Federzeichnungen inspirierte, umfaßt die Stücke "Der Sandmann", "Das steinerne Herz", "Die Jesuitenkirche", "Das Sanctus", "Ignaz Denner", "Das öde Haus", "Das Majorat", "Das Gelübde"). Als erste deutsche Kriminalnovelle gilt das "Fräulein von Scudéry". Der kunstbesessene mordende Goldschmied Cardillac handelt, pränatal geprägt, entgegen seinem bewußten Ich. Die Thematik von "Meister Martin der Kufer und seine Gesellen" regte Richard Wagner zu seinen "Meistersingern" an. Von den Kunstmärchen sind vor allem "Der Goldene Topf", "Nußknacker" und "Mäusekönig", "Klein Zaches, genannt Zinnober" und "Meister Floh", zu erwähnen. Seine Erlebnisse mit den Berliner Freunden regten den Dichter, der ohne starke Getränke nicht zu arbeiten vermochte, zu der Rahmenerzählung "Die Serapionsbrüder" (1819/21) an.

Vielfach scheint die Souveränität des künstlerischen Geistes, die sich E.T.A. Hoffmann ertrotzte, indem er dürre Krämer-und Beamtenseelen, lächerliche Fürsten und komische Polizeigewaltige karikierte, auf Zeitgenossen wie Nachgeborene befruchtend gewirkt zu haben. Hoffmanns Ironie, in welcher wir sicher ein Mittel der Selbstrettung vermuten dürfen, ging scharf mit Philistertum und Selbstgefälligkeit ins Gericht. So stellte er in seinem unvollendeten Hauptwerk, den "Lebensansichten des Katers Murr" (1820/22), in einer Art Selbstporträt der biedermeierlichen Bürgerenge die Seligkeit der musikalischen Phantasiewelt des Kapellmeisters Kreisler gegenüber. Robert Schuhmann hat dem Dichter mit der "Kreisleriana" ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Während Goethe und Hegel den Königsberger heftig ablehnten, galt er im Ausland lange als größter deutscher Erzähler. Nicht nur Baudelaire, E.A. Poe, Byron, Scott, Wilde, Dickens und Rimbaud wurden von seinem Werk beeinflußt, auch die russischen Serapionsbrüder Fedin, Iwanow, Sostschenko und Kawerin haben sich um 1920 auf ihn berufen. Jean Paul schätzte ihn sehr, ebenso Hofmannsthal. In Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" wird er selbst zur Hauptfigur. Im Herbst 2001 erschien im Verlag Königshausen & Neumann in Würzburg ein von Klaus Deterding vollendetes "Fragment" von E.T.A. Hoffmann. Dem Werk des Dichters vielfach verpflichte fühlt sich auch die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft in Bamberg.

Hoffmanns Zeitgenosse Heinrich Heine (1797-1856) charakterisiert den letzten schöpferischen Romantiker, dessen Bild sich dem europäischen Geistesleben tief einprägte, wenn er schreibt: "Hoffmann war als Dichter viel bedeutender als Novalis. Denn letzterer, mit seinen idealistischen Gebilden, schwebte immer in der blauen Luft, während Hoffmann mit all seinen bizzaren Fratzen, sich doch immer an die irdische Realität klammert. Wie aber der Riese Anthäus unbezwinglich stark blieb, wenn er mit dem Fuß die Mutter Erde berührte, und seine Kraft verlor, sobald ihn Herkules in die Höhe hob, so ist auch der Dichter stark und gewaltig, solange er den Boden der Wirklichkeit nicht verläßt ... ".


 
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