© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Nie Täter, stets Opfer
Kino: "Francisca" von Eva López-Sánchez
Ellen Kositza

Flughafen Mexiko-City, 1971. Mit gefälschtem Ausweis passiert ein Mann den Kontrolldurchgang für Immigranten. Bruno Müller, als den ihn das Papier ausgibt, kommt jedoch nicht weit. Noch auf dem Flughafengelände wird er von Männern des Geheimdienstes abgefangen. Nein, zurückschicken wolle man ihn nicht, bescheiden ihm die Herren in Anzügen in ihrem düsteren Kellerbüro, und schon gar nicht nach Frankreich, wo "Müller" herzukommen vorgibt.

Der Deutsche, der als angeblicher Franzose eingereist ist, um als Geschichtsprofessor an der Universität in Mexikos Hauptstadt zu lehren, soll Informationen über rebellische Studenten weiterleiten. Es ist klar, daß "Müller", wenn auch mit Stirnrunzeln und "Bauchschmerzen" einwilligt - der Weg zurück würde in die Hände seines bisherigen Arbeitgebers führen: die Staatssicherheit der DDR, der er gerade entflohen ist. Neben seiner Lehre am Institut weist der Alibi-Franzose seine kommunistisch gestimmten Studenten in Klassenkampf und Rebellion ein, nur unwichtige Informationen trägt er an seine Erpresser weiter. Daneben verliebt er sich in die hübsche Jungkommunistin Adelina, und diese Liebe stürzt ihn schließlich in einen tiefen Konflikt, als sich die Herren in Schwarz unzufrieden mit seiner Arbeit zeigen und ihn nun auf eine bestimmte mißliebige Person ansetzen, den als gefährlichen Agitator eingestuften José.

Noch kennt der Deutsche sein Opfer nicht, begegnet ihm aber nach einer gescheiterten Flugblattaktion, an der auch Adelina beteiligt ist. "Müller" ist seiner Rolle als Verräter endgültig überdrüssig und verweigert beim nächsten Treffen mit den Geheimdienstlern seine Mitarbeit. Diese greifen nun zur ultimativen Drohung, wenn sich "Müller" nicht bereiterklärt, José zu eliminieren: Es könnte ja seiner Geliebten etwas zustoßen ...

Unwillig wählt der längst gebrochene Deutsche eine der zur Wahl stehenden Waffen aus, einen Revolver mit der Gravur "Francisca". Dennoch hat er nicht vor, José tatsächlich zu töten, er sucht ihn auf, erklärt schnell die Sachlage und fordert den Mexikaner auf, zu fliehen. Während des Gesprächs fallen Schüsse aus dem Hinterhalt, einer der Geheimdienstler hat abgedrückt, José ist sofort tot.

Die Ereignisse überschlagen sich, Bruno und Adelina fliehen - getrennt, denn zu tief ist die Enttäuschung der jungen Frau über den Mann, den sie liebte und dem sie vertraute. Adelina läßt sich in einem weit entfernten Ort nieder, wo "Müller" sie zwei Jahre später aufspürt und beide wieder zusammenkommen.

Adelina kennt nun die wahre Geschichte von "Bruno Müller", der eigentlich Helmuth Busch heißt und nie Täter, stets Opfer der Umstände und seines guten Glaubens an den Sozialismus war. Beide beschließen, das Land zu verlassen, doch die Grenzen sind dicht und werden strengstens bewacht. So leben sie monatelang in einem Versteck in einem grenznahen Dorf inmitten unwegsamer Berglandschaft, bis durch einen Zufall ausgerechnet der Sohn Josés in diese Wildnis findet. Er erkennt Müller-Busch, hat das Gesicht des vermeintlichen Mörders seines Vaters nie vergessen ...

"Francisca", eine deutsch-mexikanisch-spanische Co-Produktion, ist ein ambitionierter Film, der jedoch deutlich daran scheitert, daß er sich nicht zwischen Politdrama und Liebesgeschichte entscheiden kann und beides nur halbherzig und oberflächlich inszeniert. Das erste Filmdrittel besticht durch die stimmungsvoll vitale Atmosphäre an der Universität, straffe junge Männer und Frauen, die unter Einsatz ihres Lebens für ein zwar falsches Ideal kämpfen, nächtens in ihren Wohngemeinschaften Flugblätter drucken, euphorisch agitatorischen Lesungen und Filmvorführungen beiwohnen.

Dieser Idealismus tritt recht plötzlich in den Hintergrund und wird im Verlauf der entstehenden Liebesgeschichte gar nicht mehr weiterverfolgt, und auch die Liaison zwischen Adelina und "Müller" (Ulrich Noethen übernimmt als einziger deutscher Schauspieler diesen Antihelden) erscheint zufällig, ihr Wieder-Zusammenfinden eigentlich unmotiviert.

Einem Vergleich mit dem grandiosen "Die Stille nach dem Schuß" von Schlöndorff und dem letztjährigen "Die Innere Sicherheit", die sich beide mit dem späteren Schicksal ehemaliger Terroristen auseinandersetzten, kann "Francisca" nicht standhalten.


 
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